Alemannien und Alpenland - separatistische Ideen der Nachkriegszeit

Alemannien - eine stammesföderalistische Vision (Vorlage: Historischer Atlas BW)
Alemannien - eine stammesföderalistische Vision (Vorlage: Historischer Atlas BW)

Eine nachträglich exotisch anmutende Episode spielten die separatistischen Tendenzen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Südwesten auflebten: sei es die Idee einer Schwäbisch-Alemannischen Demokratie, wie sie dem Konstanzer Stadtarchivar Dr. Otto Feger, einem promovierten Juristen und Historiker, vorschwebte, dessen alemannischer Südstaat von Rottweil aus verwaltet werden sollte; sei es die Vision eines Alpenlandes, wie sie der Singener Bürgermeister Dr. Bernhard Dietrich zuerst in einem Alpen-Donau-Staat, der die Stämme der Alemannen, Schwaben, Altbayern und Österreicher einschließen sollte, dann nach dem zwangsweisen Ausscheiden der Vorarlberger (Oktober 1945) in der kleineren Variante des Schwäbisch-Alemannischen Heimatbunds seit August 1946 vertrat, weil er sich auf Druck der Militärregierung jeglicher Werbung der Vorarlberger, alemannischen Schweizer oder französischen Elsässer zu enthalten hatte. – All diese Visionen leitete ein antiborussischer, antizentralistischer und antinationalistischer Reflex, und sie definierten sich exklusiv: Bürger des Dietrichschen Alpenlands sollten nur die »Bodenständigen« oder mit dem Heimatbund eng Verbundenen werden können; Feger trat dafür ein, dass sein Alemannien nur von Ansässigen regiert werden sollte. Beide Separatisten traten dafür ein, Nichtbodenständige durch Einheimische zu ersetzen.

Die stammesföderalistischen Ideen fanden Gehör bei der französischen Militärregierung, die ihre Zone föderalistisch neuordnen wollte. Während Laffon für eine Restauration Badens eintrat, gediehen vor allem im Umkreis des Oberbefehlshabers Koenig Pläne für einen in seinen Regionen weitgehend eigenständigen südschwäbischen Staatenbund, der die südlichen Teile der alten Länder sowie Hohenzollern und den bayerischen Kreis Lindau als autonome Teile umfassen sollte. Somit unterstützte das französische Oberkommando die Idee des frankophilen Fegers eines schwäbisch-alemannischen Gemeinwesens und legte seine programmatische Schrift im Juli 1946 trotz Papiermangel in 50 000 Exemplaren auf. Auch im Kreis fanden diese autonomistischen Neugestaltungsgedanken Widerhall. Der Rottweiler Bürgermeister, Oberstaatsanwalt Dr. Franz Mederle, hatte im Frühjahr 1946 die Zulassung einer Schwäbisch-Alemannischen Volkspartei angestrebt und arbeitete nach deren Ablehnung in Dietrichs Heimatbund mit.

Dennoch war den staatsauflösenden Bestrebungen keine Zukunft beschieden, aus drei Gründen: Entgegen der Koenigschen Konzeption einer süddeutschen Föderation dachte die offizielle französische Politik in der Kontinuität der napoleonischen Flurbereinigung im Südwesten von 1803/06. De Gaulle als Ministerpräsident (1945/46) und die französische Diplomatie strebten bis Ende der 1940er Jahre an, mit den Amerikanern Südwürttemberg gegen Nordbaden zu tauschen, und damit über ganz Baden zu verfügen. Während Laffon im Einsatz für Gesamtbaden damit rechnete, dass sich der Heimatbund Dietrichs totlaufen werden würde, verhinderte General Widmer in Tübingen dessen Verbreitung in Württemberg-Hohenzollern. Folglich blieb der Rottweiler Ortsverband dort der einzige. Zum anderen mangelte es den rückblickend argumentierenden Entlastungsentwürfen an zukunftsweisender innerer Ausgestaltung: Dietrich polemisierte nur ein Jahr nach Ende der NS-Propaganda undifferenziert-plakativ: Alles Unglück kommt von den Preußen. Die Visionen enthielten allesamt keine tragfähigen Verfassungskonzeptionen. Schließlich blieb der Heimatbund ein Intellektuellenzirkel ohne Basisverankerung; den Eintritt des BCSV- bzw. CDU-Landtagsabgeordneten Josef Vogt aus Pfullendorf kommentierte Dietrich so: Ich brauche nicht nur Doktoren, sondern auch Herren.

Peter Exner

Veröffentlicht in: Der Landkreis Rottweil. Hg. v. der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Rottweil (Kreisbeschreibungen des Landes Baden-Württemberg). Ostfildern 2004, Bd. 1, S. 82. 

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