Kleidung – Körper – Mode: Ein Spannungsfeld

Von Carmen Anton

 Modenschau der Boutique LM im Parkhotel (Quelle: Stadarchiv Karlsruhe)
Modenschau der Boutique LM im Parkhotel [Quelle: Bildarchiv Schlesiger 1971, Stadtarchiv Karlsruhe]

Als ursprünglicher Zweck der Kleidung gilt der Schutz des Menschen vor den Elementen. Sie sollte wärmen, vor Sonne, Regen, Wind und Wetter schützen, sowie das Vorankommen in verschiedenen Terrains erleichtern. Diese Ansprüche finden heute vor allem in der sogenannten Funktionskleidung für bestimmte Arbeitsfelder und Freizeitaktivitäten Berücksichtigung.

Doch schon früh vermischte sich das Themenfeld der Kleidung mit einem weiteren: Dem der Mode. Diese ist der Kleidung als vielfältiger Ausdruck von Imponiergehabe, aber auch Spieltrieb vermutlich sogar vorausgegangen.

Heutzutage wird Mode oft synonym mit dem Kofferwort „Kleidermode“ verstanden, was auf die frühe Verbundenheit der beiden Themenfelder verweist. Sie sind so eng miteinander verwoben, dass sie begrifflich mitunter nicht einmal mehr unterschieden werden. Dabei bezieht sich der Begriff ohne den eingrenzenden Zusatz auf weit mehr.

Ganz allgemein gesprochen ist eine Mode etwas, das dem zeitgenössisch vorherrschenden Geschmack und den damit zusammenhängenden Geisteshaltungen entspricht, beziehungsweise zu einem bestimmten Zeitpunkt schlicht üblich ist. Mode ist einem ständigen Wandel unterworfen, der einer stetigen Wechselwirkung mit der Gesellschaft unterliegt, und erfasst ferner jedwede Form ästhetischer Gestaltung des Lebens. Dies umfasst neben den vor allem assoziierten Kleidern auch beispielsweise Architektur, Inneneinrichtung, Kosmetik, Schmuck, Kunst, Musik oder Tänze. Aber auch das Körperideal unterliegt solchen Schwankungen und ist eng mit den Präferenzen und Bräuchen bezüglich der mit ihm verbundenen Kleidung verwoben.

Moden, die sich mitunter überschneiden oder innerhalb eines begrenzten Raumes und Zeitfensters parallel in unterschiedlichen Milieus existieren, werden dazu verwandt eine eigene Gruppenzugehörigkeit zu kommunizieren, oder aber sich von anderen Gruppen gezielt abzugrenzen. Sie geben Auskunft über den gesellschaftlichen Anpassungsgrad eines Individuums und sind Zeugnisse eines Wandels der Maximen einer Gesellschaft ebenso wie deren Auflösung und weiterer Verhandlung.

Getreu der alten Redewendung „Kleider machen Leute“ kann dieser geschilderte Zusammenhang ein Gegenüber jedoch auch zu unterbewussten Fehlannahmen über den Träger bestimmter Kleidungsstücke verleiten, sollten sie ohne Kontextwissen oder sogar bewusst, um mit bisher gültigen Normen zu brechen, und ohne den sonst suggerierten Milieubezug getragen werden.

Mode machen und Mode deuten

Uniform: Frack eines Kammerherren, vor 1918 [Copyright: Badisches Landesmuseum Karlsruhe]
Uniform: Frack eines Kammerherren, vor 1918 [Quelle: Badisches Landesmuseum Karlsruhe]

