Die Gutacher Tracht

Von Carmen Anton

Trachtenhut aus dem Gutachtal: Roter Bollenhut , 19. Jahrhundert [Quelle: Badisches Landesmuseum Karlsruhe]
Trachtenhut aus dem Gutachtal: Roter Bollenhut, 19. Jahrhundert [Quelle: Badisches Landesmuseum Karlsruhe]

Die Tracht des badischen Kinzigtals gehört in Deutschland und der Welt zu den wohl bekanntesten Darstellungen deutscher Trachten. Schon im 19. Jahrhundert avancierte der ihr zugehörige sogenannte Bollenhut zum Wahrzeichen des Schwarzwaldes und wird bis heute vor allem im touristischen Bereich als stilisiertes Erkennungs- und Werbesymbol verwandt. Nach ihm nennt man die Tracht der kleinen, seit 1534 protestantischen Enklave im sonst vorrangig katholischen Süd-Schwarzwald auch die „Bollenhuttracht“ sowie die ihr zugehörigen Ortslagen die „Bollenhutdörfer“. Alternativ kennt man die auffällige Gewandung auch als die Gutacher Tracht, benannt nach dem größten der drei Dörfer Gutach, Kirnbach und Hornberg-Reichenbach, die sie tragen.

Gutach gehörte bis 1810 dem in der Reformation evangelisch gewordenen Württemberg an, ehe es wieder an Baden fiel. Aufgrund der konfessionellen Isolation der Kinzigtaler Protestanten ist es naheliegend, dass ihre Tracht vor allem dem Zweck diente sich einerseits von den umliegenden Katholiken abzugrenzen und andererseits die Zugehörigkeit untereinander zu demonstrieren. Dies drückt sich vor allem in dem sehr eindrücklichen, sich von den benachbarten Trachten auffällig abhebenden Hut aus. Die Gutacher Tracht gilt gemeinhin als eine der ältesten ihrer Art im ganzen Schwarzwald. Ihre Ursprünge reichen bis ins 17. oder gar 16. Jahrhundert zurück.

Überregionale Bekanntheit erlangte die Gutacher Tracht erstmals durch Maler, welche das kleidsame Ensemble als Motiv für ihre Werke entdeckten und von circa 1880 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 sogar eine Gutacher Künstlerkolonie bildeten. Es entstanden romantische, heimatnostalgische Gemälde der Schwarzwälder Landschaft im Einklang mit der Gutacher Tracht, welche Eingang als Illustration zahlreicher Zeitschriften und Postkarten fand und sich über diese Kanäle als Assoziation mit dem Schwarzwald als Ganzem verbreitete. Verschärft wurde diese Entwicklung noch durch die Heimatfilme der 50er- und 60er-Jahre, welche die Kontinuität dieses Motives weiterführten, allen voran im ersten deutschen Farbfilm der Nachkriegszeit, dem „Schwarzwaldmädel“ von 1950, der ein Millionenpublikum in die deutschen Kinos zog. Der Farbfilm vervielfachte die bereits durch die ihm zugrundeliegende Operette aus der Feder von Léon Jessel und August Neidhardt verbreitete Popularität des Stoffes. 1917 uraufgeführt, fand der Bollenhut schon sehr bald auch auf der Bühne Verwendung. Eine ästhetische Entscheidung, welche auch für die Leinwand übernommen wurde.

Auch Antizipation aus höchsten Kreisen trug zeitgenössisch zur Verbreitung der Gutacher Tracht bei. So zeigte sich die aus Berlin stammende Großherzogin Luise von Baden bei einem Aufenthalt im Schwarzwald 1860 selbst mit Bollenhut und Tracht, wodurch Elemente des Bauerngewandes – allen voran der Kopfputz – allmählich in die lokale Mode der städtischen Oberschicht diffundierten.

Die tatsächliche Verbreitung der Tracht steht dabei in starkem Gegensatz zum Umfang ihrer künstlerischen Rezeption und Projektion auf den gesamten Schwarzwald.

