Uraufführung des Tell am 10. November 1934 in Stuttgart [Quelle: Landesarchiv BW, StAL E 18 III Bü 244]

Uraufführung des Tell am 10. November 1934 in Stuttgart [Quelle: Landesarchiv BW, StAL E 18 III Bü 244]

Am 17. März 1804 feierte Schillers Drama „Wilhelm Tell“ in Weimar Premiere. Darin verarbeitete Schiller (1759-1805) die Legende um den Schweizer Nationalhelden, die der Zeit um 1307 zugeordnet wird: Tell weigert sich, den Hut des tyrannischen habsburgischen Landvogts Gessler zu grüßen, den dieser als Symbol seiner Herrschaft hatte aufstellen lassen. Daraufhin muss Tell den Apfel vom Kopf seines Sohnes schießen. Obwohl es ihm gelingt wird er festgenommen als klar wird, dass er den Vogt andernfalls mit einem zweiten Pfeil getötet hätte. Er soll über den Vierwaldstättersee nach Küssnacht ins Gefängnis gebracht werden. Auf dem Weg dorthin kommt ein Sturm auf, Tell kann sich befreien, lauert dem nach Küssnacht zurückkehrenden Vogt an einem Hohlweg auf und bringt ihn zur Strecke. Die individuelle Geschichte des Tyrannenmords ist verknüpft mit der Bildung der Eidgenossen, dem Rütlischwur und dem bewaffneten Befreiungsaufstand. Diese begleitet als weiterer Handlungsstrang die Liebesgeschichte um Berta von Bruneck und Ulrich von Rudenz, Vertreter des Adels. Berta von Bruneck, die den verhassten Gessler heiraten soll, tritt für das Volk ein und kann Ulrich von Rudenz gewinnen. Schließlich erklärt sich auch der alte Adel, vertreten durch Rudenz‘ Onkel von Attinghausen, mit den Eidgenossen und der Befreiung des Volkes solidarisch.

Als Vorlage für das Bühnenstück nutzte Schiller den ältesten schriftlichen Nachweis der Tellslegende, das „Weisse Buch von Sarnen“ aus dem späten 15. Jh. Darin befinden sich Abschriften von Vertrags- und Bündnisvereinbarungen, wie Dokumente zum Appenzellerbund und Friedensverträge. Die angehängte Chronik umfasst neben der Tellsgeschichte, dem Rütlischwur und der Schilderung des Befreiungskampfs eine Beschreibung gewalttätiger Übergriffe von Vögten. Als Gründungszeit der historischen „Alten Eidgenossenschaft“ gilt das Bündnis der drei Waldstätten Uri, Schwyz und Unterwalden um 1291 und der Bund von Brunnen 1315.

„Der Tell“ ist ein Spätwerk Schillers, entstanden in der Zeit nach der Französischen Revolution während des Aufstiegs von Napoleon. Als Folge wurde eine Reihe von ihm abhängiger Staaten gebildet, darunter die Helvetische Republik. Als weitere Folge hatten diese Truppen für immer neue Kriegshandlungen zu stellen. Im Tell werden unter anderem das Recht auf Widerstand und Tyrannenmord aber auch die gewalttätigen Begleitumstände von kämpferischen Freiheitsbestrebungen thematisiert. Auffallend viele Frauen übernehmen wichtige Funktionen. So wird die Handlung an der Hohlen Gasse zugespitzt durch ein weiteres Opfer der Willkür. Armgard, Frau eines Inhaftierten, bittet mit ihren Kindern um die Freilassung ihres Mannes. Als Gessler sie niederreiten will, wird er von Tell erschossen. Berta von Bruneck, die von Gessler verschleppt wird, tritt als Mittlerin zwischen Volk und Adel auf. Rudenz kann sie befreien und entlässt am Ende auch alle seine „Knechte“ in die Freiheit. Während des Nationalsozialismus war das Stück zunächst Teil der Propaganda. Nach einer Reihe von Attentaten auf Hitler wurde es 1941, im Jahr der 650-jährigen Jubliäums der Eidgenossenschaft, verboten.

Eine vergnügliche Variante finden Sie als Tell to go auf Youtube.

