Grimminger, Eugen Franz 

Geburtsdatum/-ort: 29.07.1892;  Crailsheim
Sterbedatum/-ort: 10.04.1986;  Schanbach
Beruf/Funktion:
  • Präsident des Württembergischen Landesverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften, Schriftsteller und Widerstandskämpfer
Kurzbiografie: 1898 Volksschule Crailsheim
1907 „Einjähriges“ in der Realschule Crailsheim
1907-1913 Verwaltungslehre Stadtschultheißenamt, Stadtpflege Crailsheim bis 1909, dann Gehilfe in verschiedenen Ämtern
1914-1918 Kriegsdienst an der Westfront, zuletzt Unteroffizier, Württembergische Silberne Verdienstmedaille, Eisernes Kreuz II. Klasse
1918 Beamter des Kommunalverbandes Crailsheim
1922-1935 Revisor, 1930 Oberrevisor im Verband Landwirtschaftlicher Genossenschaften in Württemberg, Stuttgart
1935 Entlassung wegen „jüdischer Versippung“
1937 Öffentlich vereidigter Buchprüfer in eigenem Treuhand- und Beratungsbüro
1942-1945 Unterstützung der studentischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, 1943 verurteilt wegen Beihilfe zum Hochverrat zu 10 Jahren Zuchthaus durch den Volksgerichtshof, bis 1945 Häftling im Zuchthaus Ludwigsburg
1945 Generalbevollmächtigter für Ernährung und Landwirtschaft in Württemberg
1946-1948 Mitglied des Gemeinderats Stuttgart – Freie Wählervereinigung
1945-1958 Vorstand/Präsident/Geschäftsführender Vorstand des Württembergischen Landesverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften e. V., Stuttgart
1957 Ehrensenator der Hochschule Hohenheim
1958-1972 I. Vorsitzender des Stuttgarter Tierschutzvereins
1964 Gründung der Grimminger-Stiftung für Zoonosenforschung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., ausgetreten 1922, nach eigenem Bekunden buddhistische Glaubenseinstellung
Verheiratet: 1. 1922 (Stuttgart) Jenny, geb. Stern, israel. (1895-1943 ermordet im KZ Auschwitz)
2. 1947 (Stuttgart) Tilly, geb. Waechtler, geschiedene Hahn (1899-1982)
Eltern: Vater: Franz Xaver (1852-1939), Lokomotivführer
Mutter: Rosine Katharina, geb. Salzmann (1858-1916)
Geschwister: 6 (alle älter):
Alfred (gest. 1952), Bäcker
Gottlob (gefallen 1915), Finanzbeamter
Paul, Reichsbahninspektor
Pauline, verheiratete Winkler
Berta (gest. 1946), unverheiratet, Eisenbahnobersekretärin
Luise, verheiratete Haas
Kinder: keine
GND-ID: GND/122053893

Biografie: Michael Kißener (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 107-109

Es ist gewiss nur ein kurzer Augenblick gewesen, der dem Leben Grimmingers eine unerwartete, weitreichende Wendung gegeben und eine bedeutsame Spur in der deutschen Geschichte hinterlassen hat: der Augenblick, in dem er sich im Jahre 1942 entschloss, der heute weithin bekannten studentischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ seine Unterstützung zu gewähren.
Eine solch weitreichende, existentielle Entscheidung, vor die moderne Diktaturen des 20. Jahrhunderts unangepasste Regimegegner immer wieder stellen sollten, war 1892, als Grimminger geboren wurde, kaum vorstellbar. Nach der Geburt des siebten Kindes musste die ganze Sorge der Familie darauf gerichtet sein, angesichts der beschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse die Voraussetzungen für eine möglichst rasche eigenständige Lebensführung der Kinder zu schaffen. Zwar wünschten die Eltern einen höheren Bildungsabschluss für den jüngsten Sohn, doch war er nicht länger als bis zum „Einjährigen“ auf der Schulbank zu halten. 1907 nutzte er eine sich bietende Gelegenheit zum Einstieg in die Verwaltungslehre beim Stadtschultheißenamt in der Heimatstadt Crailsheim.
