„Man muss wie beim Schlittschuhlaufen einige Übung haben“

Wie Zeitgenossen die ersten Fahrversuche des Freiherrn von Drais 1817 erlebten

Ein echter Fortschritt: das Drais’sche Laufrad von 1817. Quelle: Landesarchiv BW, GLAK N Klüber Nr. 209
Ein echter Fortschritt: das Drais’sche Laufrad von 1817. Quelle: Landesarchiv BW, GLAK N Klüber Nr. 209

2017: Alle Welt fährt auf das Zweirad ab. Kein Wunder, feiert das Fahrrad doch seinen 200. Geburtstag und unzählige Veranstaltungen stehen im Zeichen der wegweisenden Erfindung des badischen Freiherrn von Drais. Wie dessen Zeitgenossen auf den Erfinder und seine ungewohnte Art der Fortbewegung reagierten, verdeutlicht eine bislang unbekannte Quelle aus dem Generallandesarchiv Karlsruhe.

1817 berichtete Friedrich Ludwig Hoffmeister (1773–1853) dem Professor der Rechte an der Universität Heidelberg Johann Ludwig Klüber (1762–1837) über ein Erlebnis der besonderen Art. Der Mathematiker, Astronom und Kartograph war Augenzeuge geworden, wie Karl Drais sein neues Fuhrwerk im Schloss in Mannheim vorführte – ein Versuch, der sehr gut ausfiel. Diese Präsentation fand exakt in dem Jahr statt, in dem Drais im Juni und Juli seine Ausfahrten von Mannheim in Richtung Schwetzingen und von Gernsbach nach Baden- Baden unternahm.

Hoffmeister legte seinem Bericht eine handgezeichnete Skizze bei, die das Drais’sche Laufrad exakt beschreibt. Die Räder seien 27 Zoll hoch, über ihnen liege eine Stange, auf der man reitet. Bemerkenswert ist, mit welchen Begriffen der Augenzeuge die Draisinefahrt charakterisierte. Ihn erinnerte der fortschrittliche Drais’sche Lauf an die damals bekannten Formen, sich rasch fortzubewegen. Neben dem Reiten verglich er das etwas ungelenk anmutende Anschieben des Velozipeds mit dem Eislaufen: Mit den Füßen tritt man also wie beim Schlittschuhlaufen und zieht sie dann in die Höhe, wo es [das Laufrad] 10 bis 12 Schritte fortrollt.

Aufschlussreich sind zwei weitere Aspekte. Zum einen schildert Hoffmeister die jedem Fahranfänger bekannte Angst, beim Radeln umzufallen, wenn man nicht wenigstens mit einem Bein den Boden berührt: Wegen der schmalen Grundfläche [muss man] wie beim Schlittschuhlaufen einige Übung haben, um das Gleichgewicht zu halten. Zum anderen weist sein Bericht auf ein Phänomen hin, das Jahre später bei den ersten Eisenbahnfahrten die Menschen umtrieb: den Rausch der Geschwindigkeit. Denn Drais soll so geschwind auf den Platten und den Gängen des Schlosses in Mannheim davon gerollt sein, dass Hoffmeister es kaum aushalten konnte […] nebenher zu laufen.

Die atemberaubende Fortbewegung fand noch bei der Vorführung spontane Nachahmer. Ein Dutzend Offiziere, die im Schlosshof Exerzierübungen abhielten, machte größtenteils auch den Versuch mit.

Peter Exner

Quelle: Archivnachrichten 55 (2017), S. 36.

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