Die Salpeterer als Impfgegner im 19. Jahrhundert

»Die Widersetzlichkeit gegen die Vaccination in mehreren Gemeinden betr.«

 

Bericht des Arztes Dr. Tscheppe über die Widerstände beim Impfen. Vorlage: Landesarchiv BW, StAF B 733/1 Nr. 570. Zum Vergrößern bitte klicken.
Bericht des Arztes Dr. Tscheppe über die Widerstände beim Impfen. Vorlage: Landesarchiv BW, StAF B 733/1 Nr. 570. Zum Vergrößern bitte klicken.

Meine Kinder habe ich müssen impfen lassen, insbesondere auch ein Mädele – das einzige was ich hatte, welches wahrscheinlich noch leben würde, wenn es nicht geimpft worden wäre, das gibt 1832 Johann Rüde aus Hochsal dem Waldshuter Oberamtmann Schilling zu Protokoll. Als einer der im Hotzenwald lebenden Salpeterer war Rüde der Pockenschutzimpfung gegenüber kritisch eingestellt. Ob allerdings seine Tochter tatsächlich an Nebenwirkungen der Impfung verstarb (oder die Impfung überhaupt erhalten hatte) lässt sich nicht mehr feststellen. Die meisten Salpeterer verweigerten die Impfung ihrer Kinder von vornherein. Anton Siebold aus Rotzeln schreibt 1827 an das Bezirksamt Waldshut, wenn seine Kinder ohne seine Einwilligung geimpft würden und eines aus einer salpeterischen Familie stürbe, so müssten alle Helfer vor dem Gericht Gottes Rechenschaft ablegen.

Wer aber waren die Salpeterer? In der zu Vorderösterreich gehörenden Grafschaft Hauenstein leisteten freie Bauern im 18. Jahrhundert Widerstand gegen Ansprüche des Klosters St. Blasien und verteidigten ihre althergebrachten Freiheitsrechte. Diese Aufrührer wurden nach dem Beruf ihres Anführers Salpeterer genannt. Mit dieser Tätigkeit hatte die Gruppierung im 19. Jahrhundert jedoch nichts mehr zu tun. Nachdem das Gebiet 1805 zum Großherzogtum Baden kam, war die Widersetzlichkeit der Bewohner vor allem religiös motiviert. Die neuen Salpeterer wurden von obrigkeitlicher Stelle entsprechend meist als Sekte bezeichnet; sie beriefen sich auf den österreichischen Kaiser als Schutzherren und verteidigten ihren katholischen Glauben gegen jede Modernisierung oder gar protestantische Einflüsse. Insbesondere ließen sie ihre Kinder nicht mehr in Schulen gehen, in denen moderne Lehrer unterrichteten und von Protestanten geschriebene Schulbücher verwendet wurden. Der Widerstand richtete sich gegen praktisch alle staatlichen Maßnahmen und Verpflichtungen: gegen den Militärdienst, gegen die Huldigung des Landesherrn, gegen Steuern und Abgaben und eben auch gegen die Impfpflicht.

Diese wurde im Großherzogtum Baden 1809 eingeführt. Im Laufe des 18. Jahrhunderts hatte es verschiedene Entwicklungen im Bereich der Pockenschutzimpfung gegeben bis schließlich Ende des Jahrhunderts eine effektive Methode der Vaccination entwickelt wurde. Die Pocken waren bis dahin über Jahrhunderte eine der gefährlichsten und verbreitetsten Krankheiten gewesen, der vor allem viele Kinder erlegen waren, was die rasche Einführung der Impfpflicht in vielen Ländern erklärt. Ihre Durchsetzung erwies sich jedoch insbesondere im Hotzenwald als schwierig, wie der Stabswundarzt Dr. Tscheppe an das Bezirksamt Säckingen berichtet: Die Widersetzlichkeit gegen die Vaccination währte inzwischen fort u. mehrere jener Kinder, deren Eltern von mir eingeklagt wurden, sind einstweilen von den natürlichen Blattern befallen worden.

Der Widerstand gegen die Impfung bei den Salpeterern scheint sowohl auf allgemeinem Widerstand gegen staatliche Maßnahmen als auch auf grundlegenden Ängsten beruht zu haben. Auch religiöse Erwägungen – man wollte nicht in Gottes Handeln eingreifen – mögen eine Rolle gespielt haben. Oftmals wurde die Impfung unter Zwang durchgesetzt, jedoch schwand der Widerstand der Salpeterer – auch gegen andere Maßnahmen – mit der Zeit von alleine. Vielleicht auch durch die Einsicht, dass eine Erkrankung an den Pocken in ihren Auswirkungen gravierender war, als die Impfung. Der Kampf gegen die Pocken wurde jedenfalls noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein geführt, bis die Krankheit 1980 für ausgerottet erklärt werden konnte.

Annette Riek

Quelle: Archivnachrichten 63 (2021), Seite 25.

Suche