Flüchtlinge und Heimatvertriebene in Württemberg-Baden

Delegation im Lager Schlotwiesen, Stuttgart-Zuffenhausen, 12.09.1949 – Quelle LABW (HStAS J 152 A XI Nr 6 S 10 500)
Delegation im Lager Schlotwiesen, Stuttgart-Zuffenhausen, 12.09.1949 – Quelle LABW

Lager Schlotwiese in Zuffenhausen am 12.9.1949: Eine Gruppe sehr distinguiert aussehender Herren schlendert durch eine Barackensiedlung, ein Herr mit Fliege und Hut ignoriert – wahrscheinlich unbewusst – das freundliche Lächeln zweier Frauen, eine im modischen, getüpfelten Sommerkostüm gehend, die andere mit Kopftuch und dunkler Tracht spinnend vor ihrer Behausung sitzend. Ein kontrastreiches Bild des Fotografen Peter Weizsäcker, der den Besuch einer Delegation des amerikanischen Kongresses in Württemberg-Baden dokumentierte.

Zwei große Probleme des Flüchtlingswesens – der fehlende Wohnraum und der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten – wurden während des Aufenthalts angesprochen. Am Ende der Reise erhielt jeder Teilnehmer einen Fotoband, in dem auch weitergehende Informationen zu und über die Flüchtlinge im Land Württemberg-Baden zusammengetragen waren.

Die Schlotwiese in Stuttgart-Zuffenhausen wurde bereits in den Kriegsjahren als Barackenlager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter genutzt. Im August 1945 beschlagnahmte die amerikanische Militärregierung das Lager und wies rund 1200 deutsche Vertriebene aus Südosteuropa dort ein. Ursprünglich sollten die 1944 zwangsevakuierten Donauschwaben wieder in ihrer Heimat repatriiert werden, doch zeigte sich rasch die Unmöglichkeit der Rückkehr. Aus dem geplanten kurzfristigen Provisorium wurde für viele ein Wohnort für längere Zeit. Im durch den Krieg stark zerstörten Stuttgart gab es kaum für die heimische Bevölkerung ausreichend Wohnraum, noch weniger für die weiter zuströmenden Flüchtlinge. In dieser schwierigen Situation ergriffen einige Neubürger, auch der Schlotwiese, die Initiative und gründeten 1948 die gemeinnützige Baugenossenschaft Neues Heim. Der Erfolg dieses Unternehmens wird in diesem Band durch weitere Fotos belegt. Die Neubürger trugen mit dazu bei, einen neuen Stadtteil, Stuttgart-Rot, aufzubauen. Aus den ehemaligen Neubürgern wurden Alteingesessene, deren Engagement, Ideenreichtum und Initiative neuen Wohnraum schuf und die Eingliederung in die Gesellschaft der neuen Heimat beförderte. Die letzten Baracken auf der Schlotwiese wurden im Jahr 1967 geräumt und dann abgerissen. Die Eingliederung der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen konnte allerdings nur dann gelingen, wenn für sie Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten von öffentlicher und privater Seite oder von den Neubürgern selbst geschaffen wurden.

Ein Beispiel für Eigeninitiative präsentierte man den amerikanischen Gästen am nächsten Tag in Schwäbisch Gmünd. Dort wurde nach der Begrüßung durch den Landrat besonderes Augenmerk auf den Besuch der sich im Raum Schwäbisch Gmünd angesiedelten Sudetendeutschen aus Gablonz gelegt, die mit der Fertigung von Glasschmuck begonnen hatten. Schwäbisch Gmünd war seit langem als Schmuckstadt bekannt, die nun durch die Ansiedelung der nordböhmischen Glasschmuckhandwerker eine wertvolle Ergänzung erhielt. Die Produktionsräume und die Produkte dieser Kleinunternehmer wurden dem Komitee mit Stolz vorgestellt. Die Symbiose von alteingesessener und neuhinzugekommener Handwerks- und Industrietradition beförderte nachhaltig die gewerbliche Entwicklung dieses Raumes.

Peter Bohl

Quelle: Archivnachrichten 44 (2012), S.6-7
 

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