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Warum die Wiese zur Wiesche wird und das Bübchen zum Biiwle

Das virtuelle Sprachmuseum des Bezirksmuseums Buchen im Odenwald

Die Kellereistraße mit dem ehemalige Kellereigebäude Steinener Bau, heute Bezirksmuseum Buchen. Die Aufnahme entstand vor 1945 und ist Bestandteil der Glasplattensammlung Wilhelm Kratt [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 498-1 Nr. 3582]

Die Kellereistraße mit dem ehemalige Kellereigebäude Steinener Bau, heute Bezirksmuseum Buchen. Die Aufnahme entstand vor 1945 und ist Bestandteil der Glasplattensammlung Wilhelm Kratt [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 498-1 Nr. 3582]

Das Bezirksmuseum Buchen, eine Partnereinrichtung von LEO-BW, widmet sich unter anderem der Pflege von Dialekten. Hier ist der Plural angebracht, denn insbesondere im Norden von Baden-Württembergs lebt eine Vielfalt an regionalen Sprachfärbungen. Sie werden dem Fränkischen zugeordnet, wobei es viele Abstufungen mit lokalen Besonderheiten gibt. So sprechen die Einwohner nicht „Fränkisch“ sondern „Buchemerisch“, „Mudemerisch“ und ähnliches. Das Projekt „SprachRaum“ des Museums umfasst das Sammeln und Veröffentlichen von Dialektbeispielen. Diese können über eine interaktive Karte auf der Website des Museums abgerufen werden. Als weiteres Projekt in Kooperation mit dem Heimatverein Mudau entstand ein Mundartweg. Er verläuft zwischen Mosbach-Neckarelz und Hardheim mit einer Abzweigung nach Kirchzell, Schneeberg und Amorbach. Auf rund 120 Kilometern werden die Grenzen von jeweils zwei Landkreisen und Bundesländern überschritten. Stationen mit Erläuterungen und QR-Codes machen die Dialekte erlebbar. Aber auch als virtuelle Wanderung steht der Mundartweg mit unzähligen Hörbeispielen zur Verfügung. So entstammt das oben erwähnte „Biiwle“ einem Beitrag aus Fahrenbach.

Über das Projekt „SprachRaum“ des Bezirksmuseums Buchen stehen zahlreiche Sprachbeispiele und ein Mundartquiz sowie der zusammen mit dem Heimatverein Mudau ausgearbeitete Mundartweg zur Verfügung
Weitere Beispiele zu Dialekten des Südwestens aus dem Arno-Ruoff-Archiv finden Sie auf LEO-BW

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„nicht alß ein nothwendige Sach, sondern nur zur Zierde“

Ansichten aus Württemberg von Andreas Kieser

Das befestigte Schorndorf, gezeichnet von Andreas Kieser um 1685 [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS H 107/15 Bd 7 Bl. 19]

Das befestigte Schorndorf, gezeichnet von Andreas Kieser um 1685 [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS H 107/15 Bd 7 Bl. 19]

1679 erhielt Andreas Kieser den Auftrag, die württembergischen Forstliegenschaften zu vermessen. Kieser, der als Obristleutnant Festungen und Artillerie des Herzogtums betreute, wendete nicht nur eine naturwissenschaftliche Vermessungstechnik an, als deren Ergebnis die Kartenblätter entstanden. Forstlagerbücher mit Beschreibungen und Zeichnungen der Waldungen sowie der Dokumentation von damit verbundenen Rechten wurden zusätzlich mit farbigen Ortsansichten versehen. Die in leuchtenden Farben ausgeführten und detailreichen Ansichten vermitteln ein fast naturalistisches Bild der damaligen Orte. In den folgenden Jahrhunderten veränderte sich vieles. Gebäude oder ganze Ortsteile, die es so nicht mehr gibt, sind hier zu finden. Burgen zerfielen oder wurden restauriert. Andere Orte blieben fast unverändert, wie es scheint. Bei dem Großprojekt wurde Kieser durch seine Mitarbeiter Johann Niclas Wittich und Johann Jakob Dobler unterstützt. Fast zehn Jahre arbeiteten sie daran. Ziel war neben der Bestandsaufnahme, die Grundlagen für eine wirtschaftliche Reaktivierung zu schaffen, nachdem der Dreißigjährige Krieg Verwüstungen und Krisen gebracht hatte. Von Kieser ist überliefert, dass er die Ansichten lediglich zu Illustrationszwecken angefertigt hatte. Vermutlich fand er persönlich Gefallen daran. Während die Karten den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden haben, befinden sich die Ortsansichten heute im Landesarchiv BW, Hauptstaatsarchiv Stuttgart: Findbuch H 107: Kieser-Inventar: Kieser-Ortsansichten (Inventar).

