Reichserbtruchsessen von Waldburg
Territorialbildung ist in Südwestdeutschland nicht nur hochadligen Familien geglückt, sondern auch einigen Reichsministerialen. Von diesen Ministerialenterritorien hat sich am besten das der Truchsessen von Waldburg in Oberschwaben entwickelt; so erweist sich Oberschwaben als der Raum eines von den Staufern hinterlassenen Machtvakuums, in welchem ganz verschiedenartige Gewalten zur Landesherrschaft aufsteigen konnten. Die Waldburg östlich Ravensburg erscheint ab der Mitte des 12. Jahrhunderts im Besitz eines welfischen, dann staufischen Ministerialengeschlechts. Das vermutlich verwandte Dienstmannengeschlecht von Tanne-Winterstetten trat im frühen 13. Jahrhundert die Nachfolge an und erwarb sich unter Friedrich II. eine führende Stellung als Prokuratoren in Schwaben, Erzieher des Königssohns (Heinrich VII.) und Verwahrer der Reichsinsigien (1221-1240 auf der Waldburg). Die vom Haus Tanne-Winterstetten wieder abgeteilte Linie Waldburg führte ab 1234 den wohl schwäbischen Truchsessentitel, die Winterstetter behielten das Schenkenamt. Schenk Konrad gründete 1240 das Kloster Baindt.
Von den Waldburger Truchsessen spalteten sich im 13. Jahrhundert die Seitenlinien Warthausen bis 1331 und Rohrdorf bis 1432 ab. Diese Seitenlinien hatten noch lange Zeit Besitzanteile an der Waldburg, die aber von 1378 an wieder ganz in der Hand der Hauptlinie war. Deren Machtstellung – wesentlich mitbestimmt durch die Verfügung über den Altdorfer Wald – erweiterte sich durch Heiraten mit verschiedenen Hochadelsfamilien, u. a. Montfort, Teck, Habsburg-Laufenburg. Aufgrund von Vogteirechten über Buchauer Besitz konnten die Waldburger die Stadtwerdung von Saulgau Ende des 13. Jahrhunderts abschließen und bald darauf, vielleicht auf eigenem Grund, Wurzach zur Stadt erheben. Als Lehen von den Grafen von Neuenbürg beherrschten sie schon im 13. Jahrhundert Kloster und Stadt Isny, die 1306 zu Eigentum erworben wurden. Die sonstigen Außenvogteien und die Lehen der Waldburger von den Klöstern, vom Hochadel und vom Reich, im Ganzen noch nicht untersucht, haben bedeutende Bausteine zur Territorialherrschaft beigesteuert. Diese Territorialherrschaft fand bereits unter Johann I. (1291-1339) eine deutliche Ausprägung. Gekauft wurden u.a. Isny und Trauchburg 1306 und die einst montfortische Grafschaft Zeil 1339. Die 1346-1386 abgespaltene Trauchburger Linie stürzte sich in Schulden und erlaubte deswegen der Stadt Isny die Erringung der Selbständigkeit. Dagegen konnte Johann II. (1362-1424), zum Teil dank reicher Mitgiften seiner vier Gemahlinnen, die Hauptlinie weiter stärken. Neben anderem hat er Trauchburg zurückerworben, 1384/86 als österreichisches Pfand die „Donaustädte" Mengen, Riedlingen, Munderkingen, Waldsee und das 1299 an Österreich überlassene Saulgau gewonnen. 1413 kam ebenfalls als österreichisches Pfand die Herrschaft Kallenberg (zerstreut zwischen oberer Donau und kleinem Heuberg) hinzu. Eine neue Erbteilung begründete 1429 drei Linien. Wieder blieb die Stammburg gemeinschaftlich.
Die Landvogtei sollte im Turnus von drei Jahren zwischen den Linien wechseln. Von diesen stieg die Eberhardinische (Munderkingen, Kallenberg, Wolfegg) durch vorübergehenden Erwerb einer vorarlbergischen Grafschaft 1463 zum Rang der Grafen von Sonnenberg auf, zog aus dem dortigen Bergbau große Reichtümer und ließ sich von Österreich die Grafschaft Friedberg und die Stadt Scheer verpfänden. Als sie 1511 erlosch, traten gemäß dem Erbvertrag von 1463, der weibliche Erbfolge ausschloss, die beiden anderen Linien das Erbe an. Schon 1454 hatte ein Privileg Herzog Sigmunds von Tirol allen Truchsessen die österreichischen Pfandschaften für die Dauer des Mannesstammes als unablösig gesichert. Das sollte die Quelle vieler Reibereien werden, zumal die Donaustädte lieber zu Österreich zurückgekehrt wären und die Innsbrucker Verwaltung darauf ausging, die ihr verbliebenen militärischen Rechte immer mehr zur Landesherrschaft auszubauen.
Trotz dieser Auseinandersetzungen blieben die Truchsessen stets in enger Anlehnung an Österreich und vielfach im Dienst der Habsburger. Während der Reformationszeit wurden sie zu einer der wichtigsten Stützen der kaiserlichen Politik. Truchsess Wilhelm I. aus der jakobischen Linie (Trauchburg, Riedlingen, Saulgau) war habsburgischer Statthalter in Württemberg, Truchsess Georg III. aus der georgischen Linie (Waldsee, Mengen, Zeil) hat als Feldherr des Schwäbischen Bundes 1525 die Bauern in ganz Süddeutschland niedergeworfen. Ein Teil der Enkel Wilhelms I., jetzt in Scheer residierend, entschied sich aber für den Anschluss an die Reformation. Truchsess Gebhard heiratete als Erzbischof von Köln 1583 und trat zum reformierten Bekenntnis über, sein Bruder Karl schloss sich ihm an. Doch konnten die übrigen Glieder der Familie die Stammlande für den Katholizismus erhalten. Das Scheitern des Kölner Unternehmens hat aber diesen Zweig der Familie in nicht mehr endende Schulden gestürzt. 1628 wurden die wieder ganz auf kaiserlicher Seite, zum Teil auf wichtigen militärischen Posten stehenden Truchsessen in den Reichsgrafenstand erhoben. Ihre Verschuldung nutzten die fünf Donaustädte 1680 aus, um sich trotz des entgegenstehenden Privilegs selbst auszulösen und wieder unter volle österreichische Herrschaft zu begeben.
Neue Erwerbungen, u. a. 1702/1798 die Herrschaft Kißlegg, brachten eine gewisse Konsolidierung des Territoriums, das bereits um 1500 endgültig von der übergeordneten Gerichtsbarkeit der Landvogtei freigeworden war. Nach dem Erlöschen der jakobischen Linie wurde Friedberg-Scheer aus ihrem Besitz an die Thurn und Taxis verkauft, das übrige Gut fiel dem georgischen Stamm zu. Doch war innerhalb dieses Familienzweiges schon 1595 eine Teilung (Wolfegg und Zeil) eingetreten und beide Linien hatten sich 1672 bzw. 1674 nochmals gespalten (Wolfegg bis 1798, Waldsee-Zeil, Wurzach bis 1903). Der Reichsdeputationshauptschluss brachte den Linien Wolfegg-Waldsee und Zeil-Zeil zwar die Erhebung in den Reichsfürstenstand, doch folgte die Mediatisierung bereits drei Jahre später nach.
(Quelle: Bearbeitete Fassung aus dem Abschnitt Landesgeschichte, in: Das Land Baden-Württemberg. Amtliche Beschreibung nach Kreisen und Gemeinden, hg. von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg, Band I, Stuttgart, 2. Aufl. 1977)