Reilingen

Die ehemalige Synagoge in Reilingen um 1985. Die kleine Gemeinde verkaufte das Gebäude bereits Ende der 1920er Jahre. Es wurde zu einem Wohnhaus mit teilweiser gewerblicher Nutzung umgebaut, beherbergte für einige Zeit auch ein Volksbad und blieb erhalten. [Quelle: Alemannia Judaica, Foto: Joachim Hahn]
Die ehemalige Synagoge in Reilingen um 1985. Die kleine Gemeinde verkaufte das Gebäude bereits Ende der 1920er Jahre. Es wurde zu einem Wohnhaus mit teilweiser gewerblicher Nutzung umgebaut, beherbergte für einige Zeit auch ein Volksbad und blieb erhalten. [Quelle: Alemannia Judaica, Foto: Joachim Hahn]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Im ehemals kurpfälzischen Dorf Reilingen zahlte 1743 der Jude Meyer 175 Gulden Schutzgeld. Außer ihm lebte noch eine jüdische Witwe im Dorf, die aber nach Neckarsteinach übersiedelte.

Bis 1825 hatte sich die Zahl der Reilinger Juden auf 94 erhöht. Sie waren Tuchhändler und Krämer, übten aber auch Handwerke wie Bäcker, Metzger und Schuhmacher aus. Schon um die Wende zum 19. Jahrhundert besaß die jüdische Gemeinde, die 1827 dem Rabbinatsbezirk Heidelberg zugewiesen wurde, eine Synagoge. Sie befand sich im Obergeschoß des Hauses von Jakob Levi an der Wörschgasse, die wohl deswegen auch „Judengasse" genannt wurde. Um 1812 brach in ihr ein Brand aus, bei dem auch die Standesaufzeichnungen der Juden verlorengingen.

1832 gründeten die Reilinger Juden einen Synagogenbauverein. 1840 konnte mit den von ihm aufgebrachten Mitteln eine Synagoge an der Straße nach Hockenheim erbaut werden. Die Verstorbenen wurden auf dem Wieslocher Friedhof beigesetzt.

Ihre größte Seelenzahl erreichte die jüdische Gemeinde 1875 mit 104. Danach ging sie ständig zurück: 1900 42, 1925 21 und Anfang 1933 14. Schon 1929 wurde die Synagoge, deren Unterhalt von den wenigen Gemeindemitgliedern nicht mehr aufgebracht werden konnte, verkauft und zu Wohnzwecken umgebaut. Die Gemeinde wurde am 12. Oktober 1937 durch Beschluss des Badischen Staatsministeriums aufgehoben.

Bis 1938 betrieben Hedwig Broda und die Geschwister Kahn je einen kleinen Textilhandel. Nathan Falk handelte mit Vieh und Hopfen. In jüdischem Besitz befanden sich die Zigarrenfabriken der Gebrüder Bär. Dr. Herbert Kohn war Anfang 1933 wegen antisemitischer Anfeindungen aus Pommern in das ihm als besonders demokratisch geltende Baden übergesiedelt. Schon nach wenigen Monaten musste er seine Arztpraxis in Reilingen aufgeben und wanderte mit seiner Frau nach Amerika aus. Dorthin verschlug es bis 1940 5 weitere Reilinger Juden. 2 starben in der Heimat. Am Nachmittag des 10. November 1938 drangen halbwüchsige Schulkinder unter Führung ihres Lehrers in die Wohnung der Geschwister Kahn ein und zerstörten sie in vandalischer Weise. Die alten Damen wurden gezwungen, durch ein Fenster in den Garten zu springen. Am 22. Oktober 1940 wurde Max Kahn nach Gurs deportiert; er ist seitdem verschollen. Hedwig Broda wurde in Mannheim, die Geschwister Kahn in Heidelberg von der Deportation erfasst. Sie starben in den Lagern des Ostens, wohin man sie von Gurs aus verschleppt hatte. Irmtraud Kohn zog 1933 über Heidelberg nach Saarbrücken. Dort verliert sich ihre Spur.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Krämer, Hermann, Geschichte von Reilingen und Wersau, 1912.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Reilingen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Bildband 700 Jahre Reilingen, 1984.
  • Bickle, Philipp, Aus der Geschichte der Reilinger Juden, in: Ortschronik Reilingen, 1986, S. 361-368.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Huth, Hans, Die Kunstdenkmäler des Landkreises Mannheim, in: Die Kunstdenkmäler Badens X,3, 1967, S. 310.
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 56-58.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 495-496.
Suche