Hier finden Sie einen alphabetisch nach Orten gegliederten Zugang.

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 „Ich konnte die rücksichtslose Ausbeutung der Natur einfach nicht mehr mit ansehen!“

So fasste Lina Hähnle selbst in Worte, was sie 1899 zur Gründung des Bund für Vogelschutz motiviert hatte. Heute, 125 Jahre später, existiert dieser Verein immer noch – seit 1990 unter dem Namen NABU – und ist mit über 940.000 Mitgliedern die mitgliederstärkste Naturschutzorganisation in Deutschland.

Im Jahr 1899 war es keineswegs üblich, dass eine Frau einen Verein gründete und sich zur ersten Vorsitzenden wählen ließ. In dieser Hinsicht war die resolute Lina Hähnle eine Wegbereiterin. 1851 in Sulz am Neckar geboren hatte sie im Alter von 20 Jahren gegen den Willen ihrer Familie ihren Cousin Hans Hähnle geheiratet. Dessen Firma „Württembergische Wollfilzmanufaktur“ in Giengen an der Brenz war äußerst erfolgreich. Häufig war Hans im Ausland auf Geschäftsreise, 1892 wurde er zudem Reichstagsabgeordneter und seit 1895 saß er im württembergischen Landtag.

Lina Hähnle hatte acht Kinder geboren, von denen zwei im Säuglingsalter starben. Neben der Kindererziehung führte sie in Giengen einen repräsentativen Haushalt. Mit dem Landtagsmandat ihres Mannes kam 1895 ein zweiter Haushalt in Stuttgart hinzu: in der schicken Villa Hähnle in der Jägerstraße. Hier führte Lina Hähnle einen Salon, in dem liberale Politiker, Künstler wie Gerhart Hauptmann und Unternehmer wie Robert Bosch ein und aus gingen. Es wäre untertrieben zu sagen, dass Lina Hähnle gut vernetzt war.

Die leidenschaftliche Gärtnerin liebte seit jeher Tiere und hatte ein Herz für die Natur. Schon als 13-Jährige hatte sie ein Herbarium angelegt und sich für die Natur begeistert. Als sie von ihrem Sohn Otto, der in Heidelberg studierte, von einem Aufruf von Rudolf Bergner aus Graz erfuhr, der in Österreich den Bund der Vogelfreunde gegründet hatte, nahm sie umgehend Kontakt auf. 1898 regte sie die Gründung eines Württembergischen Vereins zum Schutz von Vögeln an. Am 1. Februar 1899 folgte in der Stuttgarter Liederhalle die Gründung des Bunds für Vogelschutz für das gesamte Deutsche Reich.

Mit 1.000 Gründungsmitgliedern bereits stattlich aufgestellt, stieg die Mitgliederzahl bis Jahresende auf 3.500. Vom österreichischen Vorbild hatte Lina Hähnle die Idee übernommen, einen sehr geringen Mitgliedsbeitrag zu erheben, um Menschen unabhängig von ihrem Einkommen eine Mitgliedschaft zu ermöglichen.

Bereits im Gründungsjahr richtete Lina Hähnle mit der Vogelinsel bei Giengen das erste Naturschutzgebiet Deutschlands ein. 1908 kauften die Hähnles die Nachtigalleninsel im Neckar bei Lauffen und erklärten sie zum Schutzgebiet für Nachtigallen und Laubsänger. 1911 kam mit dem Federsee bei Buchau das erste große Schutzgebiet hinzu. Heute ist das Naturschutzgebiet am Federsee das größte Vogelschutzgebiet Baden-Württembergs.

Außergewöhnlich für ihre Zeit war die Art und Weise, wie Lina Hähnle den Bund für Vogelschutz organisierte: Sie legte den Fokus von Beginn an auf Öffentlichkeitsarbeit und nutzte dafür auch ihre guten gesellschaftlichen Verbindungen. In einer Zeit, in der es weder Radio noch Fernsehen gab, waren Vortragsreisen die Möglichkeit, um Informationen zu verbreiten. Sie zeigte Bilder, informierte über Vogelarten und deren Lebensräume, Anregungen zum Schaffen von Nistplätzen und verschiedene Kampagnen des Bunds für Vogelschutz.

