Zeit der Abrechnung. Badens NS-Innenminister Karl Pflaumer und die Gerechtigkeit

Foto Karl Pflaumers in Uniform, aus der Spruchkammerakte. Vorlage: Landesarchiv GLAK 465 a/51 Nr. 68/1032
Foto Karl Pflaumers in Uniform, aus der Spruchkammerakte. Vorlage: Landesarchiv GLAK 465 a/51 Nr. 68/1032.

Am 10. März 1933 wurde der badische Polizeibeamte Gustav Walther zu Innenminister Karl Pflaumer vorgeladen. Was ihm dort geschah, erscheint aus heutiger Sicht unglaublich: Ich wurde geschlagen und getreten. Vor einer Zimmertür bekam ich einen Faustschlag und flog in das Zimmer, in dem sich Pflaumer und einige SS- und SA-Leute befanden. Pflaumer gab ein Zeichen und es fassten mich 5 Uniformierte und warfen mich hinaus. Ausserhalb des Zimmers wartete eine Meute in Uniform. Ich wurde nach der Treppe geschleppt und hinuntergeworfen. Ich blutete aus fast allen Löchern, die ein menschlicher Körper aufweist. Da ich zusammenbrach, zog man mich empor und schlug weiter auf mich ein. Hierbei bemerkte ich, dass mir einige Zähne ausgeschlagen waren. Walther kam in Haft und wurde aus dem Staatsdienst entlassen. Was war die Ursache des brutalen Vorgehens?

Während der Weimarer Republik war auch Pflaumer Polizist gewesen. Er war jedoch entlassen worden, nachdem er an einer geschlossenen Veranstaltung der NSDAP mit Hitler teilgenommen hatte. Walther hingegen hatte zu den verfassungstreuen Polizeibeamten gehört, die die Aktivitäten der NSDAP in der von ihr so genannten Kampfzeit zu beobachten hatten. Er war es auch, der die Untersuchungen leitete, die Karl Pflaumer schließlich den Arbeitsplatz kosteten. Im Frühjahr 1933 begegneten sie sich wieder. Die Zeit der Abrechnung war gekommen: Gerechtigkeit, wie die Nationalsozialisten sie definierten.

Zwölf Jahre später endete die NS-Herrschaft und das Blatt wendete sich erneut. Man ging nun gegen den ehemaligen Innenminister vor – rechtsstaatlich und mit einem geregelten Verfahren. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Misshandlung Walthers war dabei nur eines von vielen Vergehen, die Pflaumer vorgeworfen wurden. Außerdem wurde Anklage vor der Spruchkammer erhoben. Doch die Justiz tat sich schwer. Eine Verurteilung durch ein Gericht ist nie erfolgt. Im Spruchkammerverfahren kam Pflaumer mit finanziellen Einbußen davon – obwohl er bekannte: Ich habe nie bestritten, dass ich Nationalsozialist gewesen bin. Ich war mein Leben lang ein guter Patriot, und das werde ich auch bleiben. 1971 starb er in Rastatt.

Pflaumer war persönliche Schuld nicht nachzuweisen. Diesem Umstand maßen die Justizbehörden höheres Gewicht bei als seiner politischen Verantwortung: Das von Pflaumer geleitete Innenressort hatte die Judendeportation nach Gurs organisiert; die Polizei und die Organisation der Erbgesundheitspflege in Baden hatten Pflaumer unterstanden. Sein Fall wirft bis heute Fragen auf: Wie kann man die Verstrickung eines Menschen in ein verbrecherisches System ahnden? Was ist Verantwortung? Wie misst man ihre Schwere? Der Rechtsstaat darf nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, sonst stiftet er keinen Rechtsfrieden. Darin liegt seine Stärke. Andererseits tut er sich schwer mit Menschen, die seine Regeln missbrauchen. 

Martin Stingl

Quelle: Archivnachrichten 49 (2014), S. 25.

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