Eine Reise von hohem symbolischem Wert

Der Staatsbesuch des französischen Präsidenten Charles de Gaulle im Jahr 1962

Besuch von Staatspräsident Charles de Gaulle im Schloss Ludwigsburg, 9. September 1962. Abgebildete Personen (von links nach rechts): Ministerpräsident Kiesinger, Bundeskanzler Adenauer, Marie-Luise Kiesinger, Wilhelmine Lübke, Staatspräsident de Gaulle, Bundespräsident Lübke. Vorlage: LABW, HStAS EA 1 /109 Bü 100, Aufnahme: Burghard Hüdig.
Besuch von Staatspräsident Charles de Gaulle im Schloss Ludwigsburg, 9. September 1962. Abgebildete Personen (von links nach rechts): Ministerpräsident Kiesinger, Bundeskanzler Adenauer, Marie-Luise Kiesinger, Wilhelmine Lübke, Staatspräsident de Gaulle, Bundespräsident Lübke. Vorlage: LABW, HStAS EA 1 /109 Bü 100, Aufnahme: Burghard Hüdig. Zum Vergrößern bitte klicken.

Schon bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland 1949 setzte sich bei den politischen Akteuren auf deutscher wie auf französischer Seite die Erkenntnis durch, dass die Aussöhnung zwischen beiden Ländern eine der Grundvoraussetzungen für den Aufbau eines neuen und friedlichen Europa ist. Die Annäherung erfolgte zunächst im Rahmen eines vielseitigen Kulturaustausches. Auch deutsch-französische Städtepartnerschaften - die erste war die 1950 zwischen Ludwigsburg und Montbéliard geschlossene Verbindung – ermöglichten vertrauensfördernde Begegnungen.

Einen wichtigen Schritt auf politischer Ebene bedeutete der Saarvertrag im Oktober 1956, mit dem eine brisante Streitfrage beigelegt und das Saargebiet als Bundesland an Deutschland angegliedert wurde. Weitere aus dem Zweiten Weltkrieg resultierende Probleme wurden mit dem Ausgleichsvertrag vom 31. Juli 1962 gelöst.

Diesem vorausgegangen war ein grandioser Besuch des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer am 2. Juli 1962 in Paris – der erste offizielle Staatsbesuch im Nachbarland nach dem Krieg. Bei dem Treffen mit dem seit 1958 regierenden französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle wurde erstmals die Idee einer Zweier-Allianz beider Länder formuliert.

Der Gedanke einer vertraglichen Übereinkunft zwischen Deutschland und Frankreich, um der Freundschaft und Abstimmung in außenpolitischen Fragen einen institutionalisierten Rahmen zu geben, gewann weiteren Boden bei der triumphalen Reise de Gaulles in Deutschland vom 4. bis 9. September 1962. Nach Aufenthalten in der Bundeshauptstadt Bonn und im Rheinland, in Hamburg und München fand der Besuch seinen glanzvollen Abschluss in Baden-Württemberg. Der akribisch geplante Programmablauf ist den Akten des Staatsministeriums im Hauptstaatsarchiv Stuttgart zu entnehmen. Am Vormittag des 9. September, einem Sonntag, traf Präsident de Gaulle mit seiner Gattin und seinem Gefolge von München kommend auf dem Flughafen in Echterdingen ein. Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger hieß die Gäste willkommen; auch eine große Menschenmenge hatte sich zu ihrer Begrüßung eingefunden. Zunächst begab sich de Gaulle im Hubschrauber nach Münsingen, wo er eine französische Truppenparade abnahm. Dann folgte der Empfang der Landesregierung in der Villa Reitzenstein. Dort wurde der französische Präsident ein weiteres Mal von Kiesinger begrüßt und begegnete unter anderem den Mitgliedern der Landesregierung, den Repräsentanten des Landtags, Altbundespräsident Heuss und dem Stuttgarter Oberbürgermeister Klett. Dabei übergab der baden-württembergische Ministerpräsident de Gaulle ein besonderes Gastgeschenk, an dem die Archivverwaltung großen Anteil hatte: einen prachtvollen Band mit originalgetreuen Wiedergaben von Dokumenten aus sechs Jahrhunderten über die friedlich-kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und dem deutschen Südwesten.

Den Höhepunkt des Aufenthaltes bildete am späten Nachmittag die großartige Veranstaltung im Schloss in Ludwigsburg. Bereits auf der Fahrt dorthin säumten Hunderttausende den Weg, um den Präsidenten zu bejubeln. Neben vielen Ehrengästen hatten sich tausende überwiegend junge Menschen im Schlosshof versammelt, um an der Kundgebung an die deutsche Jugend teilzunehmen, die zu einer überwältigenden Ovation werden sollte. Nach der Begrüßung durch Bundespräsident Heinrich Lübke sprach de Gaulle zur deutschen Jugend. Unter Beifallsstürmen endete er mit den Worten: Die Zukunft unserer beiden Länder, der Grundstein, auf dem die Einheit Europas errichtet werden kann und muss, und der höchste Trumpf für die Freiheit bleiben die gegenseitige Achtung, das Vertrauen und die Freundschaft zwischen dem französischen und dem deutschen Volk.

Zur Erinnerung an den historischen Staatsbesuch gab die Landesregierung eigens eine Schallplatte mit den Ansprachen de Gaulles und Kiesingers in Auftrag, die als mittlerweile digitalisiertes Archivale ebenfalls im Hauptstaatsarchiv verwahrt wird. Den Worten sollten sehr bald Taten folgen: Im Januar 1963 wurde der Élysée-Vertrag unterzeichnet. Damit verbunden war die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks, das mit den Ludwigsburger Reden vorbereitet worden war.

Nicole Bickhoff

Quelle: Archivnachrichten 61 (2020), S. 36-37.

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