Verbindungsstrecke für Soldaten und Kanonen

Die Wutachtalbahn als strategische Bahn

Talübergang bei Fützen. Vorlage: Landesarchiv BW; StAF W 134 105300d. Aufnahme: Willy Pragher.
Talübergang bei Fützen. Vorlage: Landesarchiv BW; StAF W 134 105300d. Aufnahme: Willy Pragher. Zum Vergrößern bitte klicken.

Im Deutsch-Französischen Krieg 1870 / 71 hatte die Eisenbahn eine bedeutende Rolle für den Transport von Truppen und militärischem Gerät gespielt und zum Sieg der deutschen Armeen unter preußischer Führung beigetragen. Nach Kriegsende wurden daher zahlreiche strategische Bahnen im Deutschen Kaiserreich geplant und verwirklicht, auch in Annahme zukünftiger Auseinandersetzungen mit Frankreich. Diese Bahnlinien wurden nicht nach wirtschaftlichen, sondern nach militärischen Erfordernissen gebaut. Ihr Zweck war, Truppen und Gerät zügig in Richtung Front zu verbringen, sowie Verwundete von der Front abtransportieren zu können. Die im Kriegsfall langen und schwer beladenen Züge machten große Kurvenradien, bis zu einem Kilometer lange Bahnsteige sowie geringe Streckensteigungen möglichst unter 10 Promille erforderlich.

Im Südwesten fehlte eine durchgehende Eisenbahnstrecke von der Bundesfestung Ulm ins Elsass. Zwar gab es die Hochrheinbahn, diese führte jedoch auch über Schweizer Gebiet. In einem Staatsvertrag mit der Schweiz wurde eine militärische Nutzung der Strecke explizit ausgeschlossen. Also musste eine alternative Streckenführung gefunden werden, die den Schweizer Kanton Schaffhausen umging.

Bereits vor dem Krieg mit Frankreich plante man in Baden den Bau einer eingleisigen Eisenbahnverbindung von Oberlauchringen nach Donaueschingen durch das Wutachtal, um einen Anschluss an die Zubringerstrecken zur Gotthardbahn herzustellen. Am 16. April 1875 wurde die Teilstrecke von Oberlauchringen nach Stühlingen eröffnet, die Verlängerung der Strecke bis Weizen knapp anderthalb Jahre später am 15. Oktober 1876. Danach stellte man die Arbeiten jedoch ein. Das Projekt galt als gescheitert, was sowohl an den geologischen Besonderheiten der Wutachschlucht als auch an der zu erwartenden geringen Rentabilität der Strecke lag.

Mitte der 1880er Jahre nahm das Projekt Wutachtalbahn wieder Fahrt auf. Eine Bahnstrecke von Ulm bis Hintschingen war bereits vorhanden; nun sollte eine Verbindung der Schwarzwaldbahn mit der Hochrheinbahn hergestellt werden. Die Kaiserliche General-Direktion der Eisenbahnen in Elsass-Lothringen wurde mit der Projektierung einer strategischen Bahn von Weizen bis Hintschingen betraut und eine Expropriationskommission für den Eisenbahnbau, der unter anderem auch die Bezirksämter entlang der Strecke angehörten, wurde ins Leben gerufen. Gemeinden und Grundstückseigentümer entlang der Strecke wandten sich immer wieder mit Änderungswünschen an die Verantwortlichen. Baubeginn für das baulich anspruchsvolle Stück zwischen Weizen und Blumberg-Zollhaus war dann 1888. Auf diesem Streckenabschnitt musste ein Anstieg von 230 Höhenmetern überwunden werden, insgesamt wurden auf den 9,6 km Luftlinie zwischen den zwei Bahnhöfen 25,4 km Gleise verlegt, um zumindest den Anforderungen an eine möglichst geringe Streckensteigung gerecht zu werden – große Kurvenradien waren in der engen Wutachschlucht nicht umzusetzen. Nur dank des Baues von sechs Tunneln (darunter der einzige Kreiskehrtunnel Deutschlands), fünf Viadukten und Brücken, zwei Seitentalkehren und einer Doppelschleife konnte der Höhenunterschied überwunden werden.

In den Jahren 1889 und 1890 waren bis zu 3.700 Arbeiter beim Bau der Gleise und Anlagen beschäftigt, viele davon aus Italien angeworben. Am 20. Mai 1890 wurde die Wutachtalbahn endgültig eröffnet, die wegen ihres kurvenreichen Verlaufs auch als Sauschwänzlebahn bezeichnet wird. Nach einer Überholung für NATO-Zwecke in den 1960ern, Bedeutungsverlust und Stilllegung ist die Strecke heute als Museumsbahn ein Touristenmagnet.

Annika Ludwig

Quelle: Archivnachrichten 61 (2020), S. 31.

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