Historisch gingen Modeentwicklungen zunächst von der gesellschaftlichen Oberschicht, vorrangig den Adelshöfen, aus. Diese verfügte über die nötigen Ressourcen, die Muße und vor allem auch den Antrieb sich durch kostspielige und ungewöhnliche Kleidung, Frisuren und Bräuche von anderen Gesellschaftsschichten wirksam abzugrenzen. Aber auch weniger gut betuchte Schichten blieben von modischen Entwicklungen nicht unberührt. Teilhabe, und sei sie zeitversetzt gegenüber dem Aufkommen der Strömungen in der Oberschicht, konnte einerseits die eigene Armut nach außen hin kaschieren, andererseits sogar den Eindruck einer gepflegten Erscheinung und somit Tugendhaftigkeit vermitteln, selbst wenn die Mode nur in den Elementen befolgt wurde, die den jeweiligen Lebensumständen angemessen waren. Schon früh ist der Einfluss zuvor unbekannter Kulturen auf die europäische Modewelt abzulesen, beispielsweise während der Kreuzzüge, die vor allem innerhalb der Eliten zur Verbreitung orientalischer Stoffe und Schnitte im Abendland beitrugen.
Mit der Zeit und der sukzessive erleichterten Verfügbarkeit verschiedener Stoffe und vereinfachter Herstellungstechniken schritt allerdings auch die Entwicklung von Moden in anderen Gesellschaftsschichten voran, welche mitunter von adeligen, später auch bürgerlichen Kreisen für sich entdeckt, adaptiert, modifiziert und popularisiert wurden.

Als generelle Problematik in der Erforschung der Kleidungsmoden gilt die Verzerrung des Überlieferten gegenüber dem Alltäglichen. Kleidung lässt sich gewöhnlich in ereignisgebundene Kleidung wie Tauf- und Hochzeitskleidung einerseits und alltägliche Kleidung andererseits unterteilen. Ferner lässt sich mitunter auch eine strikte Trennung zwischen Alltags- und Arbeitskleidung vornehmen.

Erhalten als Relikt und festgehalten in Gemälden oder später Fotografien sind vor allem die Kleidungsstücke der reichen Adels- und Bürgerkreise, welche es sich leisten konnten, sich selbst in solchen Darstellungen zu verewigen. Zwar löste die Fotografie diesen Zutand graduell auf, denn sie war bedeutend zugänglicher und erschwinglicher als das Bezahlen eines Malers, der über Stunden, wenn nicht Wochen am eigenen Portrait arbeitete. Allerdings tritt hier auch ein bereits bekanntes Problem zutage: Zu solchen nicht alltäglichen Gelegenheiten trugen auch Bauern und Arbeiter ihre beste Kleidung, die sonst einzig für Festtage oder den sonntäglichen Kirchgang vorgesehen war, nicht ihre Alltagskleidung.

Gleichzeitig sind weniger Kleidungsstücke aus den einfachen Bevölkerungsschichten bis heute erhalten geblieben, als dies für die Spitze der Gesellschaft gilt, denn deren Angehörige verfügten über eine größere Sammlung unterschiedlicher Kleidungsstücke, welche entsprechend auch weniger getragen wurden, somit weniger Strapazen erlitten und letztlich auch wahrscheinlicher die Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte bis heute überdauerten.

Betrachtet man darum Relikte und Darstellungen historischer Kleidung, so muss man sich stets vor Augen führen, dass es sich hierbei aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Ausschnitt aus einer ursprünglich viel facettenreicheren Modelandschaft handelt, die noch dazu stark von unserem Wissen über gesellschaftliche Eliten sowie durch die Möglichkeiten individueller Selbstinszenierung verzerrt sind. Das macht die gewonnenen Erkenntnisse und gefundenen Beispiele nicht weniger authentisch, muss jedoch bei der Bewertung dieses Wissens stets berücksichtigt werden.

Inventurlisten ländlicher Haushalte und zeitgenössische Nähbücher können dabei helfen, wenigstens im Datensatz ein Gefühl für die in Darstellungen nicht überlieferten Varianten von Bekleidung zu entwickeln und Schlussfolgerungen über die Verbreitung bestimmter Moden anzustellen.

