Umweltprobleme im Stuttgarter Schlossgarten

Lageplan zweier Feuerlöschteiche im Stuttgarter Schlossgarten, 1942. Quelle LABW (StAL FL 405/5 Bü. 968 Qu. 38 a)
Lageplan zweier Feuerlöschteiche im Stuttgarter Schlossgarten, 1942. Quelle LABW (StAL FL 405/5 Bü. 968 Qu. 38 a)

Kein Bauprojekt hat in den letzten Jahren für so viel Aufregung in der badenwürttembergischen Landeshauptstadt gesorgt wie der Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof. Die Bevölkerung, die zu Zehntausenden gegen das Projekt auf die Straße geht, nimmt nicht nur an den hohen Baukosten, den Risiken der Tunnelbauarbeiten in der Innenstadt und den unzureichenden Kapazitätsberechnungen für den neuen Bahnhof Anstoß. Für Streit sorgen auch die Gestaltung des neuen Stadtviertels, das auf dem ehemaligen Gleisgelände entstehen soll, der Abriss von Teilen des alten denkmalgeschützten Hauptbahnhofs und nicht zuletzt die Eingriffe in Teile des Stuttgarter Schlossgartens. Kritisiert wird vor allem, dass für den Bahnhofsumbau zahlreiche Bäume gefällt werden müssen und in diesem Zusammenhang Bestände des seltenen Juchtenkäfers gefährdet werden.

Es ist freilich nicht das erste Mal, dass das Gelände des Stuttgarter Schlossgartens umgestaltet wird, und es ist ebenfalls kein Novum, dass in diesem Zusammenhang ökologische Fragen diskutiert werden. Wer sich für solche Konflikte interessiert, kann in den Akten des Landesarchivs, etwa im Schriftgut der Bahndirektion oder ehemaliger Hofbehörden wie der Bau- und Gartendirektion Stuttgart oder dem Obersthofmeisteramt, reichhaltiges Anschauungsmaterial finden.

Tatsächlich war man sich schon vor dem Bau des heutigen Bahnhofs bewusst, dass der Baumbestand im Schlossgarten eines besonderen Schutzes bedarf. Als man Anfang des 20. Jahrhunderts plante, im Unteren Schlossgarten einen städtischen Tierpark einzurichten, sprach sich die Königliche Krongutsverwaltung, die bereits Teile des Rosensteinparks und des Unteren Schlossgartens an die Eisenbahnverwaltung für den Bahnhofsneubau abgetreten hatte, mit Rücksicht auf den Baumbestand vehement dagegen aus, weiteres Gelände für einen solchen Zweck zur Verfügung zu stellen. Im Zusammenhang mit dem Neubau des heutigen Bahnhofs und der zugehörigen Gleisanlagen hatte man überdies Maßnahmen zum Schutz des Parkgeländes und seiner Vegetation vor der zu erwartenden Rauchentwicklung verlangt. Welcher Stellenwert auch in der Folgezeit dem Schutz der Bäume im Umfeld des Bahnhofs beigemessen wurde, zeigte sich während des Zweiten Weltkriegs, als im Parkgelände vor dem Südeingang Löschteiche und Splittergräben angelegt wurden. Selbst unter Kriegsbedingungen und angesichts drohender Luftangriffe musste sich die Reichsbahndirektion im Pachtvertrag verpflichten, in diesem Zusammenhang keine Baumfällungen vorzunehmen und etwaige durch die Baumaßnahmen verursachten Schäden am Baumbestand zu ersetzen.

Aber nicht nur um die Flora, sondern auch um die Fauna im Unteren Schlossgarten machte man sich schon vor 100 Jahren Sorgen. Ist es heute vor allem der seltene Juchtenkäfer, der die Naturschützer auf den Plan ruft, so waren es damals die Singvögel, für deren Bestand sich insbesondere der Verein der Vogelfreunde in Stuttgart einsetzte. Um die Singvögelbrut zu schützen, wurden Bedienstete der Bau- und Gartendirektion beauftragt, Tiere abzuschießen, die dem Singvogelbestand gefährlich werden konnten. Den halbjährlichen Abschussberichten ist zu entnehmen, dass damals nicht nur Ratten, Katzen und Raben im Schlossgarten gejagt wurden, sondern auch Eichhörnchen und Wiesel sowie Sperber und sogar Eulen. Anders als heute war der Schlossgarten zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch keine rein innerstädtische Grünfläche, sondern markierte die Grenze zur offenen Landschaft. Die damals ergriffenen Maßnahmen zum Schutz bestimmter Vogelarten zeigen sehr anschaulich, wie sich im Bereich des Tierschutzes die Kriterien über die Schutzwürdigkeit einzelner Tierarten verändert haben. Am Umgang mit Flora und Fauna in innerstädtischen Grünflächen lässt sich so sehr gut nachvollziehen, welchen Wandlungen das Verhältnis von Mensch und Umwelt im Lauf der Jahrhunderte unterworfen war. Die Akten über den Stuttgarter Schlossgarten haben es auch deshalb verdient, für die Nachwelt erhalten zu werden.

 Peter Müller

Quelle: Archivnachrichten 42 (2011), S. 26-27.
 

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