Über ihren Vortrag in Tettnang am 25. November 1909 heißt es im Amtsblatt für den Oberamtsbezirk Tettnang: „Reicher Beifall lohnte die Dame für ihre beherzigenswerten Wort. - In verschiedenen Lichtbildern nach photographischen Aufnahmen wurde noch das possierliche Treiben einer Rotkehlchenfamilie gezeigt und an einer großen Anzahl verschiedenartigster Niststellen und Futterhäuschen konnte man deren Einfachheit und Zweckmäßigkeit studieren. […] Daß die interessanten Ausführungen von Frau Kommerzienrat Hähnle auch hier volles Verständnis gefunden, zeigte die Einzeichnung von 25 neuen Mitgliedern.“

Lina Hähnle war bekannt dafür, dass sie immer mit dem Zug in der Holzklasse anreiste – wiederum untypisch für eine Fabrikantengattin, die sich auch eine Reise erster Klasse hätte leisten können. Sie nutzte die Zugfahrten jedoch, um Leute kennenzulernen und als neue Mitglieder für den Bund für Vogelschutz zu werben. Aus den Begegnungen im Zug entstanden teilweise langjährige Brieffreundschaften.

1909 starb Hans Hähnle. Er war an einer Altersdepression erkrankt und hatte sein letztes Lebensjahr in der Heilanstalt Winnental verbracht.

Zur Erinnerung an ihren Mann gründete Lina Hähnle 1909 die „Hans-Hähnle-Krippe“: Hier wurden Kinder der Arbeiter aus der Fabrik betreut und verpflegt; in ihrem großen Garten ließ Lina Hähnle Hafer für die Kinder anbauen und Milchkühe halten, damit die Kinder mit gesunden Lebensmitteln ernährt werden konnten.

Als 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen, war die 82-jährige Lina Hähnle bereits seit über drei Jahrzehnten Vorsitzende des Bunds für Vogelschutz. Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft nahm sie eine ambivalente Rolle ein. Einerseits diente sie sich dem Regime an, indem sie etwa über eine Nachbarin Kontakt zu Adolf Hitler aufnahm und erreichte, dass auf dem Obersalzberg öffentlichkeitswirksam 5.000 Nistkästen aufgestellt wurden. Sie trat bereits 1933 der NS-Frauenschaft bei und hielt in diesem Rahmen Vorträge, in denen sie zum Beispiel 1938 darauf hinwies, „daß es die Aufgabe der Frau ist, den Kindern die Liebe zur Natur zu wecken und zu pflegen.“ Andererseits blieb der Bund für Vogelschutz in ihrer Zeit als Vorsitzende in manchen Bereichen auch auf Distanz zum Regime. So wurde ein Ausschluss jüdischer Mitglieder erst im November 1937 beschlossen, 1936 hob die Vereinszeitschrift bei einer Besprechung des ersten tönenden Vogelbestimmungsbuchs „Gefiederte Meistersänger“ noch explizit den Beitrag von Ludwig Koch hervor, dem Pionier für die Tonaufnahme von Vogelstimmen. Dieser war zu diesem Zeitpunkt bereits über die Schweiz nach England geflüchtet. Privat nahm Lina eine kritische Haltung zum Nationalsozialismus ein. Sie hielt Kontakt zu Ludwig Koch und anderen jüdischen Mitgliedern des Bund für Vogelschutz in der Emigration.

1938 wurde der Bund für Vogelschutz, der in Reichsbund für Vogelschutz umbenannt worden war, vom Reichsforstamt zum einzigen Vogelschutzverein im Deutschen Reich erklärt. Anstelle von Lina Hähnle wurde mit Reinhard Wendehorst ein NSDAP-Mitglied Vorsitzender des Vereins.

Lina Hähnle, die unter einer Herzkrankheit litt, musste in ihrem letzten Jahr miterleben, dass ihr kranker Sohn der NS-Diktatur zum Opfer fiel: Reinhold, der seit den 1920er Jahren in der Heilanstalt Schussenried wegen Schizophrenie in Behandlung war, wurde am 23. August 1940 in Grafeneck ermordet. Es war der Familie nicht gelungen, ihn zu retten.

Lina Hähnle starb am 1. Februar 1941.