Der Begriff „Mode“ und seine Bedeutung

ederjacke eines Punks, um 2001 [Quelle: Landesmuseum Württemberg]
Lederjacke eines Punks, um 2001 [Quelle: Landesmuseum Württemberg]

Mode wird als ein mittelfristiges Phänomen von den bedeutend kurzlebigeren Modeströmungen einerseits, sowie den viele Moden überdauernden Klassikern abgegrenzt. Entsprechend vereinnahmen diese drei Begriffe jeweils auch eine grobe Angabe über die Dauer des beschriebenen Phänomens, was gleichfalls auf seine charakteristische Dynamik verweist. Auf Kleidung im Speziellen bezogen, unterscheidet man manchmal auch zwischen Mode und Tracht, die gleichbedeutend mit dem sich wandelnden Zeitgeschmack und dem Traditionellen gedeutet werden. Allerdings sind die Grenzen im historischen Kontext hier nicht immer klar auszumachen, da auch Trachten nicht zwingend frei von modischen Einflüssen waren oder sind. Aus den alltäglichen Tragegewohnheiten sind sie verschwunden. Stattdessen werden sie zu besonderen Anlässen regional bewusst und aktiv gepflegt. Mitunter wird der Umgang mit der Tracht in der Gegenwart darum sogar als eine Mode betrachtet, nämlich der Mode, sich mit eben jenen realen oder auch verklärten Traditionen wieder verstärkt zu befassen und sie in bestimmten Rahmen offen auszuleben. Die mangelnde Trennschärfe einer dialektischen Einteilung in Tracht und Mode in der Gegenwart liegt durch dieses Beispiel auf der Hand. Zugespitzt könnte man an dieser Stelle formulieren, dass auch jede Form der Anti-Mode letztendlich als Reaktion auf modische Entwicklungen sich selbiger nicht vollständig entziehen kann, sondern lediglich alternative Modekonzepte entwickelt, die sich ihrerseits über Zeit ausdifferenzieren und bei Liebhabern verbreiten, bis sie vielleicht sogar nach einiger Zeit ihren Weg in Massenmode finden.

Als Vokabel leitet man „Mode“ vom italienischen „moda“ oder dem lateinischen „modus“ ab, was beides so viel wie „Art und Weise“ bedeutet.

Empirekleid aus Seide, circa 1817-1822 [Quelle: Landesmuseum Württemberg]
Empirekleid aus Seide, circa 1817-1822 [Quelle: Landesmuseum Württemberg]
Mode existiert im Spannungsfeld eines breiten Spektrums zwischen experimentierfreudigen Individualisten und Rebellen sowie konservativen Konformisten, welches ihr zugleich als Motor dient. In dem Willen individualistischer Strömungen, sich am Spiel mit den Nuancen ästhetischer Stilmittel zu verausgaben, ihrer Individualität Ausdruck zu verleihen, Widerstand gegen den Status Quo zu demonstrieren oder anderen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, entstehen Moden, die entweder sukzessive durch die verschiedenen Gesellschaftsschichten diffundieren, oder bald wieder als schiere Modeströmung versiegen. Erreichen sie eine gewisse Flächenwirkung, werden sie letztlich auch von den konservativen Kreisen übernommen, welche nun durch diese Anpassung ihrem eigenen Wunsch nach Konformität mit der Masse nachkommen. Nach dem Prinzip der „Integration durch Assimilation“, also Einbindung durch Aneignung, erfüllen sie ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeitsempfinden. Spätestens durch diesen finalen Schritt der Flächenrezeption einer Mode jedoch fühlen sich die hochgradig individualistischen Bevölkerungsschichten wieder einer Notwendigkeit neuerlicher Abgrenzung unterworfen und neue Moden entstehen.

Hinzu treten pragmatische Erwägungen, beispielsweise die Bezugnahme auf die eigene Lebensrealität, wie sie vor allem in der Kleidermode zutage tritt, wann immer das Verlangen nach Komfort und pragmatischer Nutzbarkeit für die Arbeitsumstände der Einzelperson sich in der Garderobe niederschlagen. Aber auch genormte Formen von Kommunikationszeichen werden mitunter Bestandteil der Kleidung. Diese können über den sozialen Status, Familienstand oder andere Gruppenzugehörigkeiten Auskunft geben.
Ferner fließen auch ökonomische Faktoren, wie die Verfügbarkeit nötiger Rohstoffe, religiöse und moralische Erwägungen oder auch politische Einflüsse in diese Differenzierungsprozesse mit ein.