Das Erscheinungsbild der Bollenhuttracht

Gutacher Hochzeit, circa 1900-1940 [Quelle: Badisches Landesmuseum Karlsruhe]
Gutacher Hochzeit, circa 1900-1940 [Quelle: Badisches Landesmuseum Karlsruhe]
Charakteristisch für die Gutacher Damen-Tracht sind die kurzen, mit Spitzen gesäumten und über dem Ellenbogen gebundenen, weißen Puffärmel der Bluse aus Linon, einem Baumwollgewebe, unter dem schwarzen Kleid. Dieses besteht aus einem mit bunten Blumenmotiven bestickten, früher mit eingewebten Mustern verzierten Samtmieder, dem "Libli", und einem von der Taille bis zu den Waden reichenden Wiefelrock. Das Libli liegt eng an und ist an dem Rock festgenäht. Es ist ärmellos und der viereckige Ausschnitt ist hoch geschlossen. 
Der Rock besteht aus einem Mischgewebe von Wolle, Flachs oder Hanf, über dem eine ebenfalls schwarze Seidenschürze getragen wird. Rock und Schürze sind beide gefältet. Historisch war das Libli ursprünglich vorne zu schnüren. Heutzutage ist es jedoch augenscheinlich durchgängig und wird linksseitig mit einem Haftverschluss geschlossen. Ein roter, wollener Unterrock verleiht der Silhouette Fülle. Im 18. und 19. Jahrhundert war der Unterrock noch etwas länger als der Überrock und blieb so durch einen schmalen roten Streifen sichtbar.

Somit erfüllte er damals nicht einzig die Funktion, seine Trägerin zu wärmen und die Form der Tracht zu gewährleisten, sondern war auch ästhetisch in das Gesamtbild eingebunden.
Darunter gehören weiße, handgestrickte Kniestrümpfe aus Angorawolle und schwarze, flache Halbschuhe aus Leder, die sogenannten "Watschen".

Hinzu kommt das "Goller", auch "Göller", ein von Hand besticktes, mit Flitter in silber und rot verziertes Halsmäntelchen in rechteckiger Form mit Stehkragen, das vom Hals bis etwa zum Ansatz der Achselhöhle reicht. Befestigt wird es mit zwei Bändern, je eines rechts und links. Zur Dekoration wird das Goller mit bestickten Samtbändern benäht. Dabei richtet sich die Farbe der Bänder der Literatur folgend nach dem Lebensalter der Frau. Von jung zu alt lautet die Abfolge rot, grün, blau, violett und schließlich schwarz. Alternativ geben manche Autoren auch Grün als die Farbe der Verheirateten, Schwarz als Variation für Traueranlässe an. Ebenfalls entfällt bei manchen Verfassern die Variante des blauen Goller, während rot und violett beide als Farbe der jungen, ledigen Mädchen zusammenfallen.

Bis heute gängige Motive zur Zierde des Gollers sind vor allem Heilszeichen wie Sonnensymbol und Lebensbaum. Letzterer, dargestellt in Form einer Tanne, stellt den unmittelbaren Bezug zu den zumeist in der Waldwirtschaft tätigen Schwarzwaldbauern und der traditionellen Bedeutung des Holzes für ihr Leben her.

Komplettiert wird die Tracht je nach Anlass entweder durch den Schäppel der Jungfrauen und Bräute oder aber den bereits erwähnten Bollenhut, welcher stets über einer schwarzen, unter dem Kinn und über der Stirn zu bindenden Haube aus Seidendamast mit Tüllspitzenrand getragen wird. Mädchen vor der Konfirmation im Generellen und ledige Frauen zu Werktagen tragen die Haube auch ohne Hut.

Bei dem Bollenhut handelt es sich um einen mit Kalk verstärkten Strohhut, auf dem insgesamt 14 Wollrosen – die sogenannten Bollen – angebracht werden. Drei von ihnen werden indes von den anderen 11 im Arrangement verborgen und sind darum von außen nicht ersichtlich. Auch hier unterscheidet die Farbgebung nach Zivilstand: Rote Bollen, welche in der Regel auch in den schematischen Darstellungen des Hutes rezipiert werden, verweisen auf eine ledige Trägerin, wohingegen schwarze Bollen Verheiratete oder Witwen anzeigen.

