Verfolgungswahn und Paranoia

Krankhafte Angstzustände in Akten der Psychiatrie

 

Porträt der an chronischer Paranoia erkrankten und in der Heilanstalt Emmendingen behandelten Stephanie Egg aus dem Jahr 1899. Vorlage: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 1527. Zum Vergrößern bitte klicken.
Porträt der an chronischer Paranoia erkrankten und in der Heilanstalt Emmendingen behandelten Stephanie Egg aus dem Jahr 1899. Vorlage: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 1527. Zum Vergrößern bitte klicken.

Angst- und Panikstörungen in den unterschiedlichsten Ausprägungen gehören zu den unangenehmsten psychischen Erkrankungen, die nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihr Umfeld stark belasten. Die Angstgefühle stehen bei diesen Erkrankungen in keinerlei angemessenem Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung. Beim Verfolgungswahn beziehen sich diese sogar auf gar nicht existente, imaginäre Gefahren, die mit halluzinatorischen Vorstellungen einhergehen können. Vom individuellen Verfolgungswahn und Angststörungen zu unterscheiden sind sogenannte Verschwörungstheorien, die gerade in diesen Zeiten wieder in erheblichem Maß um sich greifen. Verschwörungstheorien und Verfolgungswahn haben Literaten und Filmemacher schon immer fasziniert. Entsprechend groß ist die Zahl an fiktionalen Werken, die darauf Bezug nehmen.

Die individuellen Angststörungen, insbesondere der Verfolgungswahn als Teil von Neurosen und Psychosen sind in der Psychiatrie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts intensiv erforscht worden. In Deutschland hat sich hier insbesondere der Psychiater Emil Kraepelin verdient gemacht. Entsprechende Krankengeschichten aus dieser Zeit sind auch in den Akten der Psychiatrischen Anstalten überliefert, soweit sie erhalten sind. Die Ermittlung einschlägiger Fälle kann sich selbst bei einer guten Überlieferungslage als schwierig erweisen, sind die Diagnosen doch nicht immer bei der Erschließung erfasst worden.

Im Staatsarchiv Ludwigsburg mit seinem großen Fundus an Krankenakten diverser psychiatrischer Kliniken lassen sich ohne Weiteres derzeit knapp 40 Fälle ermitteln. Sie stammen alle aus der Psychiatrischen Anstalt in Winnenden und reichen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Wer in den Akten detaillierte Ausführungen über die Ausprägungen dieser Angststörungen erwartet, wird allerdings meist enttäuscht. Krankenakten aus der fraglichen Zeit enthalten häufig vorwiegend Unterlagen über die Einweisung der Patienten und die Finanzierung ihrer Aufenthalte in den Kliniken. Ärztliche Zeugnisse sind nicht immer vorhanden und häufig auch recht knapp gehalten.

Trotzdem finden sich Krankengeschichten, die dokumentieren, zu welch exzessivem Verhalten die Erkrankung führen konnte. Besonders spektakulär war der Fall des Dienstknechts Gebhard Glatthaar aus Nonnenbach, der in einem Anfall von Verfolgungswahn am 16. Mai 1862 seinen Dienstherrn erschlagen hatte. Das mit dem Mord befasste Gericht holte ein Gutachten der medizinischen Fakultät in Tübingen ein, das den Angeklagten für unzurechnungsfähig erklärte. Ebenfalls in einem kriminellen Verhalten gipfelte die Erkrankung bei dem 26-jährigen Leinenweber Christian Maier von Siebenhausen, der im Jahr 1873 – angeblich auf Befehl Gottes – versucht hatte, das Haus seines Vaters in Brand zu setzen. Maiers Biografie ist geprägt von den existenziellen Sorgen der einfachen Leute im 19. Jahrhundert, hatte er sich vor seiner Erkrankung doch sechs Jahre in Nordamerika aufgehalten. Problematisch waren auch Fälle, bei denen die Erkrankten Berufe im pädagogischen oder kaufmännischen Bereich ausübten. Die Krankenakte des Lehrers Wilhelm Speidel aus Cannstatt, der in den 1860er und 1870er Jahren in Winnenden behandelt wurde, lässt wie viele andere erahnen, wie schwierig der Umgang mit solchen Patienten im beruflichen Alltag war und wie wenig sich die Probleme im Miteinander von Kranken und Gesunden über die Zeiten verändert haben.

Peter Müller

Quelle: Archivnachrichten 63 (2021), Seite 28-29.

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