Brudermord in Leonberg?

Überraschende Einblicke in ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren aus dem Jahre 1727

 

Tatortskizze. Vorlage: Landesarchiv BW, HStAS A 309 Bü 131. Zum Vergrößern bitte klicken.
Tatortskizze. Vorlage: Landesarchiv BW, HStAS A 309 Bü 131. Zum Vergrößern bitte klicken.

Vor dem Malefiz-Gericht Leonberg wurde 1727 ein Verfahren gegen den in Renningen ansässigen Schmied Johannes Schnauffler, 46 Jahre, wegen Verdachts des Mordes an seinem Bruder Georg, ca. 55 Jahre, Zimmermann in Großsachsen bei Heidelberg, eröffnet.

Der Tathergang ließ sich aus den Zeugenaussagen wie folgt rekonstruieren: Am Dienstag, den 14. Oktober 1727, begleitete der Verdächtige J. Schnauffler seinen Bruder auf dessen Rückreise in die Kurpfalz. Unterwegs kehrten sie mehrmals ein, zuletzt bei dem Sattler Johann Konrad Pfleiderer in Leonberg. Aufgrund ihres starken Alkoholkonsums schliefen die Brüder dort ihren Rausch aus, beide zunächst im Wohnhaus, J. Schnauffler dann später in der angrenzenden Scheune. Zwischen 14.00 und 15.00 Uhr weckte ihn sein Bruder im Beisein des J. K. Pfleiderer. Dieser verließ daraufhin die Scheune und kehrte ins angrenzende Haus zurück.

Knapp eine Viertelstunde später hörte man aus der Scheune einen Schlag und einen Schrei. Die herbeieilenden Zeugen fanden Georg Schnauffler mit schwerer Kopfverletzung bewusstlos auf dem Boden bei der Türschwelle liegend vor. Johannes Schnauffler stand mit einer Schaufel in der Hand ca. 6 Schritte entfernt. Bei einer unmittelbaren Befragung gestand dieser zunächst, seinen Bruder mit der Schaufel geschlagen zu haben. Er wurde daraufhin abgeführt und in den Turm zu Leonberg verbracht. Georg Schnauffler erlag noch in derselben Nacht, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben, seinen schweren Verletzungen.

Wie sahen die folgenden strafrechtlichen Ermittlungen nun konkret aus? Zu Beginn führte man ausführliche Zeugenverhöre durch, sowohl von Kläger- als auch Beklagtenseite; Hauptaugenmerk hierbei: Der Geisteszustand des Verdächtigen, insbesondere was dessen Alkoholkonsum betraf, zum Zeitpunkt der Tat. Da er bald nach seinem Geständnis dieses widerrufen hatte und angab, sich an den genauen Tathergang nicht mehr erinnern zu können, lagen begründete Zweifel nahe. Die sorgfältige Untersuchung des Tatorts (s. Abb.) lieferte keine eindeutigen Hinweise. Auch die angebliche Tatwaffe (Schaufel) konnte nach genauer Prüfung den Kopfverletzungen des Toten nicht zweifelsfrei zugeordnet werden. Diese ließen sich eher auf einen am Tatort befindlichen vorstehenden Holzbalken zurückführen. War also der Tod des Georg Schnauffler kein Mord, sondern die Folge eines Sturzes?

Im Mai 1728 leitete man die Prozessakten zur Prüfung an die Juristische Fakultät der Universität Tübingen weiter. Diese veranlasste als letzten Versuch zur endgültigen Klärung des Tathergangs ein peinliches Verhör des Verdächtigen in Anwesenheit des Henkers und mit Auslegung der Folterinstrumente. Aber auch dies führte nicht zu dem gewünschten Schuldeingeständnis. In dem abschließenden Urteil wurde J. Schnauffler daher freigesprochen. Er hatte die Gerichtskosten zu tragen und musste Urfehde schwören. Am 14. Juni 1728 nach achtmonatigem Gefängnisaufenthalt entließ man ihn dann aus der Haft.

Einmal abgesehen von dem letzten Akt der peinlichen Befragung zeigt diese Untersuchung bereits recht moderne Züge. Dem Verdächtigen wurde eine verteidigende Partei zugestanden. Die Durchführung der Zeugenverhöre sowie die Untersuchung des Tatorts und Tathergangs erfolgte ausgesprochen akribisch. Auch der Ausgang des Prozesses, ein Freispruch aus Mangel an Beweisen, passt in dieses Bild.

Gabriele Löffler

Quelle: Archivnachrichten 63 (2021), Seite 42.