Essen aus der ganzen Welt

Von Felicitas Wehnert

Propaganda-Postkarte: „Früchte aus unseren Kolonien. Ananas, Mango, Maiskolben, Weintrauben.“ nach einem Gemälde von Alfred Henninger, ca. 1914 - 1918 [Quelle: Badische Landesbibliothek Karlsruhe]
Propaganda-Postkarte: „Früchte aus unseren Kolonien. Ananas, Mango, Maiskolben, Weintrauben.“ nach einem Gemälde von Alfred Henninger, ca. 1914 - 1918 [Quelle: Badische Landesbibliothek Karlsruhe]

Pangasiusfilet aus Thailand, Lachs aus Norwegen, Mango und Papaya aus Brasilien, Bohnen aus Kenia zu Weihnachten und Erdbeerkonzentrat aus China das ganze Jahr über: Heute stehen uns Lebensmittel aus der ganzen Welt immer und jederzeit zur Verfügung. Aber die Geschichte von kulinarischen Einwanderern und Lebensmittel-Einfuhren geht noch viel weiter zurück.

Lange wuchsen im deutschen Südwesten nur Kraut und Rüben sowie Emmer und Einkorn als Getreide. Kein Wunder, dass Eroberer aus klimatisch begünstigteren Regionen ihre eigenen Luxusgüter mitbrachten. Vor allem den Römern verdanken wir viele Obst- und Gemüsesorten – selbst die Petersilie. Im 16. Jahrhundert brachten die Botaniker auf den Entdeckerschiffen bis dato unbekannte Gemüsepflanzen aus Südamerika mit – wie etwa Kartoffeln und Tomaten.

Kulinarische Einwanderer

Im 19. Jahrhundert kamen mit dem verstärkten Anbau in den Kolonien neue Genüsse nach Europa: Zuckerrohr, Tee, Kaffee, Kakao und Gewürze wie Vanille und Zimt, Pfeffer und Muskat. Die Luxusgüter bereicherten zunächst die Tafeln des Adels und später auch die Tische des gehobenen Bürgertums. Um die Nachfrage nach den begehrten Südfrüchten zu stillen, wurden Orangen in der Gegend um Valencia angebaut und zunächst auf Segelschiffen von Spanien gen Norden gebracht.

Später konnten mit den Kühlschiffen Fisch aus dem Atlantik und Fleisch aus Argentinien auch in den deutschen Südwesten transportiert werden. Die Firma WMF baute 1912 in Geislingen eine Fischhalle, um die Mitarbeiter mit Seefisch zu versorgen.

Ulmer Spargel und Bühler Zwetschge als Exportschlager

Umgekehrt ermöglichten die neuen Konservierungstechniken und die Transportmöglichkeiten mit der Eisenbahn, Spezialitäten der Region ins Ausland zu exportieren. So entwickelte sich das badische Bühl vor allem dank der Bühler Frühzwetschge zum bedeutendsten Obstmarkt Deutschlands. 1884 fuhr der erste Eisenbahnwagen mit rund 100 Zentnern Bühler Frühzwetschgen nach Köln. Zunächst noch wurden die Früchte in handgefertigten großen Weidenkörben transportiert. Ab 1920 gab es dafür eigens entwickelte Spankörbe. Über 100 Jahre wude die blaue Frucht darin ins Rheinland und ins Ruhrgebiet, nach Hamburg und Berlin und sogar über die Reichsgrenzen hinweg geliefert.

Gewinnträchtig für eine ganze Region erwies sich auch eine Delikatesse aus der Schlossküche. In Schwetzingen wurde 1853 die weltweit erste Spargelgenossenschaft gegründet. 1875 spezialisierte sich Max Bassermann in seiner neuen Konservenfabrik auf Spargel in Dosen, der ebenfalls weit über die Region hinaus geliefert wurde.

Ein ähnlicher Exportschlager wurde der einst weltweit bekannte Ulmer Spargel. Heute ist er nahezu in Vergessenheit geraten. Seine einstige wirtschaftliche Bedeutung wird in dem 1856 erschienenen Buch „Ulmer Gemüsegärtner“ deutlich: „An Spargelfechsern [jungen Spargelpflanzen, F.W.], welche in früheren Jahren nur nach der Schweiz, nach Bayern, Oesterreich versendet werden, erstreckt sich jetzt der hauptsächlichste Handel noch nach Frankreich, Norddeutschland und Amerika, so dass oft kaum die 2-300.000 Stück, welche alljährlich gebaut werden, hinreichen, um alle Betellungen zu befriedigen.“

Und auch manch exquisites Nischenprodukt eignete sich fürs Auslandsgeschäft. So machte ein luftiges Naschwerk eine kleine Fürstenresidenz in Hohenlohe europaweit bekannt. Die Langenburger Wibele, ein zartes Biskuitgebäck in der typischen Tropfenform, wurde sogar bis an den Zarenhof nach Russland geliefert.

Mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft, von den Selbstversorgern zu Verbrauchern ist Südwestdeutschland ebenso wie das Deutsche Reich insgesamt seit den 1890er Jahren zunehmend auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Mit den neuen Konservierungsmöglichkeiten und Kühltechniken, dem Ausbau von Eisenbahnnetzen und Straßen, dem Einsatz von Schiffen und Flugzeugen und der gleichzeitigen Massenproduktion wird die Lebensmittelversorgung immer globaler. Heute kommen die Orangen aus Brasilien, die Bananen aus Ecuador, das Lammfleisch aus Neuseeland, der Fisch von der Beringsee und das Apfelsaftkonzentrat aus China.

