Informieren Sie sich!
Ein Interview von Eva Rincke, durchgeführt am 19. Januar 2023 in der Synagoge in Lörrach
Danke für Ihre Erklärungen! Das war wirklich ein sehr spannender Einblick und ich glaube auch ein guter Einstieg, um verschiedene Sachen zu verstehen und auch die anderen Geschichten, die wir im Themenmodul erzählen, besser zu verstehen. Ich möchte mich ganz herzlich bedanken. Gibt es noch etwas, was Sie gerne erzählen würden?
Moshe Flomenmann: Ja, ich würde gerne noch etwas erzählen. Ich freue mich sehr, dass Sie heute gekommen sind. Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Initiative, dass Sie mit mir Kontakt aufgenommen haben, damit wir das alles besprechen können.
Es ist wichtig für mich als Rabbiner, eine klare Message zu bringen. Das Judentum soll nicht als etwas Mysteriöses von nebenan betrachtet werden – das Judentum ist die älteste monotheistische Religion. Vom Judentum kommen Christentum und Islam. Wir haben viele Gemeinsamkeiten und es ist auch wichtig, dass wir in der jeweiligen Religion gut miteinander umgehen.
Das ist auch das Judentum:
Ein Mensch kam zum Rabbi und sagte: „Ich möchte übertreten.“ Er war kein Jude. (Übrigens, wer ist überhaupt Jude? Was bedeutet dieser Begriff Jude? Jude bedeutet: Jemand, der von einer jüdischen Mutter geboren ist, oder jemand, der zum Judentum konvertiert ist.) Ein Mensch kam zum Rabbi und sagte: „Ich möchte gerne Jude werden und konvertieren.“ Und er hat eine Bedingung gestellt: „Solange wie ich auf einem Bein stehen kann.“ Der Rabbi sagte ihm: „Das ist nicht seriös, bitte geh weg. So lernt man die Tora nicht. Wenn du willst, kannst du es gerne machen, aber nur seriös. So nicht.“ Dann ging er zu einem anderen Rabbi und hat dieselbe Frage gestellt. Und der Rabbi sagte ihm: „We-ahavta le-reacha kamocha = Liebe deinen Nächsten. Tu niemandem das, was du für dich und deine Familie nicht wünschst.“ Das ist Tora. Alles andere sind Kommentare.
Es ist wichtig zu verstehen, dass viele Religionen sich gegenseitig bekämpfen, ohne zu verstehen, dass man genau dieselbe Wurzel hat. Wir kommen alle von Abraham. Er ist der Vater für alle Völker, und wenn wir als Religionen mehr miteinander statt gegeneinander machen würden, dann würde es auch weniger Konflikte geben. Von daher ist es auch eine gute Initiative, was Sie machen, weil Sie einen Einblick in das Judentum eröffnen können, damit Menschen sich auch informieren können.
Mein Appell an alle Menschen, die dieses Interview später lesen, ist, dass man nie etwas abgrenzen und Angst vor etwas haben soll, was man nicht versteht, sondern informieren Sie sich, lassen Sie sich informieren, dann kann man etwas viel besser nachvollziehen und besser verstehen. Das Judentum zählt in Deutschland mindestens 1.700 Jahre. Und nichtsdestotrotz ist es etwas sehr Mysteriöses. Immer noch. Von daher hoffe ich, dass dieses Interview sowie andere Interviews den Menschen auch etwas mehr Einblick in die jüdische Religion geben können und wir auch gemeinsam mit Ihnen für etwas mehr Normalität sorgen und Hass im Netz oder auch auf der Straße abbauen.
Man kann ja auch, wenn man zum Beispiel weitere Fragen zum Judentum hat, oder gerne mehr wissen will, in seiner Stadt die jüdische Gemeinde kontaktieren und zum Beispiel an einer Synagogenführung teilnehmen.
Moshe Flomenmann: Es gibt Synagogenführungen, es gibt auch Gottesdienstbesuche. Eine Sache muss man auch klar sagen: Lassen Sie sich nicht abschrecken, wenn Sie nach einem Ausweis oder anderen Identitätspapieren gefragt werden. Synagogen sind leider oft Ziel von Anschlägen, wie wir das aus der Synagoge in Halle kennen. Die Synagogen leisten eine großartige Arbeit, was Sicherheitsvorkehrungen angeht. Wenn jemand einen Gottesdienst besuchen möchte, muss man sich vorher schriftlich melden, eventuell mit Ausweiskopie. Das soll nicht abschreckend wirken, es hat einfach damit zu tun, dass wir genau wissen müssen, wer alles reinkommt, damit wir die Synagogen und die Menschen in der Synagoge nicht in Gefahr bringen. Aber man soll keine Angst haben, wenn man einen Gottesdienst besucht. Ich glaube, keine jüdische Gemeinde in Baden wird Nein sagen.
Noch mal herzlichen Dank für das Interview.
Moshe Flomenmann ist seit 2012 Landesrabbiner der IRG Baden und seit 2021 Polizeirabbiner des Landes Baden-Württemberg mit Zuständigkeit für den badischen Landesteil.
Zitierhinweis: Moshe Flomenmann/Eva Rincke, Interview mit dem Landesrabbiner der IRG Baden, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 15.05.2023.