Filmaufnahmen mit Lina Hähnle in LEO-BW:

Familientreffen in Stuttgart 1917 und in Giengen an der Brenz

Lina Hähnle am Bahnhof in Ulm 1918

Mehr über Lina Hähnle erfahren:

Vogelmutter mit Courage. Porträt der NABU-Gründerin Lina Hähnle

Zu Lina Hähnles Verhältnis zum NS-Staat

Historische Originaltexte. Dokumente zur Naturschutzgeschichte

Stadtmuseum Giengen an der Brenz

Denkblatt_Hähnle

Mehr über 125 Jahre NABU:

NABU-Chronik in Kurzform

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Auswanderung nach Algerien

Nicht immer war das „Gelobte Land“ das Ziel

Pfaffenweiler bei Freiburg, aufgenommen von Willy Pragher im September 1955 [Quelle: Landesarchiv BW, StAF W 134 Nr. 028854b]

Pfaffenweiler bei Freiburg, aufgenommen von Willy Pragher im September 1955 [Quelle: Landesarchiv BW, StAF W 134 Nr. 028854b]

Im 19. Jh. kam es zu mehreren großen Auswanderungswellen, auch im deutschen Südwesten. Nordamerika wurde nach 1845 zum Ziel von Massenauswanderungen. Davor hatten die Regionen im Osten - Donauraum und Galizien, Russland - neue Siedler angezogen. Infolge der Hungerkrise durch Ausbruch des Vulkans Tambora 1815 waren Menschen aus Südwestdeutschland insbesondere nach Bessarabien gelangt, das im Bereich der heutigen Republik Moldau liegt. Kaum bekannt ist, dass deutsche Auswanderer auch in Nordafrika Fuß zu fassen versuchten. So beschlossen Anfang der 1850er Jahre mehrere Familien aus Grötzingen in Baden nach Algerien auszuwandern. Weitere Schicksale belegen, dass das erhoffte bessere Leben ausblieb, trotz harter Arbeit. Den Maurermeister Johann Höllstern, der 1845 mit seiner sechsköpfigen Familie nach Algier aufbrach mit der Vorstellung „um freies Haus, Feld und allezeit Arbeit“, fand sich stattdessen in einer schlechten Unterkunft wieder. Zusätzlich belasteten Hitze, verdorbenes Wasser und unzumutbare Arbeitsbedingungen die Situation. Schon nach drei Wochen starb Höllsterns Frau, wenig später wurde er selbst krank und gab schließlich auf. Die Familie konnte in die Heimat zurückkehren. Sie hatten Glück im Unglück, denn in anderen Fällen gestaltete sich dies schwieriger. Die im selben Jahr mit Mann und einer kleinen Tochter nach Algier ausgereiste Elisabeth Keiser aus Urloffen im heutigen Ortenaukreis schaffte es, länger durchzuhalten. In Algerien brachte sie zwei weitere Kinder zur Welt. Doch nach mehr als zehn Jahren wurde auch sie krank. Nun wollte die für Urloffen zuständige Verwaltung die verarmten ehemaligen Einwohner nicht mehr aufnehmen. Ihr weiterer Verbleib ist nicht überliefert. Aus einem Bericht von Johann Höllstern geht hervor, dass fast alle ihm bekannten Schicksalsgenossinnen und –genossen Algerien wieder verlassen haben.

Als besonderer Fall sind die über 130 Personen aus Pfaffenweiler bei Freiburg in Erinnerung geblieben, die, ebenfalls Anfang der 1850er Jahre, unter falschen Versprechungen zur Ausreise nach Algerien gezwungen wurden. Da die Gemeinde einen Teil der Kosten zu tragen hatte, schien dies eine kostengünstigere Lösung zu sein als das begehrtere Nordamerika. Angesichts der geschilderten Zustände sprachen die Betroffenen nach ihrer Ankunft von Verbannung. Weitere Einzelheiten werden deutlich. Nach der Februarrevolution 1848 hatte Frankreich den nördlichen Teil Algeriens als Siedlungskolonie ausgewiesen. Die überwiegende Mehrzahl der meist mittellosen Einwanderer, von denen viele aus dem Elsass stammten, wurden zu billigen Arbeitskräften deklariert. Nur wenigen war es möglich Land zu erwerben. Die Flurstücke, die die Gemeinde Pfaffenweiler veräußert hatte um die Aktion zu finanzieren, gingen als „Afrika“ ins kollektive Gedächtnis ein. Durch den heutigen Weinberg führt der „Untere Afrikaweg“. Auch ein Denkmal erinnert an die Auswanderer. Trotz der zahlreichen Hilferufe konnten nur wenige von ihnen zurückkehren.

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