Der badische Kulturkampf und die liberalen Reformen

Der badische Kulturkampf

Amtstracht der badischen Rabbiner, 1843 (GLAK J-L Nr. J 1)
Amtstracht der badischen Rabbiner, 1843 (Landesarchiv BW, GLAK J-L Nr. J 1)

Die weitgehende Beherrschung der katholischen Kirche durch den badischen Staat seit 1803 musste nach der inneren Erstarkung des Katholizismus zum Konflikt führen. Erste Anzeichen dafür waren schon 1841 zu bemerken, sie verschärften sich seit der Wahl des Erzbischofs Hermann von Vicari 1843 und dem Eintreten der liberalen Landtagsmehrheit für Deutschkatholiken und andere Dissidenten 1844. Im Grunde ging es aber um die Freiheit der Kirche von staatlicher Bevormundung im Verkehr mit Rom, bei der Ausbildung der Geistlichen, der Besetzung der Pfarreien und der Verwendung des Kirchenvermögens. Der Erzbischof suchte durch ein Ultimatum 1853 ein Nachgeben des Staates zu erreichen, wurde vorübergehend unter Hausarrest gestellt, aber schließlich gab das Ministerium doch nach und handelte 1859 ein Konkordat aus. Dagegen erhob sich gerade bei den Liberalen starker Protest; er entzündete sich an der Frage, ob nicht die Stände bei den Verhandlungen zum Konkordat hätten mitwirken müssen. Der Großherzog berief die bisherigen konservativ-gouvernementalen Minister ab, ließ in seiner Osterproklamation von 1860 das Konkordat fallen und legte die Führung des Landes in die Hände der liberalen Minister Anton von Stabel und August Lamey. Da der Erzbischof an den Bedingungen des Konkordats festhielt, kam es zum offenen Kulturkampf mit sechs vom Landtag verabschiedeten Gesetzen, die eine Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses in der Öffentlichkeit bezweckten. Hauptkampfpunkte wurden die 1870 obligatorisch gemachte Zivilehe und die Aufhebung der kirchlichen Schulaufsicht, dann die Einführung der Simultanschule 1876. Hinzu kamen die Begünstigung der Altkatholiken seit 1873 und die Einziehung aller Schul- und Wohltätigkeitsfonds sowie ein Staatsexamen für die Theologen. Im Einklang mit dem Abbau des in Preußen erst später aufgeflammten Kulturkampfes einigte man sich 1879 dahin, dass das Staatskirchentum aufgegeben wurde. Theologenausbildung und weitgehend die Pfarreibesetzungen wurden Sache des Erzbischofs, die Schule und die Wohltätigkeitsfonds blieben dem Staat bzw. den politischen Gemeinden. Die evangelische Kirche vollzog diesen Wandel zu größerer Unabhängigkeit vom Staat im Anschluss an diese Gesetze in ruhigen Bahnen. Die Dotation der Kirche wurde 1888 und 1898 durch Einführung einer Orts- und einer allgemeinen Kirchensteuer geregelt.

Liberale Reformen

Der badische Kulturkampf war nur Teil eines umfangreichen liberalen Programms, das zunächst unter dem Ministerium Stabel-Lamey durchgeführt und nach deren Ausscheiden wegen Österreich freundlicher Haltung ab 1866 von Julius Joly und Karl Mathy fortgesetzt wurde. Die entscheidende Reform war die Durchsetzung der Gewerbefreiheit 1862. Im selben Jahr erhielten die Israeliten die Gleichstellung in den Gemeinden. Der Verwirklichung der staatsbürgerlichen Gleichheit diente ebenso die Reform des Landtagswahlgesetzes 1869, die praktisch allgemeines aktives und passives Wahlrecht gewährte, aber erst 1904 wurde die indirekte Wahl der Abgeordneten der zweiten Kammer beseitigt. In den Gemeinden führte die Städteordnung 1874 für die sieben größten Kommunen des Landes das Prinzip der Einwohnergemeinde ein, das 1896 unter Beibehaltung des Ortsbürgerrechts auf alle Gemeinden ausgedehnt wurde, doch blieb für die Gemeindegremien bis 1918 das Dreiklassenwahlrecht in Kraft. Die in Baden im Gegensatz zu Württemberg öfter umgestaltete Verwaltung erlebte 1857/64 eine grundsätzliche Neuordnung. Jetzt wurden auch auf der untersten Ebene Justiz und Verwaltung getrennt und mit den elf Kreisen (nachträglich oft als Großkreise bezeichnet) kommunale Selbstverwaltungskörper, hauptsächlich für Straßenbau und Wohlfahrtswesen, geschaffen.

(Quelle: Bearbeitete Fassung aus dem Abschnitt Landesgeschichte, in: Das Land Baden-Württemberg. Amtliche Beschreibung nach Kreisen und Gemeinden, hg. von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg, Band I, Stuttgart, 2. Aufl. 1977)

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