Pfarrer Philipp Matthäus Hahn (1739–1790)
Der hochbegabte Mechaniker-Pfarrer zählt zu den wichtigsten Pietisten Württembergs. Als Seelsorger, Theologe, Astronom, Ingenieur und Unternehmer in einer Person hat er im heutigen Landkreis Esslingen vielfältige Spuren hinterlassen: 1739 im Ostfilderner Stadtteil Scharnhausen als Sohn eines Pfarrers geboren, verbrachte er dort den größten Teil seiner Kindheit und Jugend. Nach dem Theologiestudium in Tübingen und seiner Tätigkeit in Onstmettingen und Kornwestheim war Echterdingen Hahns letzte Wirkungsstätte, wo er auch verstorben ist. Durch seine theologischen Veröffentlichungen, mehr aber noch durch sein technisches Schaffen war Hahn weit über die Grenzen Württembergs hinaus bekannt.
Nachdem die Familie 1756 von Scharnhausen nach Onstmettingen auf die Schwäbische Alb gezogen war, übernahm Hahn 1764 – in der Nachfolge seines Vaters – das dortige Pfarramt. Daneben befasste sich der Autodidakt mit der konstruktiven Verbesserung von Sonnen-, Kirchturm-, Taschen- und Pendeluhren. Um 1769 wandte er sich dem Bau von Neigungswaagen zu und wurde hierin von dem kongenialen Schulmeistergehilfen Philipp Gottfried Schaudt (1739–1809) unterstützt. Seine 1769 gebaute, technisch äußerst komplizierte astronomische Großuhr (Weltmaschine) brachte Hahn viele prominente Bewunderer und Förderer. Der wichtigste war der Landesherr, Herzog Carl Eugen von Württemberg, mit dem Hahn persönlich bekannt wurde. Der Herzog erwarb das Meisterwerk und protegierte von nun an dessen Schöpfer.
So kam Hahn 1770 auf die besser besoldete Pfarrei Kornwestheim. In seiner feinmechanischen Werkstatt im Pfarrhaus wurden neben Groß- und Kleinuhren hydrostatische Balkenwaagen und vor allem Rechenmaschinen gefertigt, mit denen Hahn seiner Zeit weit voraus war. Außerdem betrieb der Vielbeschäftigte den Bau einer zweiten großen astronomischen Maschine. Nach dem Tod seiner ersten Frau verheiratete er sich 1776 mit der 18-jährigen Beata Regina Flattich (1757–1824), der Tochter des bekannten Münchinger Pfarrers und Pietisten Johann Friedrich Flattich (1713–1797). In seiner Kornwestheimer Zeit publizierte Hahn mehrere theologische Bücher, darunter Die Hauptsache der Offenbarung Johannis (1772). Den Druck der Bücher, den er unter Umgehung der Zensur außerhalb Württembergs vornehmen ließ, finanzierte er aus den Gewinnen, die die Werkstatt abwarf.
1780/81 berief ihn Herzog Carl Eugen in die Nähe seiner Altersresidenz Hohenheim: auf die äußerst begehrte, weil am besten dotierte Pfarrstelle in Echterdingen. Dort entstanden mit Hilfe seiner Söhne und Gesellen wertvolle astronomische Uhren, Rechenmaschinen, Waagen und – in Serienproduktion – konstruktiv verbesserte Taschenuhren, die über eine Zylinderhemmung verfügten. Sie erregten viel Aufsehen und fanden ein weites Absatzgebiet.
Zwei Weltbilder galt es für die facettenreiche Persönlichkeit miteinander zu vereinbaren: In seinen jüngeren Jahren war Hahn ein Anhänger von Johann Albrecht Bengel gewesen und sah die Wiederkunft Christi unmittelbar bevorstehen. Auf der anderen Seite befasste er sich mit den Texten der Aufklärer und mit Astronomie. Daraus ergab sich eine ganz andere, naturwissenschaftlich begründete Weltsicht. 1769 hatte er beide Auffassungen in die große astronomische Maschine umgesetzt, die zum einen die Bahnen der Planeten aufzeigte und zum anderen die Weltzeit nach Bengelscher Berechnung zählte. Exaktes naturwissenschaftliches Denken und ein fester Glaube auf der Grundlage der Heiligen Schrift waren für ihn kein Gegensatz: Man muss zwar ernstlich glauben, aber alsdann auch verstehen. Sonsten bekommt man keinen Geist.
Bernd Klagholz
Veröffentlicht in: Der Landkreis Esslingen. Hg. v. der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Esslingen (Kreisbeschreibungen des Landes Baden-Württemberg). Ostfildern 2009, Bd. 2, S. 115.