Wurde der Bollenhut früher als Kirchenhut und auch Sonntagshut genutzt, so wird er heute bloß noch von sehr traditionsbewussten Frauen zu besonderen Hochfesten getragen. Zum üblichen Anblick beim sonntäglichen Kirchgang zählt er indes nicht mehr.

Zum roten Bollenhut und dem Schäppel tragen Frauen das sogenannte „Mäschle“ mit den „Spiegele“ zum Hut. Hierbei handelt es sich um einen aus Perlen und Flitter geflochtenen Zopf zur Zier, der an der eigenen Frisur befestigt wird und in seinem Zentrum einen Spiegel birgt. Dem Schäppel gleich soll dieses Arrangement böse Geister fernhalten, indem sich diese im Spiegel vor ihrem eigenen Angesicht erschrecken. Früher wurde das Haar unter dem Bollenhut der ledigen Mädchen traditionell in zwei Zöpfen über den Rücken gelegt. Heutzutage jedoch sind die Frisuren dem individuellen Geschmack überlassen. Gängig ist es damals wie heute, dass violette, bis etwa zum Rocksaum reichende Bänder in die Haare eingeflochten werden.
Je nach Gelegenheit und Witterung wird der sogenannte Schoben, eine eng anliegende, kurze schwarze Jacke, über dem Kleid getragen. Alternativ kann an seine Stelle auch der in der Regel aus kostengünstigerem Stoff gefertigte „Peter“ treten.

Trägt die Frau die sogenannte „Schäppeltracht“, werden auch weitere Bestandteile des Ensembles variiert. Dazu gehört die opulente weiße „Schäppelkrause“, ein eng am Hals anliegender, ausladender Rüschenkragen, wie er jenem der Gelehrten und Geistlichen im Barock nachempfunden ist. Ergänzt wird diese Sonderform der Tracht zuletzt durch den Schäppelgürtel. Dieser besteht aus sieben aus Silberdraht geflochtenen Ketten, an welchen kleine, runde Spiegel eingearbeitet sind. Er wird um die Rocktaille geschlungen.

Herren tragen, ebenso wie die Damen, eine primär von Schwarz geprägte Tracht. Diese besteht neben schwarzer Hose und weißem, langärmeligem Leinenhemd aus einer schwarzen, zweireihigen Samtweste mit Revers sowie schwarzer Krawatte und gleichfarbigem Samthut mit rundem Kopfteil und breiter Krempe. Ein knielanger Mantel komplettiert die Herrentracht. Dessen Farbe und Material ist in den Bollenhutdörfern allerdings nicht einheitlich. In Gutach handelt es sich um einen schwarzen Samtmantel mit rotem Futter, welches aus dem selben Stoff wie der Unterrock der Frauen besteht, wohingegen in Reichenbach ein blauer Tuchmantel mit grünem Futter getragen wird.

Der Ursprung des Bollenhuts

Schwarzwälder Trachten, Frauen und Mädchen mit den unterschiedlichen Kopfbedeckungen der Bollenhuttracht, circa 1955-1965 [Quellet: Badisches Landesmuseum Karlsruhe]
Schwarzwälder Trachten, Frauen und Mädchen mit den unterschiedlichen Kopfbedeckungen der Bollenhuttracht, circa 1955-1965 [Quelle: Badisches Landesmuseum Karlsruhe]

Aufgrund der heute herausragenden Bedeutung des Bollenhuts als Erkennungszeichen des Schwarzwaldes liegt es nahe, die Frage nach seiner Herkunft aufzuwerfen. Diese führt zurück bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts. Glas- und Urhändler brachten damals Strohhüte und das Strohflechten als Handwerk aus Italien in den Schwarzwald mit. Schnell entwickelte sich der Strohhut zur gängigen Kopfbedeckung für Herren und Damen gleichermaßen als Sonnenschutz bei der Arbeit. Ferner fand er ebenfalls Einzug in einige Trachtentraditionen. So auch in Gutach, Kirnbach und Hornberg-Reichenbach. Um 1800 schließlich entstand der heute geläufige Bollenhut aus einem Vorläufer mit aufgemalten roten und schwarzen Kreisen. Er entwickelte sich weiter, bis die Bollen ab etwa 1880 sprunghaft an Größe gewannen und so massiv wurden, dass der Hut bloß noch mit Kalk und Leim gestärkt in der Lage war, sie zu tragen. Ab circa 1900 erreichte der Bollenhut schließlich seine finale, heute noch gebräuchliche Form.

