Technische Infrastruktur - Die ersten Fahrräder in den Hohenzollernschen Landen

Florian Brückner, Universität Stuttgart

Bericht des Hechinger Stadtverordneten Eugen Müller vom 16. Juli 1924 zur Entwicklung, Verbreitung und Wahrnehmung von Fahrrädern und Autos im Regierungsbezirk Sigmaringen, (Quelle: Landesarchiv BW, StAS Dep. 1 T 6-7 Nr. 173, Bild 14)
Bericht des Sigmaringer Unternehmers Eugen Müller vom 16. Juli 1924 zur Entwicklung, Verbreitung und Wahrnehmung von Fahrrädern und Autos im Regierungsbezirk Sigmaringen, (Quelle: Landesarchiv BW, StAS Dep. 1 T 6-7 Nr. 173, Bild 14)

Kontext

In den 1920er Jahren entwickelte sich aufgrund des Straßen- sowie des Eisenbahnausbaus ein neues Gefühl für Geschwindigkeit und Mobilität. In diese Zeit fiel zudem die massentaugliche Weiterentwicklung von Fahrrädern und Autos. Dominierten im Übergangszeitraum von 1918-1923 auf dem Automobilmarkt zunächst vor allem Vertragsmodelle, d.h. auf vorherige Bestellung bei den Herstellern hin entworfene und gelieferte Autos, begann sich eine neue effizientere Autogeneration zu etablieren. Die Weimarer Republik kann daher durchaus als Durchbruchsphase für die Motorisierung in Deutschland angesehen werden, stieg doch aufgrund der ständig anwachsenden Nachfrage in den zwanziger Jahren die Planung und Produktion von Automobilen stetig an. Deutsche Automobile gehörten bereits zu dieser Zeit weltweit zu den nachgefragtesten Modellen: Der Nimbus zahlreicher deutscher Automarken wie Maybach, BMW oder Daimler-Benz datiert in diese Pionierzeit, in der neue Sicherheitsvorkehrungen konzipiert und auf internationalen Automobilausstellungen neue Präsentationsmöglichkeiten ausgearbeitet wurden.

Dennoch war das Automobil keineswegs der große Konkurrent des bis 1918 noch gebräuchlichsten Fortbewegungsmittels: nicht des Pferdes, sondern des Fahrrads. Ideen, wie menschliche Muskelkraft und Zweiradsystem in Einklang zu bringen waren, datieren bereits auf den Beginn des 19. Jahrhunderts. Zu den Pionieren gehörten hier amerikanische und britische Tüftler. So hatten vor allem amerikanische und britische Ingenieure die Entwicklung der, für den Abrollantrieb des Fahrrads so wichtigen, Luftreifen vorangetrieben. In Deutschland stand der Name des badischen Forstbeamten, Karl Drais, für die Weiterentwicklung der aus dem angelsächsischen Raum stammenden Ideen. Drais präsentierte 1817 sein erstes Laufrad. Diese, nach ihrem Erfinder benannte, Draisine vermochte sich jedoch langfristig nicht durchzusetzen. Der eigentliche Durchbruch des Fahrrads sollte sich erst um die Jahrhundertwende vollziehen, als eine serielle Produktion das Fahrrad zum Massenprodukt werden lassen konnte.

Quelle

Der vorliegende Bericht des Sigmaringer Unternehmers Eugen Müller vom 16. Juli 1924 beschäftigte sich mit Entwicklung, Verbreitung und Wahrnehmung von Fahrrädern und Autos im Regierungsbezirk Sigmaringen.

In den Hohenzollerischen Landen selbst gehörten entsprechend der teuren Anschaffungspreise Adel und bürgerliche Honoratioren zu den ersten Fahrradbesitzern. So nannte Müller beispielsweise die Prinzen Friedrich (1843-1904) und Leopold von Hohenzollern (1835-1905) als die ersten Fahrradfahrer Hohenzollerns sowie einen gewissen Schmiedemeister Buck, der in Sigmaringen für Bau und Herstellung der ersten Fahrräder verantwortlich gewesen sein soll. Als einen der ersten Hochradfahrer in Sigmaringen nennt der Bericht den Sigmaringer Oberbuchhalter Wilhelm Raible, von dem der vorliegende Aktenband ebenfalls Dokumente zur Entwicklung des Radsports im Regierungsbezirk beinhaltet. Zu den wichtigsten Lieferanten von Fahrrädern zählte für den Regierungsbezirk hauptsächlich die Firma Gebrüder Maurer in Tuttlingen.

Neben dem bekannten Hochrad begann in Sigmaringen ebenfalls die Entwicklung des Fahrrads hin zum Niederrad, jener Form also, die dem heutigen Fahrraddesign entspricht. Hier zeichnete sich in den Hohenzollerischen Landen vor allem die Firma F. Haberborsch verantwortlich, die mit der Entwicklung einer neuen Vollgummireifenmischung das Design neuer Fahrradrahmen ermöglichte. Laut Müller handelte es sich bei der einsetzenden Mobilisierung mithilfe von Fahrrädern keineswegs um einen allein Jugendlichen bzw. aufgrund der Anschaffungspreise dem Adel oder bürgerlichen Honoratioren vorbehaltenes Vergnügen. Fahrräder verbreiteten sich in Sigmaringen immer stärker, für Frauen wurde ein Damenrad entwickelt, und Müller benannte Jung und Alt zu begeisterten Anhängern der sich entfaltenden Fahrradkultur: „In Sigmaringen selbst laufen Hunderte von Fahrrädern, man hat sich so an den Radfahrer gewöhnt, dass er direkt zum Straßenbild gehört.“

Bezüglich der Entwicklung von Automobilen und ihrer Verbreitung zählte in Sigmaringen die Firma H. Mueller um die Jahrhundertwende zu den wichtigsten Fabrikanten und Lieferanten. Die ersten Kraftwagen erhielten Angehörige des öffentlichen Dienstes im Regierungs- und Sanitätsrat. Im Vergleich zu der sich rasant entwickelnden Fahrradkultur stieß die Entwicklung des Automobils gerade im Bereich der Landbevölkerung jedoch zunächst auf Misstrauen. Müller sprach hier von einer ablehnenden Haltung in der Landbevölkerung, da sich das Vieh der Bauern nur schwer an die Anwesenheit motorisierter Vehikel zu gewöhnen schien: „Nun sah man auch in unserer Gegend ab und zu ein Automobil, das Publikum verhielt sich jedoch direkt ablehnend, vor allem die Landbevölkerung, denn wenn sich auch die Pferde inzwischen an das Fahrrad gewöhnt hatten, so war das Motorrad schon ein übles Ding, aber der Kraftwagen war für die Pferde und Zugtiere direkt gefährlich.“ Insgesamt, so die Bilanz Müllers, existierten in Hohenzollern bis 1925 ca. 300 Fahrräder (davon etwa 100 Damenräder) sowie ebenfalls 300 Kraft- und 23 Lastwagen, was bezogen auf die Einwohnerzahl Hohenzollerns vergleichsweise gering ausfiel.

GND-Verknüpfung: Technische Infrastruktur [4774721-3]

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Bericht Eugen Müller, 16.7.1924