Das Fürsorgeheim Oberurbach

von Gabriele Benning

 

Das Jugendheim Oberurbach

Das Jugendheim Oberurbach wurde im ehemaligen "Schlößle" von Oberurbach, am Rand des alten Ortskerns gelegen, errichtet. Das gesamte Schlossgelände war von einer Mauer umgeben. Oberurbach, heute ein Ortsteil von Urbach, liegt in einer breiten Stelle des Remstals zwischen den Ausläufern des Welzheimer Waldes im Norden und des Schurwaldes im Süden, etwa 4 km östlich von Schorndorf und 20 km östlich von Waiblingen im Rems-Murr-Kreis.

Das ehemalige Jugendheim, ein Erziehungsheim für schwererziehbare, verwahrloste Mädchen, wird im Volksmund nach wie vor schlicht als „Anstalt“ bezeichnet. Es genoss immer einen besonderen, bisweilen geheimnisumwitterten Ruf, nicht nur wegen seines vollkommenen Eigenlebens, sondern auch durch die unüberwindbaren Zugangsbarrieren. Dennoch gehörte es zum Ort und nahm in Oberurbach stets eine bedeutende Stellung ein.

Das Heim in Oberurbach bestand aus einem Hauptbau, dem Schloss, mit einem lang gestreckten Anbau im Osten. Dort waren unter anderem ein Werkraum und eine Lehrküche untergebracht. Dem Schloss gegenüber, am anderen Ende des Grundstücks, lag das zweite Anstaltsgebäude, der sogenannte „Burkhardtsbau“. Innerhalb der Mauern befanden sich darüber hinaus verschiedene Nebengebäude wie ein Stall, ein Schuppen, Garagen und ein großer Garten. Der gesamte Schlosskomplex umfasste circa 1,35 Hektar. Später kamen zwei weitere Gebäude mit Personalwohnungen hinzu, die außerhalb des Schlossareals lagen.

Die Unterstützung von Armen, Bedürftigen und kriminell gewordenen Menschen begann schon im Mittelalter in Form von Spitälern und Armenhäusern. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wandelte sich die reine Fürsorge hin zu einer „Disziplinierung“ dieser Bevölkerungsschicht. Auf Grund des Gedankens, eine Erziehung und Verbesserung der Menschen durch Arbeit und Disziplin zu erreichen, entstanden die ersten Zucht- und Arbeitshäuser. Das Ziel der sogenannten Rettungshausbewegung zu Anfang des 19. Jahrhunderts, die sich um die Unterstützung und Ausbildung von Kindern und jungen Menschen in Armutslagen kümmerte, war die Menschen zu Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit zu erziehen. Die auf der Straße lebenden Kinder sollten von dort wegkommen und an Arbeit gewöhnt werden, um so ihrer Verwahrlosung vorzubeugen. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die pietistische Erweckungsbewegung, die von jeher gerade im Remstal besonders ausgeprägt war.

An Ostern 1883 gründete ein Komitee, eine Gruppe evangelischer Frauen und Männer, die „Rettungsanstalt für entlassene weibliche Strafgefangene evangelischer Konfession“. Sie fanden in dem früheren Schloss in Oberurbach ein geeignetes Gelände und kauften es. Ein Grund für die Wahl war die Nähe zu Gotteszell (heute ein Stadtteil von Schwäbisch Gmünd), einer Strafanstalt für weibliche Strafgefangene. Für die entlassenen weiblichen Strafgefangenen wollte man damit ein „Asyl“ schaffen, wo sie vorübergehend oder für längere Zeit unterkommen und ihre „Besserung“ festigen konnten.[1] Eine Art Durchgangsstation zwischen Gefängnis und freiem Leben schwebte ihnen vor. Die Anstalt nahm im Oktober 1883 ihren Betrieb auf mit zwei Großheppacher Schwestern als Erzieherinnen und einem „Zögling“.[2]

Bis Mitte des Jahres 1884 hatten schon 18 Frauen das Oberurbacher Heim bezogen. Sie traten freiwillig für ein Jahr ein und arbeiteten in der Haus- und Landwirtschaft. Das Leben war religiös ausgerichtet, die Erziehung darauf bedacht, die Frauen als Dienstmädchen auszubilden. Obwohl das Kostgeld für die Frauen größtenteils der „Verein zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene“ bezahlte, gab es wirtschaftliche Schwierigkeiten. Um die anfallenden Kosten wenigstens teilweise decken zu können, wurden eine Wäscherei und Näherei betrieben.

