Fastnacht in Villingen/Narrozunft Villingen (1938)

Von Felix Teuchert

Fastnachtsumzug in Villingen, 1938 [Quelle: Landesfilmsammlung Baden-Württemberg]  

Auch in Villingen gibt es eine alte Fastnachttradition, die sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Gemeinsam mit Rottweil gilt Villingen als eine der wichtigsten Repräsentantinnen der schwäbisch-alemannische Fastnacht. Der Ablauf unterscheidet sich im Groben nicht wesentlich von den Fastnachtbräuchen anderer Orte im schwäbisch-alemannischen Raum, wobei die einzelnen Elemente lokal variieren konnten. Heutzutage beginnt die Fastnacht in Villingen am 6. Januar mit dem „Abstauben“ der Narrenmasken vom Staub des vergangenen Jahres. Am „Schmotzigen Donnerstag“ – dem letzten Donnerstag vor Beginn der Fastenzeit – findet ein Kinderumzug statt, am darauffolgenden Sonntag übergibt der Bürgermeister dem Zunftmeister, der der „Narrozunft Villingen“ vorsteht, die Rathausschlüssel. Solche Symbole, die die Übernahme des Stadtregiments durch die Narren und die Entmachtung der Obrigkeit bildlich repräsentieren, finden sich in vielen Fastnachtbräuchen, so beispielsweise in Rottenburg am Neckar und in Rottweil. Traditionelle Figuren der Villinger Fastnacht sind der Narro, auf dessen Leinengewand farbige Tierfiguren abgebildet sind. Über dem Oberkörper trägt der Narro an Riemen befestigte Glocken; der Hals wird von einer gewaltigen Halskrause geschmückt. Bei den Holzmasken handelt es sich um herausragende Leistungen der traditionsreichen, fastnächtlichen Larvenschnitzkunst. Neben dem Narro treten der Stachi, die Alt-Villingerin, der Morbili, der Butzesel und der Wuescht auf – allesamt in historisch anmutenden Gewändern. Die Kostüme der Alt-Villingerinnen zum Beispiel, bestehend aus einem Seidenschal, einer glänzenden Schürze und einer riesigen Radhaube, stammen aus dem 19. Jahrhundert. Ursprünglich handelt es sich hierbei um eine Frauenmode, die im frühen 19. Jahrhundert aus der Mode kam und dann zum Fastnachtskostüm avancierte. Im Video sind die Alt-Villingerinnen mit ihren Radhauben, die Butzesel – eine Tierfigur mit kachelähnlichen Stoffkostümen – und die Wueschte mit ihren auf dem Rücken befestigten Brettern gut zu erkennen. Die Fastnacht endet mit dem Verbrennen des Strohs der Strohpuppen, die an den Brettern der Wueschte befestigt sind.

Wie fast alle der hier vorliegenden Filmausschnitte, die Fastnachtsbräuche zeigen, stammt auch dieser aus den späten 30er-Jahren. Die Nationalsozialisten, die zu dieser Zeit fest im Sattel saßen, unterstützten die Fastnachtsfeiern als Ausdruck „deutschen Volkstums“. Dabei konnte die NS-Propaganda mühelos an die ältere volkskundliche Forschung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts anknüpfen, die – auf der Suche nach den Wurzeln des deutschen Volkes – die Fastnachtstradition in Südwestdeutschland als vorchristlich und germanisch interpretierte, was der nationalsozialistischen, mystizistischen Germanen-Ideologie entgegenkam. Eris Busse, ein dem NS zugewandter badischer Volkskundler und Heimatautor, löste die Fastnacht aus dem christlichen Deutungszusammenhang heraus und schrieb ihr eine germanisch-heidnische Bedeutung zu. In der „Volksfastnet“ erblickte er, wie er in seiner 1937 erschienenen Schrift „Alemannische Volksfastnacht“ schrieb, den „Beweis des völkischen Selbstbewusstseins in einem erbgesunden Stamme.“ Das Deutungsmuster des vorchristlichen Ursprungs der Fastnacht hielt sich auch über die NS-Zeit hinaus, wird allerdings in der neueren kulturwissenschaftlichen Forschung zunehmend infrage gestellt.

Die Nationalsozialisten verzichteten an Fasching im Gegensatz zu ihren Massenaufmärschen und anderen Volksfesten darauf, allzu sichtbar mit ihren Symbolen in Erscheinung zu treten. Eine großflächige Hakenkreuzbeflaggung ist beispielsweise nicht zu sehen, HJ-Mitgliedern wurde der Auftritt in Uniform verboten. Möglicherweise sollten Fastnachtstraditionen als unpolitisch und harmlos präsentiert werden, vielleicht wollte das inszenierungsbewusste NS-Regime auch nicht mit den grotesken Formen und Symbolen des Faschings in Verbindung gebracht werden oder sie fürchteten, sie selbst könnten zum Gegenstand des Spottes werden. Im Hintergrund nahmen sie gleichwohl Einfluss auf die Fastnacht, indem sie Mottowagen zensierten und die Narrenzünfte gleichschalteten. Politische Botschaften waren nur dann erlaubt, wenn sie antisemitisch waren oder sich gegen die Feinde von Volk und Nationalsozialismus – beides wurde in der NS-Ideologie gleichgesetzt – richteten.

 

Literatur

  • Auer, Anita/Wacker, Dieter/Herzog-Singer, Thomas: Masquera. Die historische Villinger Fasnet. Historische Narrozunft Villingen, Villingen-Schwenningen 2007.
  • Dietmar, Carl/ Leifeld, Marcus: Alaaf und Heil Hitler. Karneval im Dritten Reich. Herbig Verlag, München 2010.
  • Mezger, Werner, Schwäbisch-Alemannische Fastnacht. Kulturerbe und lebendige Tradition, Darmstadt 2015.
  • Schicht, Jochen, Die Rottweiler Fasnet als „heimatliches“ Symbol: Zum Einfluss städtischer Festkultur auf lokale Identität, Rottweil 2003.
  • Wagner, Wulf, Bräuche im Ländle, Stuttgart 2017.

 

Zitierhinweis: Felix Teuchert, Fastnacht in Villingen/Narrozunft Villingen, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 09.11.2020

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