Flamm, Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 07.09.1871;  Freiburg im Breisgau
Sterbedatum/-ort: 17.01.1915;  Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Historiker
Kurzbiografie: 1977–1888 Realschule in Freiburg
1893 Abitur am Gymnasium in Freiburg
1893–1904 Studium in Freiburg: Jura, Geschichte u. Nationalökonomie
1905 Promotion an d. rechts- u. staatswissenschaftl. Fakultät bei Carl Johannes Fuchs: „Der wirtschaftl. Niedergang Freiburgs im Br. u. die Lage des städt. Grundeigentums im 14. u. 15. Jh.“
ab 1898 wissenschaftlicher Mitarbeiter am StadtA Freiburg
1908 Schriftleiter d. Zs. „Dorf u. Hof“
1909 Hilfsarbeiter beim StadtA Freiburg u. den städt. Sammlungen; Schriftführer d. BH
1914 Schriftleiter d. Zs. „Mein Heimatland“
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: unverheiratet
Eltern: Vater: Franz Josef, Metzgermeister (1820–1882)
Mutter: Maria Anna, geb. Lang (1827?–1901).
Geschwister: 7; Maria Elisabeth (* 1860), Franz Joseph (*/† 1861), Anna Josephina (* 1865), Luise (* 1867), Adolf (* 1868) u. Eduard (* 1869)
Kinder: keine
GND-ID: GND/116588195

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 113-116

Der Mitbegründer des Schwäbischen Heimatbunds Carl Johannes Fuchs (1865–1934), Max Webers (➝ I 266) Nachfolger auf dem Freiburger Lehrstuhl für Nationalökonomie, hat Flamm nachhaltig gefördert. Er machte ihm Mut, aus seinen Forschungen zur Freiburger Stadtgeschichte eine wirtschaftswissenschaftliche Dissertation zu erarbeiten. Diese wurde 1905 in einer angesehenen Reihe publiziert, eine Genugtuung für den 34-jährigen, der seit Kindertagen mit den Widrigkeiten einer schweren Behinderung zu kämpfen hatte. Als Folge einer Polioinfektion war sein linkes Bein gelähmt, weshalb er sich nur mühsam mit Stöcken fortbewegen konnte. Insgesamt sei er gebrechlich und häufig krank gewesen. Mit Fuchs fand Flamm den Weg zu einer der Vorläufer-Vereinigungen der Bad. Heimat, dem „Verein für ländliche Wohlfahrtspflege in Baden“, den der Professor 1902 als Zweig einer reichsweiten Organisation gegründet hatte. Hier fand Flamm gesellschaftlichen und geselligen Rückhalt, aus diesem Umfeld kamen nach seinem frühen Tod ausführliche und menschlich zugewandte Nachrufe. 1908, als die Gründung der Bad. Heimat durch Fusion mit dem Verein für Volkskunde bevorstand, übernahm Flamm die Redaktion der Vereinspublikation „Dorf und Hof“. Die Zeitschrift erschien nun als Neue Folge im Haus Fehsenfeld (➝ V 73). In der Bad. Heimat wurde Flamm 1909 zum Schriftführer gewählt. Nach der Umgestaltung des Zeitschriftenwesens des Vereins 1913/14 betreute Flamm noch für wenige Monate die Publikation „Mein Heimatland“, deren Redaktion nach ihm Max Wingenroth (vgl. S. 431) übernahm.
Das Stadtarchiv Freiburg war Flamms wichtigstes Betätigungsfeld. 1898, noch während seines Studiums, das sich krankheitsbedingt über mehr als zehn Jahre hinzog, nahm er die Vorarbeiten zum Häuserbuch auf. Nachdem er 1900 kurzfristig von Josef Kartels (1860–1931) abgelöst war, der aber bald eine Stelle am Stadtarchiv Fulda erhielt, konnte Flamm 1903 das heute noch gefragte nützliche Werk vollenden, „mit eigener voller Verantwortung“, wie der damalige Leiter des Archivs, Peter P. Albert (1862–1956), im Vorwort vermerkt.
