Die Sammlung Eckert des Badischen Landesmuseums

Von Tilmann Bruhn, Badisches Landesmuseum

Brautkrone aus Unadingen (Schäppel)
Brautkrone aus Unadingen, auch Schäppel genannt, 19. Jahrhundert [Quelle: Badisches Landesmuseum, Sammlung Eckert]

Kultur im stetigen Wandel

Das 19. Jahrhundert war eine Zeit der Umbrüche. In Folge der französischen Revolution von 1789 veränderte sich das politische Leben in Europa, der Ausbau von Transportwegen und die um sich greifende Industrialisierung wandelte das ökonomische und gesellschaftliche Leben grundlegend. Eine zunehmende Urbanisierung sorgte im Zusammenspiel mit höheren Lebensstandards für die Entwicklung von bürgerlichen Lebenswelten. All diese Veränderungen hatten auch Auswirkungen auf die Welt der Dinge – auf die materielle Kultur, die jeden Menschen zu jeder Zeit in seinem Alltag umgibt. Kleidungsgewohnheiten änderten sich, Kleidungsvorschriften, wie sie noch in feudal geprägten Gesellschaften bestanden, waren nicht mehr vorhanden. Während Kleidung im 17. und 18. Jahrhundert noch stärker vom eigenen sozialen Stand und regionalen Ausprägungen bestimmt war, normierten sie sich im 19. Jahrhundert zunehmend in Richtung eines städtisch geprägten Stils. Die Industrialisierung hatte nicht nur Auswirkungen auf die Produktion von Sachgütern, sondern zog mit verschiedenen Annehmlichkeiten auch schnell in den persönlichen Haushalt ein. Gegenstände des alltäglichen Lebens veränderten sich, wurden optimiert oder neu erfunden und früher noch viel genutzte Geräte wurden nutzlos oder ineffizient. Die Produktion von Lebensmitteln und Verbrauchsgegenständen wurde immer öfter in spezialisierte Gewerke ausgelagert, statt sie in heimischer Eigenarbeit herzustellen.

Das Fremde und das Eigene – Erforschen und Abbilden

Handlaterne
Handlaterne, 19. Jahrhundert [Quelle: Sammlung Eckert, Badisches Landesmuseum]

Die Entwicklung von bürgerlichen Gesellschaftsstrukturen wurde begleitet von der Entstehung verschiedener akademischer Wissenschaften, die dem wachsenden Bedürfnis Geltung tragen sollten, eigene und fremde Kultur verstehen und erklären zu wollen. Es war die Blütezeit von kulturwissenschaftlichen Fächern, wie wir sie heute noch kennen: Archäologie, Geschichtswissenschaften, Kunstwissenschaft und ethnografischen Fächern, damals unter den Namen „Völkerkunde“ und „Volkskunde“. Die Völkerkunde hatte den Auftrag, außereuropäische Kulturen zu beschreiben und zu erforschen, während die Volkskunde sich mit den kulturellen Äußerungen im deutschsprachigen Raum befassen sollte. Die sich professionalisierenden Kulturwissenschaften entwickelten das Bedürfnis, ihre Studieninhalte mit materiellen Zeugnissen zu hinterfüttern – man sammelte Dinge als Beleg für die eigenen Erklärungen von kulturellen Phänomenen. In diesem Umfeld entstanden bürgerliche, regionale und staatliche Sammlungen und schnell kam der Wunsch auf, die angesammelten Objekte öffentlich zu zeigen. Im 19. Jahrhundert, einer Zeit des Aufbruchs und des Wandels, entwickelte sich die Institution Museum, wie wir sie in ihren Grundzügen noch heute kennen. Die Sammlungen dieses Jahrhunderts haben einen maßgeblichen Einfluss auf die heute noch bestehen öffentlichen Sammlungen und unseren Blick auf die materielle Kultur dieser Zeit.

Ein materielles Abbild Badens

 Georg Maria Eckert (1828-1901), Quelle: Badisches Landesmuseum
Georg Maria Eckert (1828-1901) [Quelle: Badisches Landesmuseum]