Das Komitee entschloss sich 1887, der Anstalt eine Abteilung für schulpflichtige, „entartete und verbrecherische“ Mädchen anzuschließen. Diese Abteilung für kriminell veranlagte Mädchen wurde bis 1920 beibehalten. Für den Schulunterricht der Mädchen wurde ein Lehrer, der sogenannte Hausvater angestellt, der die Schwestern bei den Verwaltungs- und Erziehungsaufgaben unterstützte.

Die Zahl der Mädchen erhöhte sich immer mehr, auch weil gesetzlich festgelegt wurde, dass der Staat für die Erziehung der gefährdeten und verwahrlosten Jugendlichen sorgen müsse. Das Gesetz betreffend der Zwangserziehung Minderjähriger von 1899 verschärfte die Fürsorgeerziehung in Württemberg. Auf dieser Rechtsgrundlage konnten Minderjährige, die „verwahrlost“ waren oder eine Straftat begangen hatten, vom Staat in eine „Anstalt“ oder Familie eingewiesen werden. Infolgedessen wurde der Oberurbacher „Anstalt“ die Qualifikation zugesprochen, diese Fürsorgezöglinge aufzunehmen, für die der Staat das Kostgeld übernahm.

Dass nur noch ein Bruchteil der Mädchen in der Anstalt aus dem Gefängnis kam – die überwiegende Mehrheit machten nun die Fürsorgezöglinge aus –, führte 1911 zu einer Umbenennung der Anstalt. Man strich die Bezeichnung „für Strafgefangene“ aus dem Namen und nannte sie Rettungsanstalt Oberurbach für evangelische Mädchen. Erfahrungsgemäß war es dem späteren Fortkommen der Mädchen schädlich, wenn sie unter dem Verdacht standen, früher Strafgefangene gewesen zu sein. Im gleichen Jahr wurde der „Burkhardtsbau“ für die schulpflichtigen Kinder erbaut, in dem auch die Aufnahmeabteilung, die Kranken- und Geschlechtskrankenstation sowie die Verwaltung des Heimes untergebracht waren.

Nach langen Überlegungen wurde um 1925 für die schwierigen Fälle eine Sonderabteilung für „Schwersterziehbare“im Anbau des Schlosses, dem „Langbau“,errichtet. Die etwa zehn in dieser geschlossenen Abteilung aufgenommenen Mädchen waren im Gebäude eingesperrt und durften nicht in den Garten. Sie wurden von zwei Schwestern betreut, die sich ausschließlich mit ihrer Beaufsichtigung und Erziehung befassten. Gleichzeitig stellte man im Sinne der Reformpädagogik einen Psychiater ein.[3]

1926 wurde die Anstalt erneut umbenannt in „Fürsorgeheim für schulentlassene Mädchen evangelischer Konfession“. Das Wort Rettungsanstalt entsprach nicht mehr dem zeitgemäßen Sprachgebrauch. Unter dem langjährigen Hausvater, Inspektor Gottlieb Fritz, wurde der Fortbildungs- und Haushaltungsunterricht eingeführt, was den Mädchen wesentlich besser gefallen habe als die stupiden Tätigkeiten wie Tüten kleben oder Spielzeugsoldaten bemalen.[4] Auch Aussteuern wurden genäht und das Bügeln erlernt. Diese Fähigkeiten ermöglichten es den Mädchen, später in einem Aussteuer- oder Bügelgeschäft zu arbeiten.[5]

