Neckartailfingen - Altgemeinde~Teilort 

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Typauswahl: Ortsteil – Historisches Ortslexikon
Typ: Teilort
Ersterwähnung: 1090 [um]

Ortslage und Siedlung
(bis 1970):
Auf rechter Neckarseite aufgefundene Tonstücke und Gerätschaften tragen Merkmale der Großgartacher Kultur (um 4500 vor Christus). In der Flur Ziegelhalde entdeckte man 1934 spätbronzezeitliche Gussformrelikte und 1942 auf dem Grundstück Hauptstraße 45 zwei Keltengräber. Im Zusammenhang mit dem archäologischen Fund (1915) eines Wochengöttersteins (um 200 nach Christus) am Neckarufer wurde der Standort eines römischen Gutshofs an jener Stelle angenommen. Kontinuierliche Besiedlung der Markung setzte wohl erst allmählich mit den Alemannen ein (5./6. Jahrhundert). Die Erstnennung des Ortes (»Tagelvingen«, vom Personennamen Dagolf, 1275 mit Lagezusatz: »Neckerthalvingen«) steht in Zusammenhang mit der im Codex Hirsaugiensis belegten Schenkung der Grafen von Achalm an das Kloster Hirsau (um 1090). Der alte Ortsteil erstreckte sich links des Neckars und den Talhang hinauf zur Kirche. Die seit dem Spätmittelalter in unmittelbare Uferlage ausgedehnte Anbaufläche erfuhr immer wieder Überschwemmungen. Der Fluss verfügte damals über mehrere wechselnde Hauptarme. Als besondere Hochwasserjahre sind 1649, 1660, 1661, 1663, 1687, 1744, 1778, 1799 und als Jahre mit Ernteausfall durch Unwetter 1680, 1681, 1689 überliefert. Um 1456 gab es einen Ortsbrand. Die folgenreichste Zäsur erfuhr die Siedlung nach der Schlacht bei Nördlingen 1634. Der Ort wurde beinahe vollständig zerstört: 260 Häuser verbrannten. 1648 bestanden neben Kirche und Kelter nur drei Wohngebäude. Die Zehntscheuer des Kirchheimer Spitals wurde bis 1657 als eines der ersten Gebäude wiederaufgebaut (Abriss 1972). Insgesamt prägten frühbarocke Giebelhäuser mit unverputztem Fachwerk das Ortsbild, wie das Rathaus (1666). Von Bedeutung war die Ortslage als Knotenpunkt des württembergischen Straßennetzes. Durch den Ort führten die Straßen von Stuttgart nach Biberach und von Plochingen nach Tübingen. Der Verkehr nutzte die 1592 aus Holz erbaute Neckarbrücke. Am linken Ufer des Neckars, den Talhang hinaufwachsend, der alte Ortsteil, neuere Wohngebiete jenseits des Neckars im Süden. Nach dem Zweiten Weltkrieg Ortserweiterungen im Westen (»Kohlplatte« 1963), Nordwesten (»Burgstallberg« 1953), Norden bzw. Nordosten (»Bergwiesen« 1958, »Langen Halde/Lichtenau« 1960/70), Süden (»Krautgärten« 1948/66) und Südosten (»Wasen« 1968) aus überwiegend Ein- und Zweifamilienhäusern. In den Bereichen »Hägeleskies« (1950/ 60) im Osten, »Wasen« (1956) im Südosten und »Grien/Gräble« (1970) im Westen Industrieniederlassungen.