In Baden entstanden die „Großherzoglichen Sammlungen für Altertums- und Völkerkunde“: Während zunächst noch ein Augenmerk auf Objekte der klassischen Antike und außereuropäischer Herkunft gelegt wurde, entwickelte sich schon ab den 1860er Jahren das Bedürfnis, auch die eigene Kultur zu dokumentieren und ihre materiellen Erzeugnisse zu sammeln. Allerdings wurde nicht versucht, durch das Sammeln ein getreues Abbild des Alltags der Menschen herzustellen. Vielmehr waren es akademisch geprägte, in größeren Städten lebende Eliten, die die Ursprünglichkeit der eigenen Kultur in einer romantischen Verklärung von ländlicher Kultur suchten. Ländliches Leben und seine ästhetischen Äußerungen wurden von der entstehenden Volkskunde idealisiert – auch das zeigt sich in den frühen volkskundlichen Sammlungen. Wer die treibende Kraft hinter diesen Sammlungsbestrebungen war, lässt sich nicht eindeutig bestimmen: Es war ein komplexes Wechselverhältnis von Interessenlagen von politischen Verantwortungsträgern, akademischen Wissenschaften und einer bürgerlich geprägten Öffentlichkeit. In der Folge wurden ethnografische Sammlungen immer strategischer angelegt, man versuchte, ganze Regionen sammlerisch abzubilden.

1890 erhielt der in Heidelberg geborene Landschaftsmaler Georg Maria Eckert (1828–1901) den Auftrag, für die Karlsruher Bestände des Großherzogs eine „Sammlung vaterländischer Trachten und Hausgeräthe“ anzufertigen. Eckert versuchte auf mehreren Reisen durch das Großherzogtum Baden möglichst alle regionalspezifischen Eigenheiten materiell abzubilden – für die damalige Zeit bedeutete das insbesondere: das Sammeln von Trachten. Die bäuerliche Festkleidung, die sich in ihrer von uns heute als traditionell wahrgenommen Ausgestaltung erst am Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte, war Inbegriff eines Abbilds von Regionalkultur. Bis 1900 sammelte Eckert über 1.000 Objekte ländlicher Kultur, wovon mehr als die Hälfte aus Trachtenstücken bestand. Sie sind heute ein materieller Beleg für ein zeitgebundenes Verständnis der eigenen Kultur, von Selbstzuschreibungen und Selbstidentifikation und einer historischen Interpretation von Regionalität. Die von Eckert gesammelten Hausgeräte sollten einem Wandel von alltäglicher Kultur begegnen, der sich im 19. Jahrhundert nicht nur im öffentlichen Raum abspielte, sondern auch grundlegende Auswirkungen auf die private Lebenswelt des Haushalts hatte. Eckert versuchte, Nutzgegenstände des 18. und 19. Jahrhunderts zu sammeln, die an der Schwelle zum 20. Jahrhundert nicht mehr oder nur noch selten im alltäglichen Gebrauch waren. Historizität war neben Regionalität ein maßgebliches Kriterium für die Auswahl der Objekte für volkskundliche Sammlungen. Diese Auswahlmechanismen waren jedoch nicht nur subjektiv geprägt, sondern auch von den gesellschaftlichen Trends der Ästhetik.

Sammlungen als Abbild der Vergangenheit für die Zukunft

Die Recherche in der digital präsentierten Sammlung Eckert des Badischen Landesmuseums bietet den Nutzern die Möglichkeit, eine historische Wahrnehmung der Regionen Badens nachzuvollziehen. Durch die Betrachtung eines historisch geformten materiellen Abbilds der eigenen Kultur, lässt sich auch heute die Selbstwahrnehmung erweitern und hinterfragen: Welche Dinge und Praktiken sind für unsere Kultur im hier und jetzt bezeichnend? Wie verorten wir uns in den Städten und Regionen in denen wir leben? Welche Kultur(en) schreiben wir uns selbst zu?

Literatur

  • Bruhn, Tilmann, Im Auftrag seiner Majestät. Der Maler, Fotograf, Sammler Georg Maria Eckert auf Reisen für den badischen Großherzog, in: Momente 1/2018 (Beiträge zur Landeskunde von Baden-Württemberg), Stuttgart 2018, S. 2–4.
  • Eberle, Sandra, Georg Maria Eckert. Ein badischer Fotograf im Dienst der Kunst, in: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hg.), Historische Ansichten – Glanzvolle Aussichten. Die Bruchsaler Prunkräume vor der Zerstörung. Worms 2006, S. 53–59.
  • Vögely, Ludwig, Aus dem Tagebuch des Landschaftsmalers und Trachtensammlers Georg Maria Eckert (1828–1901), in: Badische Heimat, Heft 70 (1990), S. 493–509.
  • Wagner, Ernst, Georg Maria Eckert. Nachruf aus der Karlsruher Zeitung vom 05.02.1901, in: Weech, Friderich von und Krieger, Adalbert (Hg.), Badische Biographien, Bd. 5, Teil 1, Heidelberg 1906, S. 128-130.

Zitierhinweis: Tilmann Bruhn, Die Sammlung Eckert des Badischen Landesmuseums, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 08.08.2020

 

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