Eiselen, Willy 

Geburtsdatum/-ort: 05.04.1896;  Dachtel, Kreis Calw
Sterbedatum/-ort: 22.05.1981;  Heidelberg (Medizinische Universität-Klinik)
Beruf/Funktion:
  • Chemiker und Fabrikant, Gründer des Deutschen Brotmuseums in Ulm
Kurzbiografie: 1902-1906 Schule in Dachtel
1906-1914 Gymnasium in Schwäbisch Hall, ab 1908 Stuttgart
1914-1918 Soldat im 1. Weltkrieg, Einsatz an der Westfront, zuletzt Leutnant der Reserve, Eisernes Kreuz I. und II. Klasse, Hausorden von Hohenzollern
1919-1922 Studium der Chemie und des Maschinenbaus TH Stuttgart und TH Karlsruhe
1922-1924 Angestellter in Breslau/Berlin
1925-1944 Direktor, später Teilhaber in einem Firmen-Konglomerat in Freudenstadt/Schwarzwald (Backmittel-Herstellung und -Vertrieb)
1946 Umzug nach Ulm
1946-1981 geschäftsführender Gesellschafter der von ihm gegründeten Firmen („Ulmer Spatz“)
1955 Gründung des Deutschen Brotmuseums Ulm
1960 Eröffnung der ständigen Ausstellung des Museums
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch, später konfessionslos
Auszeichnungen: Senator e. h. der Universitäten Stuttgart (1957) und Hohenheim (1966)
Dr. rer. nat. h. c. Universität Hohenheim (1976)
Medaille der Stadt Ulm (1974)
Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (1978)
Verheiratet: 1923 Heilbronn, Berta, geb. Wagner (1896-1966), Ehe geschieden 1933
Eltern: Karl Eiselen (1864-1908), Lehrer
Babette, geb. Kießecker (1866-1948)
Geschwister: keine
Kinder: Hermann (geb. 1926), Dipl.-Volkswirt, Dr. rer. pol., Unternehmer, später Vorstand der von ihm mitbegründeten Vater und Sohn Eiselen-Stiftung
GND-ID: GND/101257752X

Biografie: Irene Krauß (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 105-107