Als der I. Weltkrieg kam, hatte er bereits an mehreren kommunalen Verwaltungen als Gehilfe gearbeitet. In den Krieg zog er noch als Freiwilliger, zurück kam er als überzeugter Pazifist. Seine Kriegserlebnisse versuchte er in einem Roman mit dem Titel „Rosel Steinbronners Liebe“ zu verarbeiten, fortan interessierte er sich für den Buddhismus und für Mahatma Gandhi. Während der Nachkriegstätigkeit auf dem Oberamt Crailsheim kam es schon zu ersten Kontakten zur Familie Robert Scholls, der damals Schultheiß in Ingersheim war.
1922 heiratete Grimminger Jenny Stern, eine Jüdin. In Crailsheim wurde das zu einer Art Skandal: „Nun begann eine schleichende Verfemung. Da wir bisher in einer Kleinstadt lebten, heiratete die halbe Stadt mit. Ich wurde angesprochen, ob ich mich nicht schäme. Meine Freunde zogen sich nach und nach zurück. Wir gingen nach Stuttgart“, notierte Grimminger später in einer unveröffentlichten Autobiographie. In der Landeshauptstadt arbeitete er fortan als Revisor, später Oberrevisor beim Verband Landwirtschaftlicher Genossenschaften in Württemberg. Als 1933 die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, holte Grimminger die Ausgrenzung jedoch wieder ein. Seine Ehe mit einer Jüdin passte weniger denn je in die Zeit und sein Pazifismus stand diametral gegen den Militarismus der Nationalsozialisten. 1935 waren die zahllosen Anfeindungen so weit gediehen, dass es trotz tadelloser Amtsführung zur Entlassung kam. So musste er sich nach mühevoll erkämpftem Wirtschaftsprüferexamen eine eigene, neue Existenz aufbauen.
Als freiberuflicher vereidigter Buchprüfer kam er wieder in engeren Kontakt zu Robert Scholl, der inzwischen im gleichen Metier arbeitete. Nachdem Scholl 1942 wegen regimekritischer Äußerungen zu einer viermonatigen Haftstrafe verurteilt worden war, vertrat Grimminger ihn ohne Zögern in seinem Ulmer Treuhandbüro. Auch sonst suchte er Kontakt zu regimefeindlichen Kreisen in Stuttgart und half Juden zur Flucht. Deshalb erinnerte sich Scholls Sohn Hans, einer der führenden Köpfe des studentischen Widerstands in München, an den Freund der Familie, als die „Weiße Rose“ im November 1942 begann, ihren Widerstandskampf auszuweiten. Zusammen mit seinem Freund Alexander Schmorell suchte er Grimminger in Stuttgart auf und bekam bereitwillig, was die Widerstandsgruppe am meisten benötigte: Geld. Wieviel Grimminger gab, ist unklar, aber schon nach den Ermittlungen der Geheimen Staatspolizei waren die Beträge so erheblich und entscheidend für die Ausweitung der Flugblattproduktion, dass man Grimminger mit Recht als den eigentlichen „Finanzier“ der „Weißen Rose“ bezeichnen kann. Hans Scholl war nach dem Treffen euphorisch: „Er hat gedacht: Jetzt, jetzt können wir etwas machen“ – so bezeugte es eine enge Freundin Sophie Scholls später. Die Flugblattproduktion wurde immens gesteigert, die Verteilung über München hinaus organisiert.
Grimminger setzte mit seiner Hilfe alles aufs Spiel, ohne Einfluss auf das Tun der Gruppe in München nehmen zu können. Als die „Weiße Rose“ nach einer höchst riskanten Verteilung von regimekritischen Flugblättern in der Universität München am 18. Februar 1943 aufflog, wurde auch er verhaftet und konnte seine jüdische Ehefrau nicht mehr schützen. Sie wurde umgehend deportiert und im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Demgegenüber empfand Grimminger die eigene Verurteilung zu zehn Jahren Haft als unerheblich. Das auch für ihn eigentlich schon beschlossene Todesurteil war in letzter Minute durch die Intervention seiner Sekretärin Tilly Hahn abgewendet worden, die die Geldgeschenke als harmlosen Ausdruck von Sympathie für die schwer geprüften Ostfrontsoldaten erklärte.
