Wer hat (die) Hosen an?

Das Freiburger Oberschulamt und die „weibliche Würde“ anno 1955

Das Bekleidungsstück des Anstoßes, aufgenommen von Willy Pragher in einem Pariser Park drei Monate vor dem Freiburger Hosenverbot, Titel: Mädchen auf Bank vor Plastik, 01.07.1955. Quelle: Landesarchiv BW, StAF W 134 Nr. 040551
Das Bekleidungsstück des Anstoßes, aufgenommen von Willy Pragher in einem Pariser Park drei Monate vor dem Freiburger Hosenverbot, Titel: Mädchen auf Bank vor Plastik, 01.07.1955. Quelle: Landesarchiv BW, StAF W 134 Nr. 040551

Dass Kleidung nicht nur der eigenen Individualität Ausdruck zu verleihen vermag, sondern auch als gesellschaftspolitisches Statement gedeutet werden kann, ist weithin bekannt. Ob die Schülerinnen einer Freiburger Volksschule, die 1955 in Dreiviertelhosen zum Unterricht erschienen und damit die Schulleitung auf den Plan riefen, eine programmatische Agenda hatten, muss offen bleiben. Die verschiedenen Stellungnahmen zu diesem Vorfall sind indes ein anschauliches Beispiel für geschlechtsspezifische Rollenverständnisse und Moralvorstellungen jener Zeit, aber auch für die gesetzlich begrenzte Erziehungsgewalt der Schule.

Im Oktober 1955 wandte sich eine verunsicherte Mutter an die Schulbehörden: Die Schulleiterin (!) ihrer Tochter habe Mädchen wegen Sittenwidrigkeit verboten, in Dreiviertelhosen zur Schule zu kommen. Dabei sei doch die wärmende Wirkung derartiger Hosen gerade im Entwicklungsalter sehr wichtig und leichtsinnig und kokett könnten Mädchen auch ohne Dreiviertelhosen sein. Abgesehen davon, dass man auf das Hosenverbot selbst in ihrem (katholischen) Elisabethenverein ungläubig reagiert habe, könne eine einzelne Schule doch wohl kaum ein solches aussprechen.

Die zur Stellungnahme aufgeforderte Schulleiterin rechtfertigte sich mit einem Konferenzbeschluss: In der warmen Jahreszeit habe man Mädchen ab dem 4. Schuljahr das Tragen von Shorts und Dreiviertelhosen untersagt: Wir gingen bei dem Verbot von der Auffassung aus, daß das Tragen von Hosen für Mädchen unweiblich sei und daß das Mädchen dadurch das Gefühl für seine weibliche Würde verliere. Ein Einschreiten gegen diese Unsitte sei Teil der erziehlichen Aufgabe der Schule.

Das Oberschulamt beendete im folgenden Monat den Hosenstreit und führte zur Begründung vor allem den Artikel 6 des Grundgesetzes an: Letztlich stünden die Rechte der Eltern bei der Erziehung (und damit bei der Kleiderwahl) über denen der Schule. Überdies verstießen derartige Bekleidungsstücke nicht gegen das allgemeine sittliche Empfinden und bedeuteten keine Überschreitung der Grenzen des Anstands. Die Kleidungsvorschrift sei damit unwirksam. So nüchtern diese Entscheidung begründet wurde, auch im Oberschulamt machte man sich Gedanken über die Moralfrage. In einem abschließenden Vermerk äußerte ein Mitarbeiter die Vermutung, es gehe vermutlich gar nicht darum, dass die Dreiviertelhosen zu männlich wirkten, sondern vielmehr zu weiblich und durch ihren Schnitt oder aus Gründen, die in der Person der Trägerin liegen, bei anderen in besonderem Maße zu Empfindungen führen könnte[n], die sich mit der Ordnung in der Schule nicht vertragen.

In den 1950er Jahren führte die Kleiderfrage zu tiefschürfenden Moraldebatten. Wie die beteiligten Protagonisten des vorliegenden Falls auf die ein Jahrzehnt später einsetzenden rasanten Entwicklungen in der Gesellschaft, im Geschlechterverhältnis (und in der Mode) reagierten, ist bedauerlicherweise nicht überliefert.

Christof Strauß

Quelle: Archivnachrichten 55 (2017), S. 28.

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