Historische Namensformen:
  • Tagelvingen 1090 [um]
  • Neckerthalvingen 1275
Geschichte: Mit Einsetzen der schriftlichen Überlieferung sind die Grafen Cuno und Liutold von Achalm als Ortsherren greifbar, die um 1080 dem Kloster Hirsau den Herrenhof, zehn Bauerngüter und ihre anteiligen Rechte an der Kirche schenkten. Nach dem Aussterben der Achalmer (Ende 11. Jahrhundert) gerieten ihre Stammgüter über die mit ihnen verwandten Grafen von Urach zwischen 1254 und 1265 durch Kauf an die Grafschaft Württemberg. Zunächst Teil des Grötzinger Amts bis etwa 1484 zählte die Gemeinde danach zum Nürtinger Amt. 1526 werden an württembergischem Besitz im Ort neun Erblehenhöfe genannt. Bedeutende weltliche Grundherren waren auch die edelfreien Herren von Bernhausen (14. Jahrhundert) und die Familie Kaib aus Neckartenzlingen (frühes 15. Jahrhundert). Größter geistlicher Grundherr war das Kloster Hirsau, das eine Pflege im Ort einrichtete. Der mit der Schönbuchgerechtigkeit verbundene Berghof (seit dem 14. Jahrhundert genannt) war vermutlich die Nachfolgeanlage des Achalmschen Herrenhofs an gleicher Stelle. 1515 verkaufte Hirsau seinen örtlichen Besitz an die Gemeinde gegen jährliche Abgaben. Das Kirchheimer Spital empfing vermutlich im Zusammenhang mit dem Erwerb des Patronatsrechts in Grötzingen (Neckartailfingens Filial) von Württemberg 1445 den Widumhof im Ort. Das Spital teilte sich die Einkünfte des örtlichen Großzehnts mit der Universität Tübingen (13/24 zu 11/24), die mit Übertragung des Sindelfinger Stifts an das Tübinger Stift 1476/77 an dieses Zehntrecht gelangt war. Der kleine Zehnt ging vollständig an die Universität als Inhaberin der Pfarrpfründe. Aus der Bedeutung der Universität für den Ort erwuchs den Bewohnern der Beiname »Universitätler«. Der erste belegte Schultheiß des Orts ist ein Leibeigener namens »Rülin« (1396). Das Gericht wird 1521 erwähnt. Für 1526 ist die Gemeindeverwaltung mit einem Schultheißen, zehn Richtern und sieben Personen »von der Gemeinde« festgehalten. Neben der Burg Liebenau wird für weitere Adelssitze zum einen der Flurname Lichtenau in nordöstlicher Lage mit den Herren von Lichtenau (13. Jahrhundert) in Verbindung gebracht, zum anderen könnte es sich bei der Flur Burgstall im Westen um den Sitz der Kaib oder aber um den Achalmschen Herrenhof beziehungsweise Hirsauer Berghof gehandelt haben. Für 1565 ist belegt, dass das Anwesen abgerissen und ins Zentrum verlegt worden war.
Wirtschaft und Bevölkerung: Der Ort war bis 1634 das bevölkerungsreichste Dorf im Amt Nürtingen: Von circa 684 Einwohnern (152 Türkensteuerpflichtige) 1544 stieg die Bevölkerungszahl bis 1634 auf etwa 837 (186 Bürger). Nach der Zerstörung 1634 flohen die Bewohner nach Grötzingen, wo 1634/35 die Pest ausbrach. 1655 gab es etwa 99 Einwohner (22 Bürger). Der Vorkriegsstand war erst 1834 überstiegen (971 Einwohner). Nach der Türkensteuerliste von 1544/45 war der Ort insgesamt auch das wohlhabendste Dorf im Amt: Auf 152 Schatzungspflichtige kam ein Schatzungsvermögen von 27 000 Gulden, im Durchschnitt 178 Gulden. Erneuten relativen Wohlstand belegt die Steuerliste 1751/52, nach welcher der Ort mit 350 Gulden Steueraufkommen hinter Nürtingen (1440 Gulden), Neuffen (501 Gulden) und Neckartenzlingen (355 Gulden) an vierter Stelle lag. Erwerbsquellen der Einwohner waren vor allem Getreide- und Weinanbau, Viehzucht sowie aufgrund der Flusslage Altlachenfischerei, Kies- und Sandgrüblerei, Flößerei (Floßholzabgaben). Das Getreide musste in den beiden herrschaftlichen Grötzinger Bannmühlen gemahlen werden (Erblehenbriefe 1460 und 1476). 1492 ist eine Kelter mit zwei Kelterbäumen belegt. 1536 sind 96 Morgen der Gemarkung als Weinbauland ausgewiesen, 1758 53 Morgen, 1775 37 Morgen. Zunehmend wurde auf Obstbau (vor allem Steinobst) umgestellt. 1805 erhielt die Gemeinde das Marktrecht für einen Vieh- und Krämermarkt am Andreastag (30. November). Durch die verkehrsgünstige Lage und das Transportwesen entwickelte sich das Gastgewerbe. 1676 ist mit Hans Wendel Wintzelburger der erste Wirt (vermutlich vom Wilden Mann) im Ort namentlich belegt. 1772 gab es drei Gaststätten.