Neben dem Ordnen und Registrieren von Archivbeständen widmete sich Flamm eigenen Forschungen, deren Ergebnisse er in Fachzeitschriften veröffentlichte, aber auch in Tageszeitungen jeder politischen Couleur in und um Freiburg, sogar in Köln und Frankfurt. Er interessierte sich auch für die gesellschaftlichen und politischen Vorgänge seiner Zeit und meldete sich in der kath. Zeitschrift „Sociale Revue“ zu Wort. Die Christliche Gewerkschaft lag ihm am Herzen. Als treuer Katholik konnte er gemütvollen Gottesdiensten etwas abgewinnen und diese Haltung mit seinem Bekenntnis zum Wirtschafts-Liberalismus vereinbaren. In seiner Dissertation kritisiert er in der Nachfolge seiner Lehrer Fuchs und Schulze-Gävernitz (BWB I 343) die Wettbewerbsfeindlichkeit der Zünfte.
1909 schloss die Stadt mit Flamm einen Dienstvertrag ab. Er wurde „außerordentlicher Hilfsarbeiter“ mit einem jährlichen Einkommen von 1500 Mark, später 1800 Mark. Nach Bedarf sollte er Archivleiter Albert und Konservator Wingenroth zuarbeiten, wobei das menschliche Verhältnis zu letzterem stimmte und sich durch das gemeinsame Engagement für die Bad. Heimat stets festigte. Albert gegenüber bahnten sich Spannungen an. Der Archivrat scheint sich an Flamms offenem Umgang mit Menschen „der verschiedensten Gesellschaftsklassen“, die ihn auch im Archiv aufsuchten, gestört zu haben. Vor allem missfiel ihm Flamms Verankerung in der Bad. Heimat und sein Kontakt zu deren Gründungs-Vorsitzendem Professor Friedrich Pfaff (1855–1917), der einer Freimaurerloge angehörte.
Flamms Familie stammte aus Neuershausen bei Freiburg. Der Vater war Metzger. Die Entscheidung, Flamm auf die höhere Schule zu schicken, war der körperlichen Behinderung geschuldet, die eine Betätigung im Handwerk nicht erlaubt hätte. Flamm erhielt sehr gute Zensuren auf der 10-klassigen Schule, die zur Mittleren Reife führte, erreichte den Abschluss aber mit einer zeitlichen Verzögerung. Um zum Abitur zu gelangen, musste er sich auf den Übertritt zum Gymnasium vorbereiten, also vermutlich die alten Sprachen lernen. Bis er die Reifeprüfung ablegen konnte, vergingen fünf weitere Jahre. Als 22-jähriger nahm er ein Jurastudium auf, sah oder hörte sich aber auch in anderen Fakultäten um und verschaffte sich ein breites Wissen, fernab des Spezialistentums, das sich zu seinem Missfallen damals im Forschungsbetrieb durchsetzte. Seine akademische Laufbahn verdankt Flamm dem Glücksfall, dass alle Bildungseinrichtungen vor seiner Haustür lagen. Mag sein, dass er seine Kommilitonen, die fernab der Heimat studieren und verschiedene Hochschulen erleben durften, beneidet hat, vielleicht auch seinen Lehrer Fuchs, der nur sechs Jahre älter war, aber in München, Straßburg und Berlin studiert hatte, und England, die USA und Canada kannte.
Nach seiner Studienzeit führte Flamm einen eigenen Hausstand zusammen mit seiner Schwester in der Schwabentorstraße, später wohnte er in der Oberau am Dreisamufer. Schwarzweber beschreibt das Zusammenleben der Geschwister als glücklich und harmonisch, jedoch nicht frei von Sorgen um den finanziellen Unterhalt, zumal in seinen letzten Lebensjahren auch der geistig behinderte Bruder Josef mitversorgt wurde. Flamm habe die kargen Bezüge von der Stadt durch Lohnarbeiten aufgebessert, Register oder Stammbäume erstellt und Nachhilfeunterricht erteilt. Mehrfach habe er sich um feste Stellen beworben, aber immer ohne Erfolg. An einer Handelsschule habe man ihm deutlich gesagt, dass er nicht nur wegen seiner Behinderung sondern seiner äußeren Erscheinung insgesamt nicht in Frage käme. In der Tat mag er durch die weit vorgewölbte Stirn über den tief liegenden Augen etwas furchterregend gewirkt haben. Die Göttin der Anmut habe ihn vergessen, deuten Münzel und Schwarzweber an.
