William Blake in der Truchsessen-Galerie

von Nikolas Maisch

Der romantische Blick

Durch gezielte Werbung und viele Briefe an die Londoner Oberschicht sowie an Mitglieder der Royal Academy wurde die Truchsessian Gallery in England schnell bekannt. Die Galerie fand sogar Erwähnung in Reiseführern durch das georgianische London. So ist etwa ein Reisebericht über den Galeriebesuch eines amerikanischen Touristen überliefert. Der wohl bekannteste Besucher war aber der britische Dichter und Künstler William Blake (1757–1827). Für ihn war der Besuch der Ausstellung ein Schlüsselmoment seiner künstlerischen Laufbahn. In einem Brief an den befreundeten Schriftsteller William Hayley (1745 –1820) beschrieb Blake am 23. Oktober 1804 den Einfluss der gräflichen Gemälde:

„Suddenly on the day after visiting the Truchsessian Gallery of Pictures, I was again enlightened with the light I enjoyed in my youth, and which has for exactly twenty years been closed from me.“

Für Blake bedeutete dieser Besuch und die Erfahrung in der Truchsessian Gallery also eine Art Neufindung künstlerischer Inspiration – ein Moment, der ihn tief bewegte und seine Arbeit nachhaltig beeinflussen sollte.

Rubens als Inspirationsquelle

Besonders die Peter Paul Rubens zugeschriebenen Werke müssen den britischen Maler tief beeindruckt haben. In einer Serie von Aquarellen zum Neuen Testament, die Blake zwischen 1800 und 1805 schuf, greift er die Szene von der Bekehrung des Paulus auf – also den Moment, in dem der zukünftige Apostel vom Licht Gottes erfasst wird. Ein solches Motiv der Conversion of Saul war in der Sammlung des Grafen Joseph enthalten und wurde dort Rubens zugeschrieben.

Ein sicher zugeschriebenes Gemälde mit diesem Motiv gilt seit dem Zweiten Weltkrieg allerdings als verschollen. Die National Gallery Washington, USA, besitzt nur eine Ölskizze dieses Gemäldes. Diese Bekehrung des Paulus nach Rubens weist eine starke Ähnlichkeit zu Blakes Werk auf: römische Soldaten mit Lanzen im Hintergrund, ein stürzendes Pferd, der zu Boden geworfene Paulus, welcher zum Licht und zum Engel aufblickt – William Blakes Aquarell besitzt denselben Bildaufbau und eine nahezu identische Komposition. Es ist daher gut vorstellbar, dass die Eindrücke aus der Ausstellung direkt in Blakes künstlerisches Schaffen einflossen.

Die Verbindung zwischen der Truchsessian Gallery und dem britischen Künstler ist auch deshalb interessant, weil Blake wie viele seiner Zeitgenossen unter dem wachsenden Konkurrenzdruck auf dem Kunstmarkt litt. Nach der Französischen Revolution kamen viele wertvolle Gemälde Alter Meister aus Frankreich nach England. Die englische Oberschicht kaufte diese Werke bevorzugt für ihre Stadtpaläste und Landsitze. Für britische Künstler bedeutete das jedoch: eine sinkende Aufmerksamkeit, geringere Marktpräsenz und weniger Aufträge. Die gräfliche Gemäldesammlung war also nicht nur eine Galerieausstellung, sondern beeinflusste teilweise auch die zeitgenössische Kunstproduktion Englands.

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Zitierhinweis: Nikolas Maisch, William Blake in der Truchsessen-Galerie, in: art&market. Die Truchsessen-Galerie in London und der englische Kunstmarkt um 1800, URL: […], Stand: 02. Juni 2025.

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