Bitterer Wein: Protest gegen die Behandlung von Ostarbeiterinnen auf dem Blankenhornsberg bei Ihringen

Weinberge auf Terrassen bei Ihringen (1957) aus der Sammlung Willy Pragher. Quelle: Landesarchiv BW StAF W 134 Nr. 44328a
Weinberge auf Terrassen bei Ihringen (1957) aus der Sammlung Willy Pragher. Quelle: Landesarchiv BW, StAF W 134 Nr. 44328a

Die Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus ist gut erforscht. Noch wenig bekannt sind die Menschen, die aktiven Anstand (Fritz Stern) bewiesen, indem sie allen Gefahren und persönlichen Risiken zum Trotz Werte wie Menschlichkeit, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Anteilnahme für Unterdrückte, Bedrängte und Verfolgte vorlebten und praktizierten. Darunter an prominenter Stelle jene Tausende, die verfolgte Juden versteckten, ihnen zu neuen Identitäten oder zur Flucht verhalfen und dadurch Hunderte von ihnen vor dem sicheren Tod in den KZ’s bewahrten.

Neben diesen Lebensrettern gab es eine Reihe von Mitmenschen, die im Alltag diese Werte ebenfalls aktiv lebten. Darunter auch Teile der Dorfgemeinschaft von Ihringen. Seit August 1942 arbeiteten auf dem dortigen Versuchs- und Lehrgut Blankenhornsberg, einem Musterbetrieb der NS-Bauernschaft, neben 24 Russen auch zehn Ukrainerinnen, die als Hilfskräfte im Weinbau eingesetzt wurden. Faktisch rechtlos, obwohl die Arbeiterinnen nach eigenen Angaben auf freiwilliger Basis angeworben worden waren, litten sie unter Schikanen, Beleidigungen und körperlichen Misshandlungen ihrer deutschen Bewacher und Arbeitgeber.

Die Behandlung der fremden Arbeiter/innen auf dem Blankenhornsberg wurde bald Gegenstand der innerdörflichen Gerüchteküche und verhaltene Empörung breitete sich aus. Zum Sprachrohr der Mitfühlenden machte sich der Familienvater Eberhard Schmitt, der unmittelbar vor Weihnachten 1942 mit Hilfe eines Dolmetschers die Beschwerden der ukrainischen Arbeiterinnen aufschrieb und seine Notizen dem Ihringer Bürgermeister mit der Bitte um Beseitigung der Missstände übergab. Dies erforderte Mut und setzte ihn der Gefahr der gesellschaftlichen Ausgrenzung aus. Über seine Beweggründe berichtet er nichts. Trotz aller Nüchternheit seines Reports ist seine mitmenschliche Anteilnahme am Schicksal der Ostarbeiterinnen immer zu spüren.

Was keiner erwarten konnte, traf ein. Der Freiburger Landrat, an den die Beschwerdeschrift gelangte, stellte Strafanzeige gegen den verantwortlichen Weinbergaufseher, der als Urheber der Misshandlungen ausgemacht wurde. Der Gendarmerieposten Breisach nahm Ermittlungen auf, befragte Betroffene und Zeugen. Die Vorwürfe bestätigten sich. Grund genug, den jungen Aufseher in Untersuchungshaft zu nehmen und ein Verfahren wegen Körperverletzung und Verstoßes gegen die Anordnung des Generalbevollmächtigen für den Arbeitseinsatz […] ausländischer Arbeiter und Arbeiterinnen vor dem Amtsgericht einzuleiten. Obwohl die Karlsruher Herren der Landesbauernschaft Baden empört auf die Infamie der Verleumdungen reagierten, wurde der Aufseher zu einem Monat Gefängnis verurteilt.

Von persönlichen Konsequenzen für Eberhard Schmitt wegen seines mutigen Einsatzes für bedrängte Menschen ist nichts bekannt. Doch sein Beispiel, wie tausend andere auch, zeigt, dass es Spielräume für Anständigkeit auch in totalitären Regimes gibt. Es gilt nur, sie zu nutzen.

 Kurt Hochstuhl

Quelle: Archivnachrichten  50 (2015), S.24-25.
 

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