"Eine sociale Revolution": Die Judenemanzipation in Rumänien in den Briefen des Fürsten Carol I.

Brief des Fürsten Carol von Rumänien an seinen Bruder, den Erbprinzen Leopold von Hohenzollern, Juni 1879. Quelle: Landesarchiv BW, StAS FAS HS 1-80 T 8 Nr. 580
Brief des Fürsten Carol von Rumänien an seinen Bruder, den Erbprinzen Leopold von Hohenzollern, Juni 1879. Quelle: Landesarchiv BW, StAS FAS HS 1-80 T 8 Nr. 580

Der Berliner Vertrag vom Juli 1878 stellte dem Fürstentum Rumänien die langersehnte internationale Anerkennung als unabhängigem Staat in Aussicht. Allerdings waren zwei Bedingungen daran geknüpft: Zum einen musste Rumänien den südlichen Teil Bessarabiens wieder an Russland abtreten, zum anderen forderten die Vertragsmächte die verfassungsmäßig verankerte Gleichberechtigung der Juden in Rumänien. So verlangte der Artikel 44 des Vertragswerks: In Rumänien darf der Unterschied des religiösen Glaubens und der Bekenntnisse Niemandem gegenüber geltend gemacht werden als ein Grund der Ausschließung oder der Unfähigkeit bezüglich des Genusses der bürgerlichen und politischen Rechte, der Zulassung zu öffentlichen Diensten, Ämtern und Ehren oder der Ausübung der verschiedenen Berufs- und Gewerbszweige, an welchem Orte es auch sei.

Damit waren in erster Linie natürlich die jüdischen Bewohner des jungen Fürstentums gemeint. Insbesondere in der Moldau hatte deren Anteil an der Bevölkerung durch Zuwanderung, vor allem aber durch eine günstige demografische Entwicklung beachtlich zugenommen. Die Einbürgerung blieb den Juden allerdings nach wie vor verwehrt. Allein schon die öffentliche Diskussion der Emanzipationsfrage in der Verfassunggebenden Versammlung und in der Parlamentskommission sollte gewalttätige Ausschreitungen gegen Juden zur Folge haben.

Die sozialen Spannungen, erhebliche antijüdische Ressentiments in einflussreichen nationalistischen, konservativen und liberalen Kreisen sowie die ungeduldige Haltung Bismarcks setzten auch den Fürsten Carol erheblich unter Druck. Ganz offen brachte er seine zwiespältige Haltung in der privaten Korrespondenz mit seinem Bruder, dem Erbprinzen Leopold von Hohenzollern zum Ausdruck. Er schrieb von der Judenemanzipation als einer socialen Revolution, die tief ins Staatsleben einschneidet und eine nationale Gefahr birgt. Der Occident befinde sich in einer vollen Unkenntnis in dieser Angelegenheit und verlange trotzdem, dass das Unmögliche möglich gemacht werde. Bismarck fahre fort, ihn zu drangsalieren und übergehe seinen, also Carols diplomatischen Vertreter in Berlin geflissentlich. Es ist dies wieder ein Mal eine Brutalität à la B[ismarck] gegen welche man nicht ankämpfen kann. In teils gitterförmig angelegten und damit nur schwer entzifferbaren Briefzeilen beschwerte er sich über den schlechten Willen in den parlamentarischen Kammern und die große Unentschlossenheit der rumänischen Regierung. Er selbst habe die drohende Gefahr einer Intervention vom Auslande als Schreckensbild aufgestellt, und trotzdem sei die Aversion gegen die Juden so bedeutend, dass man so wenig wie möglich geben werde. Carol selbst brachte den Juden seines Landes durchaus Wohlwollen entgegen. Zu einem konsequenten Eintreten für deren Gleichberechtigung fehlten ihm jedoch Mut und Durchsetzungskraft. Dessen ungeachtet fand Rumänien recht bald die internationale Anerkennung. Für Rumäniens Juden freilich sollten sich erst in den zwanziger Jahren des nachfolgenden Jahrhunderts grundlegende Verbesserungen ergeben.

 Franz-Josef Ziwes

Quelle: Archivnachrichten 52 (2016), S.9.

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