“…wegen eingerissenen grossen Fruchtmangels die Vorrahts-Früchten in Stätt und Aemptern angegriffen werden müssen…“

Herrschaftliche Getreidebevorratung im Herzogtum Württemberg als Daseinsvorsorge

Fruchtkasten von Stadt und Amt Wildberg im ehem. Dominikanerinnenkloster Reutin. Heute befindet sich darin das Heimatmuseum von Wildberg. Aufnahme: Thomas Fritz
Fruchtkasten von Stadt und Amt Wildberg im ehem. Dominikanerinnenkloster Reutin. Heute befindet sich darin das Heimatmuseum von Wildberg. Aufnahme: Thomas Fritz

Als am 24. September 1688 französische Truppen den Rhein bei Straßburg überschritten und damit den Auftakt zum sogenannten Pfälzischen Erbfolgekrieg lieferten, begann für den deutschen Südwesten eine lange und furchtbare Leidenszeit. Schon wenige Tage später fielen französische Verbände plündernd und brandschatzend auch im Herzogtum Württemberg ein. Zwar zogen sie sich Ende 1688 vor den anrückenden Truppen des Reichs vorerst wieder zurück, doch sollte in den Folgejahren Württemberg immer wieder von französischen Truppen heimgesucht werden. Gleichzeitig mussten enorme Belastungen durch Quartierleistungen für die Reichstruppen getragen werden.

Vor diesem Hintergrund traf Herzogadministrator Friedrich Karl zahlreiche Anordnungen, welche die Versorgung der Bevölkerung mit dem lebensnotwendigen Getreide sicherstellen sollten. So erließ er am 24. Januar 1689 in einem Generaldekret an seine Vögte und Oberamtleute den Befehl: Ihr wollet ohne einige Stund oder Zeitverliehrung die nachtrückliche Anstalt verfügen, daß in dem Euch anvertrauten Stadt und Ampt von Hauß zu Hauß eine Visitation vorgenommen, und nicht allein eines jeden Privat eigene vorrähtige Früchten sondern auch die jenige Frucht, welche von andern eingeflehnet [d.i. geflüchtet] worden, aufgezeichnet […] werde. In einem weiteren Generaldekret vom 13. Februar wurde der Preis für die wichtigste Getreidesorte Dinkel auf drei Gulden pro Scheffel festgesetzt und die Ausfuhr von Getreide aus dem Land strengstens untersagt. Es ging der herzoglichen Regierung also darum, durch eine Kombination aus Preisfestsetzungen, Exportverboten und Kontrolle privater Vorräte die Versorgung der Bevölkerung mit dem mit Abstand wichtigsten Grundnahrungsmittel sicherzustellen.

Ein weiterer wichtiger Baustein dieser Politik war die Einrichtung zentraler Lagerplätze für Getreide, den sogenannten Fruchtkästen. Bereits Herzog Eberhard im Bart hatte 1495 den Bau von vier großen Fruchtkästen angeordnet, die im Laufe des 16. Jahrhunderts um weitere Bauten vermehrt wurden. Viele von ihnen sind noch heute erhalten und prägen das Stadtbild wie etwa in Stuttgart, Tübingen, Heidenheim, Rosenfeld oder Kirchheim. Sie wurden im Unterschied zu den Zehntscheuern, welche vorrangig dazu dienten, die grundherrschaftlichen Naturalabgaben der Bevölkerung einzusammeln und zu lagern, dazu genutzt, für durch Krieg oder Missernten verursachte Notzeiten eine Reserve bereitzuhalten und Versorgungsengpässe abzumildern.

Diese Vorratshaltung diente auch der Preisregulierung, stellte sie doch ein Gegengewicht zum frei gehandelten Getreidemarkt dar. So wurden in Zeiten der Teuerung größere Mengen Getreide aus den Fruchtkästen verkauft, um einerseits Kursgewinne zu realisieren, aber auch um die Preissteigerung zu dämpfen. Flankiert wurden diese Maßnahmen durch weitere Marktregulierungen. So erließ Herzog Ulrich 1534 eine Fruchtkaufordnung, die unter anderem den Marktzwang festsetzte, also bestimmte, dass das Getreide auf dem Markt angeboten werden musste und nicht bereits auf dem Halm gehandelt werden durfte. Damit sollte Spekulationsgeschäften die Grundlage entzogen werden. Dem gleichen Zweck dienten auch die immer wieder ausgesprochenen Verbote des Fürkaufs, also des Zwischenhandels mit Getreide, welcher als Ursache für Preistreiberei identifiziert wurde.

Eine weitere Quelle aus den Beständen des Hauptstaatsarchivs Stuttgart zeigt, dass diese Anordnungen vor Ort genau befolgt und rasch umgesetzt wurden. Aus Stadt und Amt Wildberg haben sich zahlreiche Vorratsberichte erhalten, welche in direktem Zusammenhang mit den herrschaftlichen Generaldekreten stehen. So wird am 31. Januar 1689 – bereits eine Woche nach Eingang des Generalreskripts mit der Anweisung, die Vorräte der Privatleute durch Visitationen zu ermitteln – ein Gesamtbestand von rund 2.800 Scheffel verschiedener Getreide- und Gemüsesorten festgestellt. Ein Scheffel (= 177 Liter) entsprach in etwa dem Jahresbedarf eines Erwachsenen. Dazu kamen noch rund 240 Scheffel, welche im Fruchtkasten durch Privatbesitzer eingelagert worden waren.

Die Herrschaft war demnach erstaunlich gut über die Versorgungslage im Land informiert und verfügte über eine große Bandbreite an normativen, administrativen und logistischen Mitteln und Werkzeugen, um bei Engpässen vor Ort wirksam eingreifen zu können. Damit kam die Obrigkeit ihrer nach eigenem Selbstverständnis wichtigsten Aufgabe nach, für das bonum commune zu sorgen, oder wie es im erwähnten Generalreskript ausgedrückt wird: auf alle thunliche Weiß und Wege bedacht zu seyn, wie unsern Vormundschafftlichen Unterthanen zu dero weiterer Subsistenz durch Ergreiffung müglichster Mittel das liebe Brod angeschaffet [werde].

 Thomas Fritz

Quelle: Archivnachrichten 53 (2016), S.12-13.

Suche