Wahlen

Florian Brückner, Universität Stuttgart

Wahl zur verfassunggebenden Landesversammlung: Wahlurkunde für Lorenz Bock, Abgeordneter der Zentrumspartei, 17. Januar 1919, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS E 130 a Bü 197, Bild 59)
Wahl zur verfassunggebenden Landesversammlung: Wahlurkunde für Lorenz Bock, Abgeordneter der Zentrumspartei, 17. Januar 1919, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS E 130 a Bü 197, Bild 59)

Landtagswahlen

Im Anschluss an die Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung am 12. Januar 1919 fanden 1920, 1924, 1928 und 1932 Landtagswahlen in Württemberg statt. Wahlberechtigt waren rund 1,5 Millionen Württemberger. Dabei stellten die Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung bis 1924 die Weichen für eine Weimarer Koalition aus MSPD (52 Mandate), DDP (38 Mandate) und Zentrum (51 Mandate). Der Bauern- und Weingärtnerbund erhielt als agrarische Interessenvertretung 14 Mandate, die konservative DNVP, die sich in Württemberg Bürgerpartei nannte, elf Mandate und die USPD lediglich vier Mandate.

Unter den insgesamt 150 Mandatsträgern befanden sich 13 weibliche Abgeordnete, denn durch die Einführung des allgemeinen, geheimen und direkten Verhältniswahlrechts war Frauen das aktive und passive Wahlrecht zugestanden worden. 13 Mandate für weibliche Abgeordnete bedeuteten einen im Vergleich zu den anderen Ländern überdurchschnittlichen Erfolg für die Frauenbewegung in Württemberg. Wichtige Mandatsträgerinnen waren hier beispielsweise Mathilde Planck (1861-1955, DDP) sowie Clara Zetkin (1857-1933, USPD, dann KPD).

Die im September 1919 verabschiedete Verfassung führte in Abschnitt II, Paragraf 4 zu einer detaillierten Regelung des Wahlrechts: Stimm- und wahlberechtigt waren, „ohne Unterschied des Geschlechts alle deutschen Staatsbürger, die am Tage der Abstimmung oder Wahl das 20. Lebensjahr vollendet und im Lande ihren Wohnsitz“ hatten.

Bei den Landtagswahlen vom 6. Juni 1920 musste die Mehrheitssozialdemokratie einen herben Rückschlag hinnehmen. Ihre gemäßigte Reformpolitik sowie der Verzicht auf wichtige Ministerien gegenüber den bürgerlich-konservativen Koalitionspartnern Zentrum und DDP hatte Wählerstimmen gekostet. Die MSPD fiel von 34,4 % Stimmenanteil auf 16,1 %. Dieser Stimmenverlust kam zum Teil der USPD zugute, die mit einem Anstieg von 3,1 % auf 13,2 % einen Wahlerfolg feierte. Die KPD war mit 3 % der Stimmen im Landtag vertreten. Auch die Rechtsparteien verzeichneten erhebliche Gewinne: Der Anteil der Bürgerpartei stieg von 7,4 % auf 9,3 %, der des Bauern- und Weingärtnerbunds von 8,5 % auf 17,7 % und der Anteil des Zentrums von 20,8 % auf 22,5 % der Stimmen an. Die in Württemberg erstmals zur Wahl angetretene DVP kam auf 3,4 %, die sie vor allem der DDP abspenstig machen konnte. Als einzige bürgerliche Partei musste die DDP von 25 % auf 14,7 % starke Stimmenverluste in Kauf nehmen.

Obgleich es für die Weimarer Koalition zum Weiterregieren gereicht hätte, kam es 1920 zur Bildung eines Minderheitenkabinetts aus DDP und Zentrum unter der Staatspräsidentschaft Johannes Hiebers (1862-1951, DDP). Dieser amtierte bis 1924. Die Sozialdemokratie trug die Regierungspolitik des Minderheitenkabinettes mit. Vom 7. November 1921 bis zum 2. Juni 1923 übernahm die Sozialdemokraten jedoch erneut das Ministerium für Arbeit und Ernährung, sodass in diesem Zeitraum wiederholt eine Weimarer Koalition regierte.

Bei der Verfassunggebenden Landesversammlung lag die Wahlbeteiligung bei 90,9 % und bei der Landtagswahl von 1920 bei 77,1 %. Angesichts der Vielzahl an Wahlen – neben den Landtags- und Reichstagswahlen fanden auch Kommunalwahlen statt – zeichneten sich die Einwohner Württembergs zunehmend durch Wahlmüdigkeit aus. Die überdurchschnittlich hohe Beteiligung von 1919 ist sicherlich auf die existenzielle Frage nach dem zukünftigen Staatswesen Württembergs zurückzuführen, die sich bei dieser Wahl zwischen parlamentarischer Demokratie einerseits und sowjetisch geprägter Räterepublik andererseits gestellt hatte.