Bis 1945 saß er im Zuchthaus Ludwigsburg ein. Nach der Befreiung durch amerikanische Truppen wurde er als politisch Unbelasteter und fachkundig in Ernährungsfragen sofort um Mithilfe beim Wiederaufbau gebeten. Grimminger wurde zum Generalbevollmächtigten für Ernährung und Landwirtschaft in Württemberg ernannt. Auch in den Stuttgarter Gemeinderat ließ er sich als Mitglied der Freien Wählervereinigung 1946 wählen. Schließlich wurde er Präsident des Württembergischen Landesverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften. In dieser Funktion wie in zahlreichen weiteren Ämtern des landwirtschaftlichen Banken- und Genossenschaftswesens hat Grimminger in den Hungerjahren nach 1945 Bedeutendes in der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln geleistet und wesentlich zum Aufbau und zur Modernisierung der württembergischen Landwirtschaft beigetragen. Nicht zuletzt geht auf ihn die Gründung der landwirtschaftlichen Genossenschaftsschule in Schrozberg zurück.
Auch nach seiner Pensionierung blieb der als kantig beschriebene, von seinen Mitarbeitern gerne als der „grimmige Eugen“ bezeichnete Genossenschaftspionier aktiv: als Vorsitzender des Stuttgarter Tierschutzvereins machte er ebenso von sich reden wie als großzügiger Spender für gemeinnützige Einrichtungen. Bleibend ist die von ihm ins Leben gerufene „Grimminger-Stiftung für Zoonosenforschung“, eine Einrichtung, die sich der wissenschaftlichen Erforschung von Tierkrankheiten, die auf den Menschen übertragbar sind, widmet.
In Anerkennung seiner vielfältigen Verdienste um das Genossenschaftswesen war er schon 1957 von der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim zum Ehrensenator ernannt worden. Sein Einsatz gegen das Hitlerregime jedoch blieb Zeit seines Lebens weitgehend unbeachtet.
Quellen: BA NJ 1704, Bd. 2, 22, ZC 13267, Bd. 7; Institut für Zeitgeschichte München FA 215 Bd. 1, 37-63, Ma 593, 56 f., 63-74; SDR W 9343 (Aufnahme vom 22.2.1968); StAL Wiedergutmachungsakten E. Grimminger, Mina u. Lina Stern; StadtA Stuttgart Dokumentation E. Grimminger; A. d. Grimminger-Stiftung für Zoonosenforschung (Stuttgart), Nachlass Grimminger.
Werke: Rosel Steinbronners Liebe, 1921; Der Widerstandskreis um Prof. Huber, in: Stuttgart: Geheim!, hg. von W. Bohn, 1969, 197 ff.
Nachweis: Bildnachweise: Kißener, 1999, 67, Ziegler, 2000, Titelb., 30, 31, 51 ff.

Literatur: Christian Petry, Studenten aufs Schafott, 1968, passim; Anneliese Knoop-Graf/Inge Jens (Hgg.), Willi Graf, Briefe u. Aufzeichnungen, 1988, passim; Benigna Schönhagen, „Wenn keiner etwas tut, dann ändert sich nie etwas“. Die Weiße Rose u. Stuttgart, in: Stuttgart im II. Weltkrieg. Ausstellungskatalog, hg. v. M. P. Hiller, 1989, 247-254; Andreas Harthan, „Ein Mann d. Worte u. Taten“, in: Hohenloher Tagebl. vom 25. 7. 1992; Harald Steffahn, Die Weiße Rose, 1992, passim; Susanne Hirzel, Vom Ja zum Nein, 1998, passim; Michael Kißener, Geld aus Stuttgart. E. Grimminger u. die „Weiße Rose“, in: Hochverrat? Neue Forschungen zur „Weißen Rose“, hg. v. R. Lill, 1999, 65-78; Armin Ziegler, E. Grimminger Widerständler u. Genossenschaftspionier, 2000; Michael Kißener, E. Grimminger u. die „Weiße Rose“, in: Crailsheim u. die Weiße Rose, hg. von Weiße Rose – Arbeitskreis Crailsheim, 2005, 14-19.
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