Gnadenerweise gegen Gewissensnot

Päpstliche Dispense aus dem Fürstlich Hohenzollernschen Haus-und Domänenarchiv

 

Kardinallegat Ludovico Madruzzo gestattet dem Grafen Karl II. von Hohenzollern-Sigmaringen und seiner Familie Fleisch, Butter, Käse und andere Milchspeisen konsumieren zu dürfen. Regensburg, 1. Juli 1594. Vorlage: LABW, StAS FAS HS 1-80 T 1-6 U 192. Zum Vergrößern bitte klicken.
Kardinallegat Ludovico Madruzzo gestattet dem Grafen Karl II. von Hohenzollern-Sigmaringen und seiner Familie Fleisch, Butter, Käse und andere Milchspeisen konsumieren zu dürfen. Regensburg, 1. Juli 1594. Vorlage: LABW, StAS FAS HS 1-80 T 1-6 U 192. Zum Vergrößern bitte klicken.

Unter einer Dispens ist die im konkreten Einzelfall gegebene Erlaubnis der römischen Kirche zur Abweichung von kanonischen Vorschriften zu verstehen. Vergeben zumeist von der Pönitentiarie, dem päpstlichen Buß- und Gnadengerichtshof in Gewissenssachen, wird sie als Gnadenerweis erachtet. Prominent sind besonders päpstliche Heiratsdispense. Wer sich in Anbetracht eines Ehehindernisses, etwa zu naher Verwandtschaft, verheiratete, riskierte bei Bekanntwerden die Ungültigkeit seiner Ehe. So lag es nahe vorzusorgen oder – wie häufig geschehen – mindestens nachträglich um den Segen der Kurie zu bitten.

In einem Teilbestand des Fürstlich Hohenzollernschen Haus- und Domänenarchivs finden sich mehrere päpstliche Dispense aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, darunter fünf Heiratsdispense. Während sich Graf Christoph von Werdenberg und Johanna von Beersel 1526 angesichts des Unwissens über ihren Verwandtschaftsgrad vorbeugend nach Rom wandten, frappiert, dass von 1591 bis 1749 nicht weniger als vier Hohenzollerngrafen die Erlaubnis erlangten, ihre Partnerinnen trotz des zweiten Verwandtschaftsgrades zu ehelichen. Zugleich spiegelt sich hierin auch die Angst der Kirche vor den Häretikern wider: Die Ehe zwischen Graf Johann von Hohenzollern-Sigmaringen und seiner Cousine Gräfin Johanna von Hohenzollern- Hechingen beispielsweise wurde 1602 gestattet, weil es – sinngemäß – die verwirrten religiösen Verhältnisse in Deutschland schwierig machten, einen katholischen Ehepartner zu finden.

Doch nicht nur Heiraten konnten Gegen stand von Dispensen sein. Auch die Fastengebote mit ihren strengen Essensvorschriften bereiteten den Menschen mitunter Kopfzerbrechen, wie sie diese im Einklang mit der Kirche abschwächen konnten. Die Bittsteller suchten dabei in erster Linie um eine Befreiung vom Verbot, Butter und andere Milchspeisen zu verspeisen nach, so etwa Graf Georg von Werdenberg, der 1472 bei Sixtus IV. um eine Ausnahmegenehmigung für seine Familie und seine Untertanen bat. Die erlangte Erlaubnis wurde damit begründet, dass in kühlen Regionen ein Mangel an dem zur Fastenzeit genehmen Olivenöl herrsche und sich dessen Beschaffung als sehr aufwendig erweise. Derartige Butterbriefe sind gerade für die Diözese Konstanz, ein Gebiet mit mehreren (Mittel-)Gebirgen und ausgeprägter Milchviehwirtschaft, für das 15. Jahrhundert zahlreich überliefert. Anders gelagert war über 100 Jahre später offenbar die Situation am Hof in Sigmaringen: Graf Karl II. von Hohenzollern und der gräflichen Familie wurde 1594 nämlich vom Kardinallegaten Clemens’ VIII., Ludovico Madruzzo, Dispens erteilt, in der Fastenzeit anstelle der vorgeschriebenen Fisch- und anderen Speisen Fleisch, Butter und Käse zu konsumieren – wie es heißt wegen körperlicher Krankheiten und seelischer Indispositionen.

Clemens Regenbogen

Quelle: Archivnachrichten 63 (2021), Seite 16.

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