Die Mädchen standen unter ständiger Kontrolle der Schwestern und des Hausvaters. Sie waren einheitlich gekleidet und durften kaum persönliche Dinge besitzen. Ein durchgeplanter Tagesablauf sollte sie an eine geregelte Arbeit gewöhnen. Alle Mädchen hatten gleichzeitig aufzustehen; der Morgenandacht des Inspektors folgten Frühstück und Frühsport. Danach arbeiteten sie in verschiedenen haus- und landwirtschaftlichen Bereichen, in der Waschküche, Näh- und Bügelstube, Küche oder Landwirtschaft. Die Freizeit, zu der schon das Aufstehen und Anziehen am Morgen sowie Gymnastik, Bibel- und Gesangsstunden am Abend zählten, sollte sinnvoll gestaltet werden. Ohne Begleitung einer Aufsichtsperson durften die Mädchen das Gelände nicht verlassen, nur bei gemeinsamen Spaziergängen sonntags oder beim Kirchgang kamen die Mädchen nach draußen.

In der Abteilung für schwangere Mädchen konnten die Mädchen entbinden und ihre Kinder auch bis zum Alter von drei Jahren bei sich im Heim behalten. Um die schwangeren Mädchen kümmerte sich Inspektor Fritz ganz besonders. Ihm war daran gelegen, den Kindern das Schicksal ihrer Mütter zu ersparen.

 

Das Jugendheim während des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit

Änderungen in der Gesetzgebung nach der nationalsozialistischen Machtübernahme führten dazu, dass in Oberurbach 1934 eine von insgesamt vier „Auslesestationen“ des Deutschen Reichs installiert wurde. Alle neu der Fürsorgeerziehung überantworteten schulentlassenen Mädchen kamen dorthin zur Beobachtung. Die „Auslesestationen“ hatten einerseits die Funktion, die Heimform für die Mädchen festzulegen, andererseits wurde dort durch den Landesjugendarzt festgestellt, welches der Mädchen unter das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ fiel. Den betroffenen Mädchen drohte die Sterilisitation.[6] Auf Veranlassung des Innenministers wurde Oberurbach 1935 zu einem Aufnahmeheim für evangelische und katholische Mädchen, wobei die katholischen Mädchen nach der Beobachtungszeit wieder in katholische Heime verlegt werden mussten. 1938 wurde die konfessionsgebundene Erziehung abgeschafft. Finanzielle Engpässe waren in den Jahren 1940–1941 ausschlaggebend, das der Inneren Mission gehörende Oberurbacher Heim an den Württembergischen Landesfürsorgeverband zu verkaufen. Dieser übernahm die Verpflichtung, den evangelischen Charakter des Hauses zu wahren.[7]

Nach 1945 wurden weiterhin Mädchen aufgenommen, für die eine vorläufige oder endgültige Fürsorgeerziehung richterlich angeordnet worden war. Ferner wurden schulentlassene gefährdete Mädchen im Rahmen der Minderjährigenfürsorge oder der Freiwilligen Erziehungshilfe aufgenommen. Zum ersten Mal kam 1952 mit der Wohlfahrtspflegerin Ruth Vollenweider eine Frau an die Spitze des Heims.[8]

Das „Fürsorgeheim für schulentlassene Mädchen“ verfügte 1954 über eine Belegungskapazität für 140 Mädchen einschließlich 20 Kindern. Neben der Heimleiterin und dem Verwaltungsleiter waren in der Aufnahmestation und Krankenabteilung vier Erzieherinnen und eine Krankenschwester tätig, in der Beobachtungsabteilung und den beiden Stammabteilungen waren es zusammen neun Erzieherinnen. Eine Kinderschwester und zwei Erzieherinnen versorgten die Kinder- und Schwangerenabteilung. 1957 lebten dort 102 Mädchen und 17 Kinder, betreut von 20 Personen.[9]