Jagdanzug König Wilhelms II., 1908 [Quelle: Landesmuseum Württemberg]  
König Wilhelm II. im Jagdanzug, 1908 [Quelle: Landesmuseum Württemberg]

Mode im Gesamten stellt ein hochgradig komplexes Gesellschaftsphänomen da, welches sich in seiner Gänze kaum erschöpfend darstellen lässt. Zugleich ist es ein Bestandteil des alltäglichen Lebens, findet sie doch genau dort ihren Ausdruck. Sie wird buchstäblich gelebt, aber auch betrachtet, bewertet und verwandelt, mal bewusst, mal unbewusst und ganz organisch. Entsprechend kann auch die Alltagskultur sich eines Bezuges zu diesem Thema nicht verschließen.

Moden können einerseits Ausdruck politischer Überzeugungen sein, oder aber auch direkt von politischer Seite geformt oder gar forciert werden. Sie können Zuspruch und Ablehnung zu einem System darstellen, aber auch schlichte Konsequenz der finanziellen Situation großer Teile der Gesellschaft sein. Sie sind prägende Faktoren im sogenannten Schönheitshandeln, der Suche nach sozialer Anerkennung innerhalb einer Gruppe durch die eigene Selbstdarstellung. Diese bewegt sich zwischen den beiden Polen der Normalisierung, das heißt Anpassung an eine Gruppe, sowie Abhebung zur Etablierung oder Stabilisierung der eigenen Realität und Identität. Dabei gibt Mode vor allem die Elemente der Normalisierung vor, wohingegen Abhebung durch Brüche mit eben diesen prägenden Vorgaben und Gewohnheiten des Umfeldes erfolgen kann.

Mode ist auch ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Wirtschaft. Ihre stetigem Wandel unterworfenen Regeln und Normen nehmen Einfluss auf das Konsumverhalten der Menschen, die durch erhöhte Nachfrage wiederum auf die Produktionskette einwirken, ebenso, wie aber auch ein großes Angebot zur Entwicklung einer Mode beitragen kann.

Mode wird auch durch Menschen ganz aktiv selektiert. Autoren und Verleger stimmen die gedruckten Anleitungen zum heimischen Nähen ab, Designer entscheiden, was sie anfertigen, Händler treffen eine Vorauswahl, wenn sie ihr Warensortiment bestücken, Magazine heute und Künstler und ihre Modelle früher treffen Entscheidungen hinsichtlich der Kleidung, die abgebildet wird. So nehmen Verfügbarkeit der Produkte und exponierte Darstellung einzelner Elemente ebenfalls Einfluss auf den vorherrschenden Geschmack und vor allem auf die allgemeine Bewertung der verbreiteten Facetten im öffentlichen Diskurs. Gleichzeitig verweist diese Verkettung von Prozessen auf die Bedeutung der Mode als Wirtschaftsmotor.

Literatur

  • Bausinger, Hermann, Zu den Funktionen der Mode, in: LITHeS. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie 9 (2016), Nr 14, S.7-15. URL: http://lithes.uni-graz.at/lithes/beitraege16_14/bausinger_funktionen_mode.pdf (aufgerufen am 15.10.2020).
  • Loschek, Ingrid und Wolter, Gundula, Reclams Mode- und Kostümlexikon, Stuttgart 2011.

  • Posch, Waltraud, Projekt Körper. Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt, Frankfurt am Main 2009.

 

Zitierhinweis: Carmen Anton, Kleidung – Körper – Mode: Ein Spannungsfeld, in: Alltagskultur im Südwesten. URL: [...], Stand: 15.10.2020

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