Dennoch gewinnt man den Eindruck, dass Flamm nicht mit dem Schicksal haderte, sogar über weite Strecken mit seinem Dasein zufrieden war. „Ein eigentümlicher Zauber ging von ihm [Flamm] aus, der ihm viele nahe brachte und auch auf den nicht näher Bekannten seinen Eindruck nicht verfehlte.“ (Münzel, 1915, S. 13). In dieser Ausstrahlung und seiner Neugier auf interessante Menschen liegt vielleicht der Schlüssel zu seiner Begegnung mit dem baltischen Maler Herbert von Hoerner (1884 –1950), der ihn kurz vor dem I. Weltkrieg portraitierte. Beide verband die Liebe zur jeweiligen Heimat und das Engagement für deren Schutz und Pflege. Auch Hoerner war Schriftsteller. Das Gemälde vom Sommer 1914 blieb unvollendet, was zu der Angabe passt, dass Hoerner bei Kriegsausbruch als russischer Staatsangehöriger zunächst interniert wurde.
Auch für Flamm markiert 1914 eine Zäsur. In den Nachrufen klingt es versöhnlich: Flamm habe die Tätigkeit im Stadtarchiv beendet und einen gutdotierten Auftrag des bad. Kultusministeriums in Aussicht, die Erstellung eines schulgeschichtlichen Werkes. Die Dienerakte zeichnet dagegen ein düsteres Bild: Das Verhältnis zu Albert habe sich derart verschlechtert, dass Flamm dem Archiv ab Juni fernblieb. Um seiner Bezüge nicht verlustig zu gehen, stellte er sich dem städt. Arbeitsamt zur Verfügung. Wingenroth schlug vor, ihn bei sich im Bereich Stadtgeschichte zu beschäftigen, was sich aber kurzfristig nicht realisieren ließ. Den Oktober verbrachte Flamm in Schapbach bei dem Kunstsammler Marc Rosenberg (➝ IV 240), für den er schon Katalogisierungsarbeiten erledigt hatte. Im Januar 1915 kam es zum offenen Schlagabtausch, in dessen Verlauf eine Intrige Alberts gegen die Bad. Heimat eine Rolle spielte. Oberbürgermeister Emil Thoma (vgl. S. 398) nahm sich der Sache an und schlug einen Vergleich vor, den Flamm schriftlich akzeptierte. Zwei Tage später erlag er einem Schlaganfall.
Quellen: StadtA Freiburg C3,116/3 u. Meldekartei.
Werke: Schriftenverzeichnis in: Gustav Münzel, Verzeichnis d. literar. Arbeiten des † Hermann Flamm. In Verb. mit Otto Hoerth u. Hermann Schwarzweber, in: Alemannia, Zs. für alemann. u. fränkische Geschichte, Volkskunde, Kunst u. Sprache Jg. 43, 1916, 47–61. – Auswahl: Häuserbestand 1400–1806, Geschichtliche Ortsbeschreibung d. Stadt Freiburg im Br. Bd. 2, 1903; Der wirtschaftliche Niedergang Freiburgs im Br. u. die Lage des städt. Grundeigentums im 14. u. 15. Jh. Ein Beitrag zur Geschichte d. geschlossenen Stadtwirtschaft, Diss. iur. Freiburg, Volkswirtschaftliche Abhandlungen d. bad. Hochschulen, 1905.
Nachweis: Bildnachweise: Unvollendetes Gemälde von Herbert von Hoerner in: Münzel, Würdigung, 2; Fotografie in: Schwarzweber, 1915, 1 u. Ott, 2009, 492 (vgl. Literatur).

Literatur: Gustav Münzel, Hermann Flamm. Eine Würdigung seiner Leistung u. Persönlichkeit, in: BH 1/1915, 2–13; Hermann Schwarzweber, Hermann Flamm †. Ein Freundesgedenken, in: MH 1/1915, 1–7; Zu Herbert von Hoerner: Internationales Biogr. Archiv 34/1954 u. NDB 9, 357 f.; Ludwig Vögely, Die Chronik des Landesvereins BH, in: BH 3/1984, 705–707; Heinrich Ihme, Südwestdt. Persönlichkeiten I, 1988, 229; Angelika Ott, Die Schriftleiter des Landesvereins BH, in: 100 Jahre für Baden, Chronik des Landesvereins BH 1909–2009, in: BH 3/2009, 492 f.
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