Zu Beginn der 1970er Jahre verzeichneten die Anordnungen von Fürsorgeerziehung zahlenmäßig eine rückläufige Tendenz. Obwohl Oberurbach vermehrt Jugendliche aufnahm, für die Freiwillige Erziehungshilfe gewährt wurde, war das Heim unterbelegt. Auf Grund der maroden Bausubstanz und den ungenügenden räumlichen Gegebenheiten, die eine zeitgemäße Erziehung nicht mehr zuließen, entschloss man sich Ende 1972, das Jugendheim Oberurbach zu schließen.[10] Im April 1973 wurden die Mädchen in das neu gebaute Jugendheim in Reutlingen-Rappertshofen verlegt und blieben dort bis zur endgültigen Schließung des Heims 1986. Noch heute befindet sich in Rappertshofen eine gemeinnützige Einrichtung für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung.

Nachdem die Gebäude in Oberurbach lange leer standen und immer mehr verfielen, kaufte letztendlich die Gemeinde Urbach 1980 das Areal. Das denkmalgeschützte Schloss dient heute als Zentrum für Altenarbeit, darüber hinaus auch als Treffpunkt für kulturelle Veranstaltungen der Gemeinde.[11]

 

Die Überlieferung des Jugendheims Oberurbach

Die Überlieferung des Jugendheims Oberurbach wird im Staatsarchiv Ludwigsburg in den Beständen PL 433 I Landesfürsorgeheim Oberurbach: Personalakten der Heimbewohner und PL 433 II Landesfürsorgeheim Oberurbach: Allgemeinakten verwahrt. Das Schriftgut wurde 2004 vom Behindertenheim Rappertshofen übernommen. Abgegeben wurden sämtliche dort vorhandenen Verwaltungsakten sowie die Personalakten der Heimzöglinge (Zugang 2004/13) aus dem ungefähren Zeitraum 1910–1980.

Die im Bestand PL 433 I zusammengefassten Heimakten bilden 4.026 Einheiten (Büschel) im Umfang von fast 20 Laufmetern, worunter sich auch die Akten von im Heim geborenen Kindern befinden. Mit dem Eintritt in die Anstalt wurde für jedes Mädchen eine Personalakte angelegt. Darin wurden die Berichte über die Mädchen (Schultests, Entwicklungs- und Befundberichte) und der Schriftwechsel mit den Eltern festgehalten, die Beschlüsse der für die Fürsorgeerziehung zuständigen Stellen, die Verhandlungen darüber und die Begründung für die Einweisung in ein Fürsorgeheim. Waren die Mädchen vor ihrer Einweisung nach Oberurbach straffällig geworden, so sind auch noch die entsprechenden gerichtlichen Urteile in der Akte enthalten. Vor allem in den älteren Akten befinden sich zusätzlich noch Geburtsurkunden, Personenbeschreibungen, Fotos und ärztliche Zeugnisse. Mit Hilfe der Akten lässt sich in der Regel sehr detailliert die Aufenthaltszeit der Mädchen im Heim nachvollziehen.

Die Akten über die Kinder, die von den Mädchen in Oberurbach geboren wurden, sind überwiegend dünn. Inhaltlich geht es vorrangig darum, die Kostenfrage zu klären, also wer für die Verpflegungskosten der Kinder aufkommt. Die Akten enthalten demzufolge den Schriftwechsel zwischen Heim und dem jeweiligen Kreisfürsorgeamt beziehungsweise Jugendamt.