Diese Entwicklung ist im Kontext mit einer ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzogenen Gewerbeförderung für das Strohflechtergewerbe im Schwarzwald zu betrachten. Verfügbarkeit von Material und Wissen um die Herstellungsweise erleichterten dem damals neumodischen Hut die Verbreitung in der Region.

Somit lässt sich in der Gestaltung der Tracht eine klare Verschmelzung bereits in ihrer Entstehungszeit historischer Elemente, wie dem dem Barock entlehnten Kragen, mit seinerzeit modernen Modeerscheinungen beobachten. Das Resultat ist eine einzigartige, distinkte Kleidung, deren Wiedererkennungswert sich durch die Jahrhunderte hindurch bis heute erhalten hat.

Die Anfertigung eines authentischen Bollenhutes wird nur von einigen wenigen Frauen der Region vorgenommen. Die Details des Handwerks, welches in Heimarbeit erfolgt, sind ein wohl gehütetes Geheimnis, das einstmals sogar auszusterben drohte, als die letzten beiden Frauen, die darum wussten, verstarben, ohne es weitergegeben zu haben. Allerdings gelang es der Modistin Emma Falk-Breitenbach die notwendigen Abläufe zu rekonstruieren. Stand 2014 gibt es noch drei Bollenhutmacherinnen, die auf diesen Einsichten aufbauend ihr Handwerk betreiben. Sie produzieren ausschließlich für einheimische und eingeheiratete Frauen ihrer Trachtenregion.

Ein solcher handgemachter Bollenhut kostet in etwa 2.000 Euro. Für die Tourismusindustrie werden jedoch günstigere, von der Vorlage partiell abweichende Exemplare hergestellt, die sowohl als Kopfbedeckung wie auch als Wandschmuck erworben werden. Diese kosten gewöhnlich einen Bruchteil des Preises eines Originals.

Die Geheimhaltung des Handwerks sicherte historisch den Hutmacherinnen nicht nur ihren Beruf in einer Zeit, als chinesische, industriell gefertigte Massenware ab dem Ende des 19. Jahrhunderts viele andere Handarbeiterinnen der Strohhutproduktion ausstachen, sie hielt vor allem auch den Preis konstant hoch und trug zum „Mythos Bollenhut“ ihren Teil bei. Im 19. Jahrhundert betrug der Jahresbedarf an Bollenhüten etwa 250 Stück, ergänzt um Miniaturvariante, welche von den Hutmacherinnen für Puppen gefertigt wurden.

Die Faszination für den höchst distinkten Hut endet allerdings nicht bei Traditionsbewusstsein, Heimatfilmen und Souvenirs. So präsentierte die Modedesignerin Diana von Fürstenberg beispielsweise auf der New Yorker Fashion Week 2009 eine vom Bollenhut inspirierte Kopfschmuckkreation.

Literatur

  • Barth, Ansgar, Die Bollenhut-Tracht als Wahrzeichen von Gutach, in: Gemeine Gutach (Hrsg.), Gutach. Heimat der Bollenhut-tracht. Brauchtum und bäuerliche Lebenswelt, Konstanz 2000, S. 19 – 30.
  • Landesverband der Heimat- und Trachtenverbände Baden-Württemberg e.V. (Hrsg.), Trachtenvielfalt in Baden-Württemberg, Neckartailfingen 2016.
  • Mager, Siegfried/Faisst, Karl-Heinz, Vereinstrachten im Trachtengau Schwarzwald,  Zimmern 2011.
  • Schmidt, Doris, Schwarzwald. Roter Bollenhut – Tracht und Marke, in: Kleidungskulturen der Welt, Band 3, Baltmannsweiler 2015.

 

Zitierhinweis: Carmen Anton, Die Gutacher Tracht, in: Alltagskultur im Südwesten. URL: [...], Stand: 08.08.2020

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