Von US-Soldaten entwendet. Kostbares Zeugnis lutherisher Rechtgläubigkeit in Württemberg

Titelblatt des 1681 in Stuttgart nachgedruckten Konkordienbuches. Vorlage: Landesarchiv BW HStAS A 202 Bü 513
Titelblatt des 1681 in Stuttgart nachgedruckten Konkordienbuches. Vorlage: Landesarchiv BW HStAS A 202 Bü 513

Am 12. Februar 1952 beschlagnahmte die Stuttgarter Kriminalpolizei ein wertvolles, in dunkles Leder gebundenes und mit dreiseitigem Goldschnitt verziertes Buch. Der Verdacht lag nahe, dass es sich bei dem mehr als 1.000 Seiten zählenden Quartband, den ein Mittelsmann dem Hauptstaatsarchiv zum Kauf angeboten hatte, um Hehlerware handelte. Auf dem Rücken des voluminösen Werkes war der in Gold geprägte Buchtitel Die symbolischen Bücher  zu lesen.

In der Tat enthielt der Band ein 1681 bei Johann Weyrich Rößlin in Stuttgart gedrucktes Exemplar des Konkordienbuches. Diese vollständige Sammlung der lutherischen Bekenntnisschriften hatte man einst als symbolische Bücher  bezeichnet. Den theologischen Texten war ein von Herzog-Administrator Karl Friedrich von Württemberg-Oels am 28. Dezember 1743 unterzeichnetes und gesiegeltes Dekret vorangestellt, das alle Beamten im Lande auf die lutherische Lehre verpflichtete. Mit dieser Anordnung wollte Karl Friedrich – dem Drängen der Landstände folgend – die Phase der vormundschaftlichen Regierung nach dem Tod des katholischen Herzogs Karl Alexander (1733–1737) dazu nutzen, die Stellung der evangelischen Kirche im Land zu stärken. Nachdrücklich pochte er darauf, die aus der Übung geratene Unterzeichnung der Formula Concordiae  durch alle fürstlichen Räte und nachgeordneten Beamten wieder einzuführen. Bei jeder Neueinstellung und Vereidigung sollten die Staatsdiener angehalten werden, ihres Glaubens Confession [...] zu bezeugen. Auch die schon im Amt befindlichen Personen mussten, sofern noch nicht geschehen, ihre Zustimmung zum lutherischen Bekenntnis mit der eigenhändigen Unterschrift nachholen.

Hunderte Beamte der herzoglichen Zentralbehörden, aber auch der lokalen Verwaltungen trugen sich in der Zeit von 1744 bis 1805 auf den zahllosen leeren Blättern im hinteren Teil des Buches ein und legten damit ein öffentliches Zeugnis ihrer Rechtgläubigkeit ab. Unter ihnen begegnen viele klangvolle Namen der württembergischen Geschichte, so etwa der Kabinettsminister Friedrich Samuel Graf von Montmartin, der Geheimrat und herzogliche Freund Karl von Zeppelin oder der Rentkammersekretär Georg Ludwig Hegel, der Vater des großen Philosophen.

Während des 19. Jahrhunderts verblieb der Band, für den man eigens ein Schutzbehältnis hatte anfertigen lassen, in der Obhut des Geheimen Rates. Später gelangte er in die Bibliothek des Württembergischen Staatsministeriums in der Villa Reitzenstein. Dort erregte er 1945 die Aufmerksamkeit amerikanischer Offiziere, die sich als Vertreter der Militärregierung in das historische Verzeichnis, das sie womöglich für ein Gästebuch hielten, einschrieben.

Doch dann, im Herbst 1947, tauchten Die symbolischen Bücher  aus Stuttgart ganz unvermutet in Frankfurt am Main auf. Gemeinsam mit seiner deutschen Freundin erschien ein junger US-Leutnant in der Praxis des Arztes Dr. Gustav Adolf Gratz, um sich von einer Geschlechtskrankheit kurieren zu lassen. Als Gegenleistung für die Behandlungskosten offerierte er dem Mediziner das besagte Buch, das er als sein rechtmäßig erworbenes Eigentum ausgab. Überdies ließ er sich als Mehrwert 10.000 Reichsmark in bar auszahlen.

Als der Frankfurter Arzt das kostbare Stück nach der Währungsreform zu Geld machen wollte, hatte er das Nachsehen. Nach mehr als einjährigem Rechtsstreit unterlag er vor dem Landgericht Stuttgart, das dem Staatsministerium Baden-Württemberg die ausschließlichen Eigentumsrechte zuerkannte. Im Oktober 1953 wurde das Buch schließlich dem Hauptstaatsarchiv übergeben und in die archivalische Überlieferung des Geheimen Rates (Landesarchiv HStAS A 202 Bü 513) eingereiht.

 Albrecht Ernst

Quelle: Archivnachrichten 54 (2017), S.32-33.

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