Der Totale Krieg

Von Rainer Brüning

 

Der industrialisierte Krieg benötigt Arbeitskräfte: Arbeiter in einer Instandhaltungswerkstat in Colmar 1917/18. (Quelle: Landesarchiv BW, GLA 456 F 105, Nr. 177 Foto 33)
Der industrialisierte Krieg benötigt Arbeitskräfte: Arbeiter in einer Instandhaltungswerkstat in Colmar 1917/18. (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 456 F 105, Nr. 177 Foto 33) 

Fast alle Zeitgenossen – Militärs und Zivilisten – waren von einem sehr heftigen, aber kurzen Krieg ausgegangen. Schienen die hochkomplexen und vielfach verflochtenen Volkswirtschaften Europas doch gar nicht in der Lage, einen längeren Konflikt durchstehen zu können, ohne zusammenzubrechen. Bald wurde jedoch klar, dass die sich gegenseitig zerfleischenden Nationen Europas ganze neue Wege beschreiten mussten, um diesen Krieg, der wider Erwarten kein Ende nehmen wollte, siegreich durchstehen zu können: Nicht nur die Wirtschaft, sondern die gesamte Gesellschaft musste zu einer maximalen Steigerung der militärischen Anstrengungen an der Front und in der Heimat getrieben werden. Jeder Einzelne war betroffen: Soldaten und Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder. Der erste totale Krieg hatte begonnen.

An der Front waren die Kämpfe im Westen bald zum Stellungskrieg erstarrt, der nicht nur eine neue Taktik, sondern auch ganz neue Arten von Waffen – Flugzeuge, Panzer, U-Boote, Gas – erforderte. In den unmittelbaren Kampfgebieten breiteten sich Zonen totaler Verwüstung aus. In der Heimat mussten die bei Kriegsbeginn mobil gemachten Männer durch Frauen, Jugendliche und Alte ersetzt werden. Bald aber wurden Arbeiter wieder vom Froneinsatz freigestellt, Soldaten und Kriegsgefangene in der Landwirtschaft eingesetzt, schließlich Fremdarbeiter angeworben und mit Gewalt Zwangsarbeiter rekrutiert. Die Rohstoffe wurden zugunsten der kriegswichtigen Industrien bewirtschaftet und rationiert, neue Ersatzstoffe produziert. Die private Großindustrie und die staatlich-militärische Verwaltung arbeiteten eng zusammen, um den Ausstoß von Waffen und Munition zu optimieren. Dieser stieg in der Tat steil an, genauso wie die Profite der Rüstungsindustrie. Finanziert wurde der Krieg hauptsächlich durch Kredite und Kriegsanleihen, die im großen Stil von der deutschen Bevölkerung gezeichnet wurden.

Eine wesentliche Rolle kam bei der totalen Mobilisierung der Gesellschaft dem Kampf um die Seelen, der modernen Propaganda zu. So wie die Methoden der Kriegsführung mit der Zeit immer brutaler und enthemmter wurden, so wurden angesichts des allgemeinen Massakers auch die Kriegsziele, die die eigene Hegemonie in Europa festschreiben und den Gegner dauerhaft schwächen sollten, immer radikaler. Im Sommer 1916 wurde unter der III. Obersten Heeresleitung von Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, die den Kaiser und die Reichsregierung entmachteten und eine verdeckte Militärdiktatur errichteten, das sogenannte Hindenburgprogramm in Kraft gesetzt, das in einer letzten gewaltigen Anstrengung alle verfügbaren Ressourcen für die Rüstungsproduktion mobilisieren sollte. Tatsächlich brachen aber nun Teile der überlasteten Wirtschaft, vor allem aber die Nahrungsmittelversorgung in den industriellen Ballungsräumen, zusammen. Nicht nur das unvorstellbare Blutvergießen unter den Soldaten, auch die materielle und moralische Erschöpfung der zivilen Bevölkerung, die kollabierende Wirtschaft, der Hunger und die Armut machten den Krieg schließlich unerträglich. Nach dem Scheitern der letzten Offensiven an der Westfront im Sommer 1918 war Deutschland am Ende seiner Kräfte.

Suche

Logo Menschen im Krieg deutsch Logo Menschen im Krieg französisch

Logo Alsace Logo HWK

Logo Landesarchiv