Vom Essen auf dem Land: einfach, schnell und habhaft
Von Felicitas Wehnert
Es waren immer die Frauen, die für die Mahlzeiten der Familie sorgten. Aber was auf dem Land und in der Stadt auf den Tisch gebracht wurde, das unterschied sich vom Angebot und Aufwand her erheblich.
Für die Bauersfrau früherer Zeiten war das Kochen nur eine Aufgabe unter vielen. Sie musste immer zugleich auch im Stall und auf dem Feld mitarbeiten: die Kälber versorgen und die Kühe melken, die Schweine und die Hühner füttern, bei der Ernte anpacken und den Garten bearbeiten. Da blieb zum aufwändigen Kochen nicht sehr viel Zeit. Es musste schnell gehen und für die körperlich hart arbeitenden Mitglieder des Bauernhofes habhaft sein. Mit am Tisch saßen alle, die auf dem Hof lebten: neben der Bauersfamilie mit den Kindern auch noch die Altbauern und meist auch die Knechte und Mägde. Da kamen schnell zehn bis 15 Menschen mit gutem Appetit zusammen. Eine einfache, unkomplizierte Küche für viele war gefragt.
Mehlspeisen und Most
Noch bis in die 50er-Jahre hinein gab es morgens nach der Stallarbeit meist saure Milch mit eingetunktem Brot, Habermus oder die für die Schwäbische Alb typische traditionelle Speise, den Schwarzen Brei: Musmehl mit gesalzenem Wasser aufgekocht, mit Milch angedickt und – sofern vorhanden – mit Schweineschmalz und gerösteten Zwiebeln verfeinert.
Das Essen wurde aus dem zubereitet, was der Hof hergab. Das war vor allem auf der Schwäbischen Alb bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eher überschaubar: Kraut und Rüben, Milch und Mehl, Kartoffeln und Gemüse, Eier und Käse, Butter und Schmalz. Daraus entstand aber eine Fülle an Mehlspeisen wie etwa Spätzle, Knöpfle, Flädle, Schupfnudeln. Dazu gab es laut einem Rottenburger Wochenplan aus dem 19. Jahrhundert mittags abwechselnd Bohnen, Rüben, Erbsen oder Kraut. Freitags dann Dampfnudeln mit Kaffee, am Samstag Kartoffelschnitz und Spatzen und am Sonntag als Festessen Knöpfle, Kraut und Speck. Braten und Würste kamen außerhalb der Schlachtzeit selten auf den Tisch.
Zum Vesper wurde im Sommer der Most im Krug mit aufs Feld genommen und eine Brotkante –manchmal mit etwas Speck. Und abends gab es dann saure Milch mit Dampfkartoffeln oder hart gewordenem Brot zum Einbrocken.
In den klimatisch begünstigteren Lagen und fruchtbareren Regionen im Neckartal, entlang der Donau und in der Rheinebene, in Oberschwaben und am Bodensee entwickelte sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg eine reichhaltigere Küche.
Bauerngärten und Backhäuser
In den Bauerngärten wurde eine Gemüsevielfalt kultiviert. Sie waren so klug angelegt, dass die Bäuerin dort Frisches fast das ganze Jahr über ernten konnte. Ins Frühbeet mit dem Mistbrutkasten kamen die Salatsetzlinge vom „Maikönig“, im Sommer trotzte der robuste „Esslinger Braune Markt“ der Hitze und im Herbst und Winter wurden Endivien und Ackersalat gepflanzt. Ebenso gibt es beim Wirsing, dem Kohl oder den Rüben verschiedene Sorten, die zu unterschiedlichen Jahreszeiten erntereif werden. Der Beerengarten lieferte Erdbeeren, Träuble, Himbeeren, Brombeeren zum sofort Essen oder als Marmelade und Kompott für die Wintermonate. Rund um den Hof wuchsen verschiedene Apfel-, Birnen- und Zwetschgenbäume, die unterschiedlich reifen: die zarte Geishirtle-Birne bereits im August, der späte Brettacher-Apfel erst im Spätherbst. Dafür kann er bis ins nächste Frühjahr hinein gelagert werden. Die einstige Sortenvielfalt droht heute zu verschwinden, weil viele der Erzeugnisse nicht normgerecht wachsen und zu zart für lange Transporte oder Lagerungen in den Supermarktregalen sind.
Bis in die 60er-Jahre gab es in vielen Dörfern Gemeinschaftsbackhäuser. Sie entstanden, als dort Mitte des 19. Jahrhunderts Hausbacköfen wegen der Brandgefahr und aufgrund des höheren Holzverbrauchs verboten wurden. Das Backen und Kneten des Brotteiges war ohne Maschinen eine schweißtreibende Angelegenheit und bedurfte überlegter Vorarbeit. Während der kalten Jahreszeit wurden die abgeschnittenen Zweige der Obstbäume gesammelt und mit dem Krählesbinder zu Reisigbüscheln, den Holzkrählen, zusammengebunden. Damit wurde dann am Backtag der mit Schamott-Steinen ausgekleidete Ofen angeheizt. Bereits am Vortag setzten die Bäuerinnen den Brotteig im Holztrog an. Hatte der Backofen mit Buchenscheiten die richtige Temperatur erreicht, entfernte die Erfahrenste die Glut und säuberte den Backofen mit dem Hudelwisch, mit dem man schnell wischen, also „hudeln“, musste, damit er nicht anbrennt. Dann wurden die Laibe eingeschossen. Der Backofen fasste bis zu 50 Brote, die die Bäuerinnen jeweils mit ihrem Kennungszeichen versahen. In der Resthitze wurde dann noch der Blootz gebacken, ein einfacher Hefekuchen – entweder süß mit Äpfeln und Zimt oder salzig mit saurer Sahne, Lauch, Zwiebeln und Speck belegt.
