Der Prinzenbau Sigmaringen in den Jahren 1944 /45

Als Sigmaringen die französische Hauptstadt war

Der Sigmaringer Prinzenbau im Winter, Fotografie 1914 /18. Vorlage: LABW, StAS Dep. 1 T 47 Nr. 107.
Der Sigmaringer Prinzenbau im Winter, Fotografie 1914 /18. Vorlage: LABW, StAS Dep. 1 T 47 Nr. 107. Zum Vergrößern bitte klicken.

Eiffelturm, Notre-Dame oder der Louvre – wer kennt diese Wahrzeichen der französischen Hauptstadt nicht. Auch dass Paris nicht Sitz der Regierung ist, kann man sich bei dem zentralistischen Staat kaum vorstellen. Doch nicht immer war Paris die Hauptstadt von Frankreich, denn im September 1944 wurde das Städtchen Sigmaringen das neue Zentrum.

Dass die französische Vichy-Regierung unter Marschall Pétain vor den heranrückenden alliierten Truppen nach Sigmaringen verbracht wurde, lässt sich auf mehrere Ursachen zurückführen. Sigmaringen war 1944 eine sehr strukturschwache Region und somit ein unwahrscheinliches Ziel der alliierten Luftangriffe. Zudem lag Sigmaringen weit entfernt von der Front. Es fanden sich außerdem viele repräsentative Gebäude der Fürsten von Hohenzollern in der Stadt und die ländliche Lage vereinfachte eine Überwachung der Regierung durch die deutschen Sicherheitsbehörden.

Während Marschall Pétain und seinen Ministern das Schloss zugewiesen wurde, bezog ein Großteil der französischen Verwaltung ab September 1944 den Prinzenbau, das heutige Staatsarchiv. Nach Otto H. Becker, bis zu seinem Ruhestand Archivar am Staatsarchiv Sigmaringen, der die Geschichte des Gebäudes in der Vichy-Zeit umfassend aufgearbeitet hat, wurde das Generalsekretariat der Miliz, die Zeitungsredaktion von La France und höchstwahrscheinlich auch die Direktion des Radiosenders Ici la France im Prinzenbau untergebracht. La France und Ici la France wurden zu Propagandazwecken eingesetzt. Ziel war es, die sich in Deutschland befindenden französischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, die teilweise über mehrere Jahre keine Nachrichten aus der Heimat hatten, auf die Seite der Vichy- Regierung zu bringen. Der Prinzenbau war außerdem die Anlaufstelle der französischen Flüchtlinge, die als Anhänger Pétains und Kollaborateure mit den Deutschen Vergeltung ihrer Landsleute fürchteten.

Die Franzosen sollen Berichten zufolge in den Räumen des Prinzenbaus Holz zerkleinert und ihren Müll im Hinterhof entsorgt haben. Asche und Glutreste hätten vor den Öfen gelegen, sodass Brandgefahr bestanden habe. Beschwerden wurden von den deutschen Behörden aber wegen der Exterritorialität des Prinzenbaues abgewiesen.

Täglich wurde am Gebäude die französische Fahne gehisst und ein französischer Posten stand davor. Doch nicht der gesamte Prinzenbau wurde von Franzosen genutzt. Weitere Räume waren von einem deutschen Reservelazarett belegt. Außerdem befand sich im Gebäude die Klausur der Schwestern der Christlichen Liebe, die hier ein Mädchenpensionat unterhielten. Auch die Fürstin Adelgunde, die Witwe des 1927 verstorbenen Fürsten Wilhelm von Hohenzollern, hatte hier ihre Wohngemächer.

In der Nacht auf den 21. April 1945 verließ Marschall Pétain als letztes Mitglied der Vichy- Regierung Sigmaringen. Die Sigmaringer Vichy-Zeit war vorbei. Die französische Hauptstadt war nun wieder Paris.

Johannes Weißhaupt

Quelle: Archivnachrichten 61 (2020), S. 54.