Eine Auswertung einiger Heimakten von zwischen 1948 und 1953 in Oberurbach geborenen Kindern zeigt den zeittypischen Umgang mit ledigen, schwangeren Mädchen und ihren Kindern. Die aus dem Heim entlassenen Mädchen kamen entweder zu ihrer Familie oder entfernten Familienangehörigen, oder wurden in fremde Arbeitsstellen vermittelt. Meist lernten sie im jeweiligen Umfeld den Vater ihres Kindes kennen, wurden ungewollt schwanger und wieder nach Oberurbach eingewiesen, wo sie bis zur Entbindung und zunächst auch danach mit ihrem Kind bleiben konnten. Nach ungefähr sechs Monaten entschied sich der weitere Verbleib des Kindes: Kann es mit seiner Mutter nach Hause, nimmt es die bereits aus dem Heim entlassene Mutter zu sich, kommt es in eine Pflegefamilie oder wird es in ein Säuglingsheim verlegt. Spätestens wenn das Kind mit einem Jahr zu alt wurde für die Kleinkinderabteilung in Oberurbach, suchte das Heim oder das Jugendamt nach einer Pflegestelle oder einem Platz in einem Kinderheim. Ein gutes Netzwerk an Kontakten war vorhanden, eine enge Verbindung bestand zu einem Kinderheim in Mistlau bei Kirchberg/Jagst. Im oben genannten Zeitraum kamen auch einige Kinder zur Welt, deren Väter amerikanische Soldaten waren. Sie wurden deswegen häufig, auch wegen ihrer oft dunkleren Hautfarbe, per Adoption in die USA vermittelt.

Erwähnenswert ist ein Fragebogen, der in vielen dieser Akten liegt und penibel ausgefüllt ist. Abgefragt werden die Personalien der Mutter (Name, Geburtsdatum, Geburtsort) und Angaben zu deren Eltern (Name, Beruf und Wohnort, auch Einkommen und Vermögen). Besonders wichtig ist die Frage nach dem Aufenthalt der Kindsmutter in den letzten zwei Jahren: […] „insbesondere wo und bei wem war sie im 10. Monat vor der Geburt des Kindes wohnhaft? Wird der Name des Vaters von der Kindsmutter genannt, wird weiter nachgefragt, ob er die Vaterschaft anerkennt und Wo arbeitet er und wie groß ist sein Verdienst?“ Auch die Frage „Wo will die Kindsmutter das Kind später unterbringen?“ zielt immer auf den entscheidenden Punkt hin: „Wer trägt die Kosten für den Kindesunterhalt?“

Der Bestand PL 433 II enthält die Allgemeinakten aus dem Zeitraum um 1930–1980. Dabei handelt es sich um eine fragmentarische Restüberlieferung mit drei Laufmetern. Die insgesamt 15 Einheiten (Büschel) enthalten nahezu ausschließlich Informationen über die in Oberurbach untergebrachten Mädchen. Andere Aspekte des Jugendheims sind nicht dokumentiert, weder zur Organisation des Heims noch zur Heimleitung und den Mitarbeitern ist Material vorhanden.

Für das Schriftgut über den Heimalltag, die Gebäude und die geschichtliche Entwicklung des Heims können aber weitere Bestände des Staatsarchivs Ludwigsburg als Ersatzüberlieferung dienen: E 180 a II Württembergischer Landesfürsorgeverband, E 191 Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins beziehungsweise für Wohltätigkeit und Bestand EL 90 V Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern.

Das vorhandene Schriftgut (Bü 1–11) bezieht sich auf die Heimzöglinge in Oberurbach. Mithilfe von mehreren Namenskarteien kann ein nahezu lückenloser Nachweis über den Aufenthalt der Mädchen erbracht werden. Die Karteien sind chronologisch angelegt und jeweils alphabetisch (A–Z) sortiert. Sie beginnen im Jahr 1932 und reichen bis um 1980. Eine weitere alphabetisch angelegte Kartei (Bü 12) enthält alle Mädchen, die in gynäkologischer Behandlung waren. In einer Liste (Bü 13) aus dem Zeitraum 1952–1955 sind die Mädchen erfasst, die in Oberurbach entbunden haben. Demnach fanden im Jahr 1952 25 Geburten statt, 1953 waren es 24, 1954 13 und 1955 18 Geburten.