Die Brote lagerten im Keller auf einem freischwebenden Holzgestell sicher vor Mäusen. Brotwar etwas Besonderes. Nie durfte es weggeworfen werden. War es hart geworden, wurde es eingetunkt, zu Brotsuppe verarbeitet, mit Äpfeln zu Scheiterhaufen oder mit Eiern und Milch zu Armen Rittern veredelt.
Schlachtzeit im Winter
Wenn es kalt wurde und der Boden gefror, war Schlachtzeit. Im Sommer und Herbst war die Sau mit Küchenabfällen gemästet worden. Über den kargen Winterwollte sie aber keiner mehr füttern. Zudem verdarb das Fleisch bei Minusgraden nicht so schnell. Der Metzger kam meist an einem kalten Novembertag frühmorgens in Gummistiefeln, mit einem langen, weißen, abwaschbaren Schurz und seinem Messerarsenal. Schon am Vortag hatte die Bäuerin die verzinkte Kinderwanne und den Wäschezuber bereitgestellt.
Auf den Schlachttag freuten sich alle, auch wenn die Sau sie den ganzen Tag auf Trab hielt. Vorsichtig bugsierte der Metzger das Schwein aus dem Verschlag auf den Hof oder in die Waschküche, betäubte es mit einem wohlgesetzten Bolzenschuss zwischen den Augen ins Gehirn und tötete es mit einem raschen Schnitt in die Kehle. Das alles ging so schnell, dass die Sau gar nicht dazu kam, Stresshormone zu entwickeln, die, wie man heute weiß, den Geschmack des Fleisches beeinträchtigen. Mit dem Ende der Sau begann die Arbeit. Aufgabe der Bäuerin war es, das Blut in einer Schüssel aufzufangen und stetig zu rühren, damit es nicht gerinnt. Daraus entstand später die Blutwurst. Dann wurde das Schwein in der Zinkwanne mit kochendem Wasser abgebrüht und abgeschrubbt, um die Borsten zu entfernen. Manchmal wurde die Schweineblase, die Blodder, ans Scheunentor gehängt, zum Zeichen, dass geschlachtet worden war. Oder sie wurde – vor allem in katholischen Gegenden im Schwarzwald oder in Oberschwaben – für Fastnacht aufgehoben und dann an einem Stiel befestigt von Kostümträgern geschwenkt.
Der Hausmetzger zerteilte das Schwein schließlich fachgerecht und löste die Knochen aus. Das Tier wurde komplett verwertet – vom Schnäuzle bis zum Schwänzle. Alles wurde gegessen. Einzig die Klauen und Drüsen sind nicht genießbar. Noch am Schlachttag gab es die Metzelsuppe mit den Innereien oder die Schlachtplatte mit Sauerkraut, mit Blut- und Leberwürsten und dem Kesselfleisch. Das Schmalz kam zum Kochen und Braten in den Schmalzhafen, Flomen und Grieben wurden ausgelassen. Einiges wurde eingedost oder geräuchert als Vorrat für den langen Winter. Und auch die Nachbarn bekamen etwas ab. Die Kinder trugen in der Milchkanne die Metzelsuppe aus. Denn umgekehrt profitierte man dann auch von deren Schlachtfest. Es war ein Saugeschäft, bis das Schwein am Ende des Tages zu Wurst verarbeitet oder in Vesperportionen eingedost war.
In den 50er-Jahren richteten etliche Dörfer in einem öffentlichen Gebäude Gemeinschaftskühlanlagen ein. Die einzelnen Tiefkühlfächer wurden vermietet, denn damals konnten sich auf dem Land die wenigsten eine eigene Tiefkühltruhe leisten. Erst in den 70er- und 80er-Jahren wurden sie erschwinglicher. Die Gemeinschaftsanlagen waren nun überflüssig, und mit den gestiegenen Hygienevorschriften verschwanden auch die Hausschlachtungen.
In Stellung in der Stadt
Die bürgerliche Küche lernten viele Bauernmädchen kennen, wenn sie mit Schulende – meist mit 14 Jahren nach der Konfirmation – in die Stadt in Stellung geschickt wurden. Auf den kinderreichen Bauernhöfen musste dann ein Esser weniger versorgt werden. In der Regel blieben sie gegen Unterkunft und Verpflegung bis zu ihrer Heirat als Dienstmädchen in der Stadt. Wie den Töchtern der kleinen Handwerker blieb ihnen eine Ausbildung versagt. Sie lebten in einer Kammer im Haushalt der Herrschaft mit wenig Freizeit und Privatleben und mussten putzen, waschen, Kinder betreuen und der Frau des Hauses beim Kochen zur Hand gehen. Das war in Zeiten ohne elektrische Küchenhelfer weit aufwändiger als heute. Dafür lernten sie Gerichte mit Fleisch und Fisch, Pasteten und Rouladen, kennen, die daheim auf dem Hof nie auf den Tisch kamen. Bis in die 50er-Jahre hinein gehen die Bauerntöchter als Dienstmädchen in städtische Haushalte in Stellung.
Heute steht die Landfrauenküche für frisch zubereitete regionale Gerichte mit saisonalen Zutaten.
Zitierhinweis: Felicitas Wehnert, Essen auf dem Land: Einfach, schnell und habhaft, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 08.08.2020