Demobilmachung - Befürchtung eines bewaffneten Umsturzes in Baden

Florian Brückner, Universität Stuttgart

Anfrage des Abgeordneten Fritz Maier, SPD, zu Waffenfunden der Organisation Escherich, (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 231 Nr. 7476, Bild 2)
Anfrage des Abgeordneten Fritz Maier, SPD, zu Waffenfunden der Organisation Escherich, (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 231 Nr. 7476, Bild 2)

Kontext

Das Kriegsende führte in Deutschland und zahlreichen anderen Krieg führenden europäischen Ländern keineswegs zwangsläufig zur Heimführung und Demobilisierung der jeweiligen Armeen. Außenpolitisch drohten polnische Verbände dem besiegten Reich an der Ostgrenze mit der Annexion von Gebieten. Innenpolitisch herrschten auch nach Niederschlagung des Spartakus-Aufstands 1919 weiterhin bürgerkriegsähnliche Zustände im Reich. Das politische Krisenjahr 1920, das in Berlin den rechtsgerichteten Kapp-Putsch und im Ruhrgebiet den kommunistisch gesinnten März-Aufstand an sich vorbeiziehen sah, stellte einen schwierigen Start für die neuen Regierungen auf Reichs- und Landesebene dar.

Mit solch immensen Herausforderungen der Demobilmachung hatte auch Baden zu kämpfen. Diese Herausforderungen stellten sich der jungen Republik insbesondere im Bereich der Verpflegung, in dem es große Missstände gab. Zudem waren die Schienennetze im Winter 1918/19 und im Frühjahr 1919 durch die Rückführung der Soldaten völlig überlastet. Erst 1920 konnten diese Probleme gelöst werden. Günstig erwies sich, dass die Soldaten schnell in das Arbeitsleben reintegriert werden konnten. Dies ging jedoch auf Kosten der Frauen, die die in der Kriegszeit besetzten Arbeitsplätze zu räumen hatten.

Eines der größten Probleme der Demobilmachung bildete die Abgabe der Waffenbestände. Karlsruhe wurde im Juli 1920 von kommunistischen Protesten und Aufständen erfasst. Preissteigerungen und Lohnsenkungen sorgten für soziales Konfliktpotenzial. Auf rechtskonservativer Seite, die stets zur Niederschlagung kommunistischer Aufstände bereitstand, wurden im Februar, im Mai und im Juni 1921 Waffendepots gefunden, die von konspirativen Zirkeln aus Württemberg angelegt worden waren. Zentraler Initiator solcher paramilitärischen und rechtsgerichteten Strukturen war die sogenannte Organisation Orgesch. General Franz von Epp (1868-1947), Hauptmann Ernst Röhm (1887-1934) und der Förster Georg Escherich (1870-1941, BVP) hatten in Bayern die nach Letzterem benannte Organisation Escherich ins Leben gerufen, um die dort von Kurt Eisner (1867-1919) ausgerufene Räterepublik zu beseitigen. Sie organisierte und verwaltete Waffen und zeichnete sich nach der erfolgreichen Niederschlagung der bayerischen Räterepublik in Berlin für die Reorganisation Einwohnerwehren sowie die norddeutschen Zweigstellen des sich formierenden konservativen Stahlhelmbundes verantwortlich. Auf Weisung der Reichsregierung wurde die Organisation am 24. Juni 1921 verboten. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, weiterhin im Untergrund zu agieren.

Quelle

Am 28. Juni 1921 stellte der Abgeordnete Fritz Maier (1894-1960, SPD) die parlamentarische Anfrage, ob Innen- und Justizministerium Auskunft über die Waffenfunde in Baden sowie über die Personen und Organisationen – hier insbesondere die hinter diesen Aktionen vermutete Orgesch – geben könnten und ob strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet worden seien.

Die Besprechung der Anfrage erfolgte rund einen Monat später auf der 58. Sitzung des Badischen Landtages am 29. Juli 1921. Zentrale Protagonisten der Diskussion waren der sozialdemokratische Abgeordnete Hans Strobel (SPD), der Maiers Anfrage ebenfalls unterschrieben hatte, sowie Innenminister Adam Remmele (1877-1951, SPD) und Justizminister Gustav Trunk (1871-1936, Z) andererseits. Die sich entfaltende Debatte zeigte symptomatisch verschiedene Schieflagen, auf denen die neue Republik gegründet worden war: Einmal die in der deutschen Gesellschaft weit verbreitete Angst vor dem Kommunismus, die der Rechten beständig Möglichkeiten schuf, die politische Krise des Systems zu beschwören und den politischen Ausnahmezustand mit Waffengewalt durchzusetzen. Ferner zeigte sich in der Diskussion, wie voreingenommen und in der Bestrafung unverhältnismäßig das alte, dem Wilhelminismus nachtrauernde Rechtssystem politisch rechts und links stehenden Straftätern gegenüberstand. Kapitalverbrechen rechtsgerichteter Akteure wurden meist milde oder gar nicht bestraft. Linksgerichtete Akteure erhielten für vergleichsweise geringe Straftaten oft unverhältnismäßig hohe Freiheitsstrafen.