Die Wahlordnung der verfassunggebenden Landesversammlung

Die im November und Dezember 1918 von der provisorischen Volksregierung auf den Weg gebrachten Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung 1919 bedurften einer Wahlordnung, die den Ablauf der Wahl im Detail regelte. Hierzu veröffentlichte die Regierung am 2., 6. und 11. Dezember verschiedene Fassungen der Wahlordnung, deren Paragrafen in den Sitzungen der provisorischen Regierung zum Teil noch Gegenstand heftiger Diskussionen waren.

Diese Diskussionen betrafen beispielsweise Paragraf 2, der über die Wahlberechtigung der Württembergerinnen und Württemberger entschied. Ein Mindestalter von 20 Jahren wurde durch die Grundbedingungen der deutschen Staatsangehörigkeit sowie des Wohnsitzes in Württemberg ergänzt. Eine solche Regelung bedeutete für außerhalb Württembergs lebende Beamte, hier insbesondere Eisenbahnbeamte, dass sie von der Wahl ausgeschlossen wurden. Er betraf zudem außerhalb Württembergs stationierte sowie noch nicht heimgekehrte Soldaten. Trotz starker Bedenken entschloss sich die provisorische Volksregierung dazu, den Wohnsitz – nicht zuletzt mit Blick auf die Wahlordnungen in Baden und Bayern, in denen ähnlich verfahren wurde – als Kriterium zur Wahlberechtigung einzuführen. Zum einen erachtete sie die außerhalb Württembergs lebenden Beamten als zu vernachlässigende Größe gegenüber 1,5 Millionen Wahlberechtigten. Zudem galt die endgültige Rückführung der Truppen als zeitlich nicht absehbar, sodass auch diese Gruppe an der Wahl hätte teilnehmen können.

Den wohl wichtigsten Streitpunkt bildete der Wahltermin, der ursprünglich für den 19. Januar 1919 festgelegt worden war. Die provisorische Volksregierung erreichten zahlreiche Eingaben, Petitionen und Anträge, in denen auf eine Vorverlegung auf den 19. Dezember 1918 gedrängt wurde. So wandte sich eine Vielzahl von Verbänden und Vereinen wie der akademische „Bund der geistigen Arbeiter und Arbeiterinnen“, aber auch Parteien wie die DDP sowie Stadtgemeinden wie Neckarsulm und Schwäbisch Gmünd mit der Bitte an die Regierung, die Wahlen vorzuverlegen. Die Argumente für eine Vorverlegung waren dabei folgende: Erstens sollte eine politisch legitime Landesregierung Einfluss auf die Friedensverhandlungen mit den Alliierten nehmen. Zweitens machte die desolate Wirtschaftslage Lebensmittelimporte notwendig, die nur unter politisch konsolidierten Zuständen möglich seien.

Ein drittes und wohl entscheidendes Argument, das für eine Vorverlegung des Wahltermins ins Feld geführt wurde, bildete die Gefahr, die Spartakisten könnten gegen die provisorische Volksregierung revoltieren, die Wahlen stören und eine Räterepublik nach sowjetischem Muster errichten. Eine solche kommunistische Revolution, so die etwa von der DDP an die Regierung herangetragene Befürchtung, könnte womöglich dazu führen, dass die Ententemächte militärisch eingriffen und einmarschierten. Dringend notwendige Friedensverhandlungen wären auf diese Weise nicht möglich. Denn geordnete politische Verhältnisse waren notwendig und sollten Friedensbereitschaft signalisieren. Und tatsächlich entschloss sich die provisorische Volksregierung am 11. Dezember 1918 auf Antrag von Kultusminister Berthold Heymann (1870-1939, SPD) dazu, die für den 19. Januar anberaumte Wahl eine Woche, nämlich auf den 12. Januar, vorzuverlegen. Als Gründe wurden die Argumente bezüglich der Lebensmittelimporte sowie die Schaffung politischer Rahmenbedingungen für Friedensverhandlungen genannt.

Ausschlaggebend für diesen Schritt dürfte jedoch vielmehr die Angst vor einem kommunistischen Umsturz gewesen sein. Bereits Wochen vor der Wahl kündigte der Spartakusbund Proteste und Unruhen für die Wahlen an. Vom 4. bis 12. Januar kam es zu gewalttätigen lokalen Ausschreitungen des Spartakusbundes in Stuttgart, der versuchte, die Durchführung der Wahl zu verhindern. Am 8. Januar erließ die provisorische Volksregierung einen Aufruf an die Bevölkerung, in der sie bekannt gab, dass sie von weiteren kommunistischen Störungsversuchen der Wahl ausgehe und die Bevölkerung dazu aufrief, „sich durch wilde Gerüchte nicht beunruhigen zu lassen und ihr Wahlrecht in vollem Umfang auszuüben.“ Zudem untersagte die provisorische Regierung am 11. Januar jegliche Straßendemonstrationen und Versammlungen. Da die Unruhen bis zur Wahl unvermindert anhielten, musste die provisorische Volksregierung die Ausschreitungen, die sich auf Stuttgart beschränkten, im Verbund mit dem Militär blutig niederschlagen.

GND-Verknüpfung: Wahlen [4064286-0]

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Das vorgestellte Dokument im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs BW: 

Wahlordnung für die verfassunggebende württembergische Landesversammlung, 2.12.1918