Bei Ein- und Ausfuhren weltweit an dritter Stelle

Deutschland ist weltweit der drittgrößte Agrarimporteur, vor allem von Milch und Milcherzeugnissen, Fleisch und Fisch sowie verarbeitetem Obst und Gemüse. 2019 wurden Nahrungsmittel im Wert von fast 50 Milliarden Euro eingeführt. Aber auch Futtermittel werden importiert – hauptsächlich Sojaeiweiß, das an Schweine und Geflügel verfüttert wird. Der Weltmarkt ist ein Kreislauf. Die Hälfte des in Deutschland geschlachteten Fleisches wird, so die jüngsten Zahlen des Bundesernährungsministeriums für 2019, wieder ausgeführt. Und noch ein paar weitere Zahlen lohnen der Betrachtung.

Beim Agrarexport steht Deutschland hinter den USA und den Niederlanden weltweit an dritter Stelle. Rund ein Drittel der Gesamtproduktion der deutschen Landwirtschaft wird ausgeführt. Ein Drittel ihres Umsatzes macht auch die deutsche Lebensmittelindustrie im Ausland. 80 Prozent der Waren gehen in EU-Länder, vor allem. in die Niederlande mit dem Hafen in Rotterdam als Drehscheibe für den Weltmarkt und nach Frankreich. Fleisch und Süßigkeiten machen ein Drittel der Exporte aus, dann kommen Milcherzeugnisse und Backwaren. Nach Frankreich gehen vor allem Schokolade und Pralinen. China ist außerhalb Europas der größte Abnehmer für Fleisch und Milchprodukte. Ins Ausland werden auch Teile der Tiere, die hierzulande nicht mehr gefragt sind, sowie Innereien exportiert. In China etwa gelten Hühnerfüße und Schweinsohren als Delikatesse.

Umgekehrt hat sich China zum größten Obst- und Gemüseproduzenten der Welt entwickelt: Apfelsaftkonzentrat, Dosenmandarinen, Tomatenmark, aber auch Teigrohlinge und Früchtekonzentrat für Marmelade und Joghurt. Durch die weltweite Arbeitsteilung hat Tiefkühlfisch heute oft schon eine Weltreise hinter sich, bevor er in den heimischen Supermarkt kommt. Gefangen werden viele Hochseefische in der Beringsee vor den Küsten Alaskas und Russlands. Gleich nach dem Fang werden sie eingefroren und auf Frachtschiffen nach China transportiert. Dort werden sie aufgetaut, zerlegt, abermals eingefroren und zum Bestimmungsort transportiert. Kritiker wie Greenpeace bemängeln die anderen Qualitätsstandards und Hygienevorschriften, die niedrigeren Grenzwerte und den großzügigeren Umgang mit Pestiziden. 2012 lösten mit dem Norovirus infizierte Erdbeeren aus China die größte durch Lebensmittel verursachte Krankheitswelle in Deutschland aus. Über 11.000 Kinder und Erwachsene erkrankten an Brechdurchfall nach einem Nachtisch in der Kantine.

Der Preis des Überflusses

>Gemüsegroßhandlung in Karlsruhe, 1950 (Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe)
Obst- und Gemüsegroßhandlung Georg Häußer in der Schlachthausstraße 13,  1950 [Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe. Bildarchiv Schlesiger]

Die Wege, die ein zubereitetes Lebensmittel bis zum Verbraucher zurücklegt, werden durch günstige Transport- und Produktionskosten in anderen Ländern immer länger. Der niedrige Preis zieht hohe Umweltkosten nach sich. Durch die globalisierte Lebensmittelversorgung und die weltweite Arbeitsteilung sammelt etwa ein Joghurt tausende von Kilometern an, bevor er im Kühlregal landet. Zur Milch aus Bauernhöfen der Umgebung kommen die Bakterienkulturen aus Schleswig-Holstein. Die Erdbeeren aus Polen werden in Aachen zubereitet und in Gläser abgefüllt, die in Bayern hergestellt wurden.

Heute ist eine Fülle von Lebensmitteln jederzeit unabhängig von der Jahreszeit und der Region verfügbar. Davon landet ein Drittel in der Tonne. Statistisch werden in Deutschland 75 Kilogramm Nahrungsmittel pro Kopf und Jahr einfach weggeworfen: zu viel produziert, zu viel eingekauft, zu schrumpelig, weil es die Lebensmittelverordnung verlangt.

70 Prozent der Lebensmittel kommen aus industrieller Fertigung als verarbeitetes Produkt zum Verbraucher. Oft ist kaum nachvollziehbar, wo das Lebensmittel gewachsen ist, unter welchen Umständen und wie und mit welchen Inhaltsstoffen es hergestellt wird. Inzwischen mehren sich die kritischen Stimmen gegen die globalisierte Nahrungsmittelproduktion und die Verschwendung von Lebensmitteln. Organisationen wie Greenpeace und Verbraucherverbände fordern faire Herstellungsbedingungen und aussagekräftige Kennzeichnungen, Initiativen wie Solidarische Landwirtschaft, Klimaschützer und Foodsharing propagieren saisonale Lebensmittel aus der Nähe und einen achtsameren Umgang mit unserem Essen. Noch nie haben Menschen in der westlichen Welt mit so einem Nahrungsüberfluss gelebt. In früheren Zeiten war Essen für viele Menschen oft keine Frage von Genuss und Gesundheit, sondern von Leben und Tod. Aus Not wurde auch Schimmeliges und bereits Verdorbenes gegessen. Die Qualität des Wassers war miserabel, Hunger oft allgegenwärtig. Heute geht es nicht mehr um die Menge, aber um die Güte des Essens. Der globale Handel und die weltweite Lebensmittelindustrie werfen viele Fragen auf und führen zu Konflikten.

Literatur

 

Zitierhinweis: Felicitas Wehnert, Essen aus der ganzen Welt, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 08.08.2020

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