Der Abgeordnete Strobel führte aus, dass vor allem die Sozialdemokraten in den letzten vier Jahren erfolgreich für die Wiederaufrichtung des Staates und den Aufbau der Demokratie gekämpft hätten. Dabei hätten sie sich nach 1918 vehement gegen eine Bewaffnung des Proletariats gewandt. Doch nun seien rechtsgerichtete Kreise entstanden, die in ganz Deutschland die alten monarchischen Strukturen wiederherstellen wollten und darüber hinaus die Gefahr erhöhten, dass der Ruf nach Bewaffnung des Proletariats erneut ertöne. Das sei nicht nur eine innenpolitische, sondern auch im Hinblick auf Frankreich eine außenpolitische Gefahr. Besagte rechtsgerichtete Kreise legitimierten ihre Politik der Selbstbewaffnung und Militarisierung mit der Behauptung, kommunistische Putsche müssten verhindert werden, obgleich die Wiederherstellung der Monarchie ihr primäres Ziel war. Diese Auseinandersetzung werde nicht nur geistig, sondern auch mit Waffengewalt geführt, wobei die Orgesch das Zentrum dieser Bestrebungen sei. Trotz Bekundungen der badischen Regierung, Sicherheit und Ruhe aufrecht erhalten zu können, habe es Waffenfunde am Bodensee und in zahlreichen anderen Gebieten Badens gegeben.

Die Öffentlichkeit, so Strobel, vermute, dass die Waffen von Württemberg und Bayern aus nach Baden gebracht worden seien. Die national gesinnte Presse versuche jedoch, diese Vorgänge zu verharmlosen. Ausführlich ging Strobel auf die aus seiner Sicht verlogene Legitimation rechtsgerichteter Kreise ein, die Angst vor kommunistischen Putschversuchen schürten, obgleich Strobel diese Gefahr für Baden längst gebannt sah.

Strobel zeigte anhand weiterer Fälle auf, wie an Waffenlieferungen oder -lagerungen Beteiligte straffrei ausgegangen und umgekehrt gesetzestreue Bürger, die dagegen aufträten, schikaniert worden seien. Strobel stellte fest, dass es sich bei den Aktivitäten der Orgesch um justiziablen Hochverrat handele. Den zuständigen Staatsanwaltschaften machte er den Vorwurf, diese würden die Prozesse verzögern und damit behindern. Handele es sich jedoch um Verstöße von Arbeitern, so der Vorwurf Strobels, liefen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hingegen auf Hochtouren.

Justizminister Trunk hielt dagegen, alle Untersuchungen verliefen zügig und würden politisch in keiner Weise beeinflusst. Ferner bezweifele er eine Verflechtung der Nachbarländer in diese Aushebung von Waffendepots. Innenminister Remmele pflichtete entsprechend seiner Parteizugehörigkeit Strobel bei, die Waffenfunde hätten das Vorhandensein der Orgesch und damit die Gefahr eines möglichen Waffeneinsatzes offengelegt. Die von den Deutschnationalen in der Sitzung vorgetragene Behauptung, die Waffen seien notwendig, um sich gegen Kommunisten zu wehren, empfand er als haltlos und vorgeschoben. So nannte er Beispiele, wie rechte Kreise kommunistische Aktionen fingierten, um Vorbereitungen für Gegenmaßnahmen begründen zu können. Remmele schloss mit der Feststellung, dass die Orgesch durch die Reichsregierung verboten worden sei und das Gewaltmonopol beim Staat läge.

Zusammenfassend ist bezüglich der Diskussion festzustellen, dass sich Trunks Auskunftsbereitschaft in engen Grenzen hielt, da er sich nicht zu laufenden Ermittlungen äußern durfte. Die Sitzung verlief insgesamt diffus. Insbesondere die Antragsteller vermochten durch ihre Standpunkte kaum zu überzeugen, da sie oft mit bloßen Vermutungen argumentieren konnten. Die – vor allem deutschnationale – Gegenseite warf den Antragstellern vor allem mangelnde Glaubwürdigkeit bzw. die kaum mögliche Überprüfbarkeit der Aussagen vor. In grundsätzlichen Fragen bzgl. des Charakters der Orgesch als möglicherweise illegalem Geheimbund oder in der Einschätzung ihrer Gefährlichkeit, kam die Sitzung zu keinem Ergebnis. Beide Seiten stützten sich im Wesentlichen auf sich widersprechende Urteile und Auslegungen. Auf diese Weise blieben die langen Ausläufer der Demobilmachung auch in einem demokratisch gefestigten Land wie Baden in reichsweit von Putsch- und Umsturzversuchen gekennzeichneten Jahren bis 1923 stets virulent.

GND-Verknüpfung: Demobilmachung [4324477-4]

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