Eiselen stammte aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater starb, als er 12 Jahre alt war. Die Mutter förderte ihren Sohn nach besten Kräften. Im Ersten Weltkrieg wurde Eiselen zweimal schwer verwundet. An den Folgen litt er lebenslang. Das Studium mußte er während des Endstadiums der Inflation abbrechen, die seine Mutter der letzten Ersparnisse beraubt hatte. Seine erste Stellung fand Eiselen in Breslau. Von dort war er häufig nach Berlin abgeordnet. Die erste selbständige Position blieb eine mißlungene Episode. In Freudenstadt fand er bei einer chemischen Fabrik die Chance, seine Fähigkeiten voll zu entfalten, und zugleich das fachliche Tätigkeitsfeld, das sein weiteres Leben bestimmen sollte: die Herstellung von Malzprodukten und anderen Zutaten, die zur Herstellung von Brot und Backwaren verwendet werden. Dem Aufbau einer Unternehmensgruppe, die sich damit befaßte, widmete Eiselen rund 20 Jahre seines Lebens. Ab 1938 gehörte dazu auch eine Malzfabrik in Ulm. Dabei erwies er sich als klassischer Selfmademan, der sich Schritt für Schritt vom Angestellten zum Teilhaber und Mitunternehmer emporarbeitete, um schließlich der maßgebende Mann der Firmengruppe zu sein. Allerdings zerbrach darüber schon zu einem frühen Zeitpunkt seine Ehe. Der Sohn wurde ihm zugesprochen und blieb lebenslang in seiner Einflußsphäre.
Im Zweiten Weltkrieg brauchte Eiselen wegen seines Leidens aus dem Ersten Weltkrieg keinen Kriegsdienst mehr zu leisten und konnte daher seine berufliche Tätigkeit – wenn auch unter gewissen Erschwernissen infolge der Einführung des Bezugsschein-Systems für die Produkte, von Arbeitskräfteknappheit u. ä. – fortsetzen. Das Kriegsende, das er einschließlich des Kriegsgeschehens in und um Freudenstadt erlebte, stellte eine Zäsur in seinem Leben dar. Nachdem er samt Familie kurz nach dem Einmarsch französischer Truppen die Wohnung räumen mußte und ihm die Besatzungsbehörden keine Erlaubnis zur Wiederaufnahme des Betriebs erteilten – vermutlich weniger wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP seit etwa 1940, die im Zuge der Entnazifizierung als ‚Mitläufer‘(schaft) eingestuft wurde. Da die von seinem Betrieb erzeugten Produkte in Anbetracht der allgemeinen Nahrungsmittelknappheit als entbehrlich angesehen wurden, entschloß er sich zur Übersiedlung nach Ulm. Obwohl der dortige Betrieb am 17.12.1944 den Bomben zum Opfer gefallen war, begann er hier mit dem Neuaufbau einer eigenen Firma. 1946 gründete er die Firma Nährmittelwerk W. Eiselen, die sich günstig entwickelte. Nach Studium und Auslandsaufenthalten trat 1954 sein Sohn als Mitgeschäftsführer und Gesellschafter in das Unternehmen ein, das sich fortan „Ulmer Spatz – Vater und Sohn Eiselen“ nannte. Gegenstand waren Herstellung und Vertrieb von Backmitteln und Grundstoffen für die Feinbäckerei.
Abnehmer waren handwerkliche und industrielle Backbetriebe in der Bundesrepublik Deutschland und in mehreren anderen europäischen Ländern. Jahr für Jahr nahmen Geschäftsvolumen und Mitarbeiterzahl zu. Als Ende der siebziger Jahre feststand, daß aus der Familie kein Nachfolger zur Verfügung stehen würde, beschlossen Vater und Sohn Eiselen, das Unternehmen zu verkaufen, was per 1. Januar 1980 geschah.
Auf Grund seiner damals bereits 30 Jahre währenden Beschäftigung mit Fragen der Herstellung und Verbesserung von Brot und Backwaren begann Eiselen Anfang der fünfziger Jahre, Antiquitäten zu sammeln, die in Zusammenhang stehen mit Brot. Schon wenige Jahre später waren so viele Objekte zusammengekommen, daß der Gedanke an ein Museum entstand. Im Dezember 1955 war es dann soweit: Eiselen gründete mit sechs Freunden den Verein Deutsches Brotmuseum, das weltweit erste Museum seiner Art, das zahlreiche Nachfolgeeinrichtungen in Europa hervorrief. Die Sammeltätigkeit ging weiter. 1959 trat das Museum zum ersten Mal an die Öffentlichkeit und stellte seine Schätze im Ulmer Museum aus. Diese Veranstaltung fand ein so positives Echo, daß Eiselen beschloß, dem Museum eigene ständige Ausstellungsräume zu verschaffen. Diese wurden im Herbst 1960 in der Fürsteneckerstraße 17 in Ulm eröffnet. Die Besucherzahlen und der Bekanntheitsgrad nahmen stetig zu, und seit 1991 ist das Deutsche Brotmuseum im Ulmer Salzstadel untergebracht.
Um 1960 hatte Eiselen eine für ihn und das Museum bedeutungsvolle Begegnung, und zwar mit Professor Dr. J. G. Knoll, der gerade von seiner mehrjährigen Tätigkeit bei der Welternährungsorganisation (FAO) in Rom nach Ulm zurückkehrte. Die beiden Männer freundeten sich an, und so fand Professor Knolls Kenntnis der Welternährungslage, genauer gesagt des fast weltweit verbreiteten Hungers, Eingang in das Arbeitsprogramm des Deutschen Brotmuseums. Eiselen und sein Sohn haben damals Pionierarbeit geleistet, um mit Hilfe von Sonderausstellungen des Museums einschließlich Begleitprogramm, Vorträgen, Publikationen u. ä., der deutschen Öffentlichkeit das Problem des Hungers in der Welt zum Bewußtsein zu bringen. Im Jahre 1971 berief Eiselen einen wissenschaftlichen Beirat, der ihn bei der Weiterentwicklung und Ausgestaltung des Museums sowie bei der Schaffung weiterer Publikationen unterstützte.
Es war Eiselens Anliegen, den Menschen in unserem Land die Bedeutung des Brotes (im Sinne von Nahrung) vor Augen zu führen. Damit wollte er der in den fünfziger und sechziger Jahren weitverbreiteten Mißachtung des Brotes entgegenwirken und gleichzeitig darauf aufmerksam machen, daß es nicht selbstverständlich ist, jeden Tag genug zu essen zu haben, wie ein Blick auf die hunderte von Millionen Hungernden in der Welt zeigt.
So wandelte sich auch der Inhalt des Museums: aus einem technik- und handwerksgeschichtlichen wurde ein anthropologisches Museum, dessen Botschaft auch heute noch hochaktuell ist.
Bemerkenswert ist, daß das Deutsche Brotmuseum seit seiner Gründung bis heute eine rein private Institution ist, die keine laufenden öffentlichen Zuschüsse erhält. Die Bewahrung der Unabhängigkeit des Museums lag Eiselen stets sehr am Herzen. Daher gründete er zusammen mit seinem Sohn im Jahre 1978 die Vater und Sohn Eiselen-Stiftung, die nach seinem Tod durch Erbverzicht des Sohnes den Nachlaß erhielt.
Eiselen war ein überaus dynamischer Unternehmer, dessen Erfolg zu einem wesentlichen Teil auf Fleiß und vielen guten Ideen sowie großer Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Gedanken beruhte. Er war weitblickend, kulturell engagiert und in sozialer Hinsicht verantwortungsbewußt.
Quellen: zahlreiche Archivalien im Besitz der Vater und Sohn Eiselen-Stiftung Ulm
Werke: Das Brot im Wandel der Zeiten, in Deutsche Lebensmittel-Rundschau Heft 3/62, 61-64
Nachweis: Bildnachweise: zahlreiche Fotos wie unter Quellen, Büste von David Fahrner, Freudenstadt, ca. 1970, Standort wie unter Quellen

Literatur: Irene Konrad, „denn die Geschichte des Brotes ist ein Stück Menschheitsgeschichte“, in: Weltkunst, München, Mai 1987, 1399-1401; dies., Das Deutsche Brotmuseum Ulm, in: Schwäbischer Heimatkalender 1993, 1993, 77-81; Amina Özelsel, Botschaften über Brotschaften ... Das Deutsche Brotmuseum präsentiert 8000 Jahre Kulturgeschichte, in: FAZ 01.11.1994 Nr. 254; Hermann Eiselen (Hg.), Brotkultur 1995
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