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Zeichen der Versöhnung - die Theresienkapelle in Singen

 

Die von Kriegsgefangenen erbaute Theresienkapelle in Singen ist heute Gedenkstätte, Quelle Landeszentrale für politische Bildung BW
Die von Kriegsgefangenen erbaute Theresienkapelle in Singen ist heute Gedenkstätte, Quelle Landeszentrale für politische Bildung BW

Die Theresienkapelle in einem Industriegebiet der Hegau-Stadt Singen ist die bislang einzige bekannte erhaltene Kapelle eines Kriegsgefangenenlagers. Während des Zweiten Weltkriegs waren auf dem Gelände Zwangsarbeiter untergebracht. In Singen hatten sich mit der Alufabrik, Maggi sowie den eisen- und stahlverarbeitenden Fittingwerken mehrere große Firmen angesiedelt, gegründet als Zweigwerke von Unternehmen aus der nahen Schweiz. Während der NS-Zeit wurden in der Produktion rund 2.400 Fremdarbeiter eingesetzt. Etwa ein Drittel waren Kriegsgefangene, die anderen Zwangsarbeiter aus Polen, Frankreich, Holland und vor allem der Sowjetunion, darunter viele Frauen. Aus dem Lager der Fittingwerke wurde nach Kriegsende das Interniertenlager Bonaparte der französischen Besatzung für politische Gefangene, NS-Funktionäre und Ausgewiesene aus der Schweiz. Ab März 1946 unterstand das Lager dem Kommandanten Jean le Pan de Ligny, der zeitweise auch als stellvertretender Stadtkommandant agierte. Seiner humanistischen Gesinnung ist es zu verdanken, dass das Lagerleben von Respekt und Gedanken der Versöhnung gekennzeichnet war. De Ligny selbst war in einem Nürnberger Lager inhaftiert gewesen und dort anständig behandelt worden. Zu den Maßnahmen des Kommandanten gehörten nicht nur ein Programm zur Lebensmittelbeschaffung, sondern auch die Gründung von Sport-, Theater- und Orchestergruppen. Letztere durften in den umliegenden Orten auftreten, das eingenommene Geld kam wiederum den Insassen zugute.

Nachhaltigstes und sichtbarstes Zeichen der Versöhnung wurde die Errichtung der Kapelle. Schon die Beschaffung von Baumaterial erforderte strategisches Geschick. So bestand das Fundament aus Teilen eines Luftschutzbunkers. Auch vor größerem Aufwand, wie der Anmietung einer Schreinerei zur Anfertigung der Kirchenbänke, scheute der Kommandant nicht zurück. Für Planung und Arbeiten wurden Handwerker wie Gipser, Schlosser sowie ein Straßenbauingenieur eingesetzt. Die Ausmalung, die Tafeln des Kreuzwegs und die Gestaltung der Glasfenster über nahm der Grafiker Heinz Ort. Das Apsisbild zeigt einen auferstandenen Christus mit drei römischen Soldaten, ergänzt durch die Inschrift Gott ist Liebe auf dem Apsisbogen. Die flankierenden Bemalungen der Seitenschiffe zeigen den Evangelisten Johannes und die hl. Theresia von Lisieux als Patronin und Sinnbild der Barmherzigkeit. Die Figuren der Glasfenster, heute in rekonstruierter Form, geben Lagerinsassen wieder, de Ligny wurde als Hauptmann von Kapharnaum dargestellt. Vermutlich flossen in die Gestaltung der Kapelle, die am 9. November 1947 eingeweiht wurde, auch Ideen de Lignys ein.

Weitere Kapellen waren in den Kriegsgefangenenlagern von Tuttlingen-Mühlau oder Bad Kreuznach entstanden, doch sind diese nicht erhalten. Als das Lager im September 1948 aufgelöst wurde, drohte der Singener Kapelle ein ähnliches Schicksal. Durch den Einsatz geschichtsbewusster Bürger konnte sie gerettet und schließlich wiederinstandgesetzt werden. Seit 2015 ist die Kapelle Gedenkstätte für die Zeit des Nationalsozialismus und die in Singen eingesetzten Zwangsarbeiter, den Umgang mit Diktatur in den Nachkriegsjahren und des Gedächtnisses der Bundesrepublik Deutschland. Sie wird außerdem für Gottesdienste der italienischen Gemeinde Singen-Villingen genutzt.

Zum Weiterlesen:
Antje Rotzinger: Ein starkes Zeugnis der Versöhnung. Die Theresienkapelle in Singen. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg Band 49, Nr. 4, 2020
Zum Zwangsarbeiterlager s. Homepage des Fördervereins Theresienkapelle e.V. (mit Bildergalerie)
Wilhelm Waibel: Schatten am Hohentwiel. Konstanz 1997
sowie die Texte ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiterin Ludmilla Owdijenko: Wir sind keine Feinde mehr u.a.

Besucherinfo der Landeszentrale für politische Bildung BW für die Gedenkstätte

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