Zwei Fotoalben (Bü 14–15) beschließen diese Überlieferung. Das erste Album setzt mit einer Aufnahme des Schlosses von 1897 und einem Gruppenbild mit allen Zöglingen von 1903 ein. Die Fotos zum Alltag in der Anstalt veranschaulichen den strukturierten Tagesablauf mit Bildern von der Morgengymnastik, aus den Arbeitsbereichen Küche und Näherei, von gemeinsamen Mahlzeiten und Ausflügen. Während das erste Album bis zum Ende der 1940er Jahre eine lange Zeitspanne abdeckt, umfasst das zweite den Zeitraum um 1950 bis 1954. Neben Fotos vom Einbringen der Ernte, Erntedankfeiern und sonstigen Feierlichkeiten enthält es auch Aufnahmen von der Entbindungsabteilung. Großen Raum nehmen die vielen Freizeitaktivitäten, vor allem Theateraufführungen, ein. Die Nutzung der Oberurbacher Heimüberlieferung richtet sich nach dem Landesarchivgesetz von Baden-Württemberg; die Nutzungsmodalitäten entsprechen denen des in diesem Band beschriebenen Jugendheims Schönbühl.

Die Heimkinder sollen Einsicht in die eigenen Akten erhalten können. Wenn ein Kind die Heimakte seiner Mutter einsehen möchte, um etwas über seine Geburt und die ersten Lebensmonate zu erfahren, muss die Mutter, wenn sie noch lebt, hierfür ihr Einverständnis erklären. Besteht aber zwischen Mutter und Kind kein Kontakt mehr oder verweigert die Mutter ihre Zustimmung, ist eine Akteneinsicht nicht ohne weiteres möglich. In diesen Fällen wird versucht, eine für alle Beteiligten rechtlich einwandfreie und gangbare Lösung zu finden.

 

Anmerkungen

[1]Landesarchiv BW, StAL E 191 Bü 3586.

[2]Die Stiftung Großheppacher Schwesternschaft ist eine diakonische Einrichtung der evangelischen Landeskirche, gegründet 1856 von Wilhelmine Canz. Das Engagement der Schwesternschaft galt anfangs vor allem der Not vernachlässigter Kinder.

[3]Landesarchiv BW, StAL E 191 Bü 3586

[4] Tätig von circa 1920–1945.

[5] Landesarchiv BW, StAL E 191 Bü 3586.

[6] Vgl. Wohlfarth, Fürsorge oder Unterwerfung?, S. 26–37.

[7] Die Innere Mission ist eine Initiative zur christlichen Mission innerhalb der evangelischen Kirche. Das Jugendheim Oberurbach gehörte zum Landesverband der Inneren Mission und somit zur Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

[8] Landesarchiv BW, StAL EL 90 V Bü 254.

[9] Landesarchiv BW, StAL EL 90 V Bü 254.

[10]Landesarchiv BW, StAL EL 90 V Bü 256.

[11]Landesarchiv BW, StAL EL 90 V Bü 325.

 

Quellen

  • Landesarchiv BW, StAL E 191 Bü 3586.
  • Landesarchiv BW, StAL EL 90 V Bü 254.
  • Landesarchiv BW, StAL EL 90 V Bü 256.
  • Landesarchiv BW, StAL EL 90 V Bü 325.

 

Literatur

  • Wohlfarth, Nora, Fürsorge oder Unterwerfung? Vielfalt und Gemeinsamkeiten in der Heimlandschaft Baden-Württembergs, in: Verwahrlost und gefährdet? Heimerziehung in Baden-Württemberg 1949-1975, hg. von Nastasja Pilz, Nadine Seidu und Christian Keitel, Stuttgart 2015, S. 26-37.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Christian Keitel, Nastasja Pilz und Nora Wohlfarth (Hg.): Aufarbeiten im Archiv. Beiträge zur Heimerziehung in der baden-württembergischen Nachkriegszeit. Stuttgart 2018.

 

Zitierhinweis: Gabriele Benning, Das Fürsorgeheim Oberurbach, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.02.2022.

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