Ersterwähnung: 1090 [um]
Kirche und Schule: Um 1090 befindet sich die Kirche in anteiligem Besitz der Grafen von Achalm, der Eigentümer der anderen Hälfte ist unbekannt (vermutlich Erbteilung mit den Grafen von Urach). Der bestehende Kirchenbau wurde 1111 an der Stelle eines Vorgängerbaus nach Art der Hirsauer Bauschule in romanischem Stil errichtet. Die Innenbemalung der Kirche, deren Martinspatrozinium auf ursprünglich fränkischen Einfluss hinweist, stammt vermutlich aus der Zeit um 1300. Der spätgotische Glockenturm (1501) hat wegen instabilen Knollenmergelbodens eine Südwestneigung (1,32 Meter aus dem Lot). Die originale Dachkonstruktion des Mittelschiffs (als »ältestes Dach Süddeutschlands« geltend) wurde teilweise erneuert (1702, Anfang 19. Jahrhundert). Der Pfarrsprengel erstreckte sich über Grötzingen (1375 selbständige Pfarrkirche, 1455 wirtschaftliche Trennung), Schlaitdorf mit einem Teil Häslachs (1466 Abtrennung) und Altdorf, vermutlich auch über Aich und Neckartenzlingen samt Altenriet. Die Altäre der Martinskirche stammen wahrscheinlich bereits aus der Zeit der korrespondierenden Wandmalereien um 1300. Der Hochaltar war Sankt Martin geweiht. 1316 ist die Stiftung einer Pfründe für den Marienaltar (entsprechende Patrozinien der Filialen Altdorf und Grötzingen) durch den Pfründner des Martinsaltars, »Pfaffe Ludewig«, bezeugt. In der Nordapsis stand ein Nikolausaltar, zu dem die Gemeinde 1411 eine Frühmesspfründe stiftete. In der Südapsis stand ein Altar mit Maria Magdalena als Hauptheiliger vor Johannes dem Täufer, Johannes Evangelista, Bernhard von Clairvaux, Katharina und Barbara. 1471 stiftete Katharina Fischer dazu eine Pfründe, mit dem Besetzungsrecht beim Stift Sindelfingen und dem Vorschlagsrecht bei Familie Fischer. Mit der Reformation gingen sämtliche Pfründen an die Universität Tübingen. Als Patronatsherren erscheinen die Edelfreien von Bernhausen mit einem »dominus Diepoldus« (1275), vermutlich Diepold (I.), einem »Erlwinus de Bernhusen« als ehemaligem Patronatsherrn (1297), Diepold (II.) (1316) und dessen Sohn Eberhard (1334, 1341, 1342). 1385 bekamen das Patronat die Kaib von Hohenstein aus Neckartenzlingen auf der Burg zur Mühle. Mit einem Teil des Zehntrechts belehnten sie das Kloster Reichenau, welches diesen Zehntanteil 1428 an das Stift Sindelfingen zu Lehen abtrat, das im gleichen Jahr von Berthold Kaib vollständig Kirche, Kirchensatz und -zehnt als Schenkung erhielt, aber auch schon 1421 als Patronatsherr der Neckartailfinger Kirche genannt wird. Über das Sindelfinger Stift erlangte die Universität Tübingen das Patronatsrecht (1477, bis 1920). 1536 sind die Elendsbild-Kapelle an der Straße nach Aich und die Sankt-Bernhards-Kapelle (möglicherweise in der Flur Unterer Beutling) belegt. 1541 wurde das Pfründhaus der Marienkaplanei in ein Schulhaus umgewandelt. Das Schulhaus wurde von der Gemeinde und aus dem Heiligenkasten unterhalten. Schulmeisterstelle und Mesneramt wurden in Personalunion versehen. 1703 besuchten die Schule im Sommer 46 (mit Altdorfer Kindern) und im Winter 78 Jungen und Mädchen, 1750 lag das Verhältnis bei 84 und 87 Kindern. 1777 wurde das Schulhaus renoviert und ausgebaut. Evangelische Pfarrkirche im ummauerten Friedhof oberhalb des Dorfes dreischiffige, romanische Säulenbasilika ohne Querhaus, flach gedeckt, unter Hirsauer Einfluss entstanden. 3 tonnengewölbte Chöre, innen rund, außen flach geschlossen. Vorhalle mit 2 unvollendet gebliebenen Türmen. Bei Errichtung eines spätgotischen Turmes 1501 ein Treppenhausbau eingefügt. Im Chor Fresken 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts Christus als Weltenrichter, Schutzmantelmadonna, Szenen aus der Genesis u.a. Katholische Kirche zum Hl. Paulus (1956) zunächst zur Pfarrei Neckartenzlingen, seit 1960 Pfarrkirche.
Patrozinium: Hl. Martin
Ersterwähnung: 1316

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