Vaterland, mittelgrau-meliert

Wollsocken für Kriegerfüße

Strickanleitung für Feldsocken. Vorlage LABW
Strickanleitung für Feldsocken. Vorlage LABW StAL E 191 Bü 4519

Eine Strickanleitung zwischen Aktendeckeln? In den Unterlagen der württembergischen Zentralleitung für Wohltätigkeit findet sich die genaue Anweisung zur Anfertigung von Militärsocken nebst Vorlage in Originalgröße – wie aus dem Handarbeitsheft. Wer sich mit der Heimatfront im Ersten Weltkrieg beschäftigt, kommt am Sockenstricken nicht vorbei. In autobiographischen Berichten und Zeitungsartikeln wird es häufig erwähnt, auf zahlreichen Fotos ist es abgebildet: Mädchen und Frauen, die unermüdlich Wollsocken für die ausgerückten Krieger stricken. Handgestrickte Socken gehörten offensichtlich zu jedem Liebesgabenpaket, das ins Feld geschickt wurde. Dass die Sockenproduktion mit dem Kriegsausbruch geradezu dramatisch anstieg, hatte aber nicht nur mit der Marschleistung der Soldaten zu tun. Das Sockenstricken war die klassische weibliche Beschäftigung schlechthin und wurde zumindest in den ersten beiden Kriegsjahren gezielt eingesetzt. Wer sich als weibliches Wesen in der aufgeregten Stimmung der ersten Kriegswochen fürs Vaterland nützlich machen wollte, wurde aufs Strickzeug verwiesen. Eine besondere Bedeutung bekam das Sockenstricken darüber hinaus für Frauen, die infolge der Einberufung ihrer Männer nach einer Heimarbeit suchten, mit der sie etwas verdienen konnten, ohne dass sie dafür ihre familiären Pflichten vernachlässigen mussten. In vielen Städten entstanden Arbeitsbeschaffungsstellen für Kriegerfrauen; eine der größten wurde in Heilbronn von Elly Heuss-Knapp organisiert. Diese Heimarbeitsstellen besorgten sich Heeresaufträge und erhielten damit das Bezugsrecht für die notwendige und bald kontingentierte Strickwolle. So lieferte die Firma Schachenmayr in Göppingen im November 1915 mehr als 8000 kg Strickwolle Marke Vaterland 1915 an die Zentralleitung für Wohltätigkeit.

Die für die Arbeitsbeschaffungsstellen tätigen Strickerinnen kamen selbst bei fleißigster Arbeit nur auf ein Taschengeld, das nicht mit dem Lohn etwa einer Fabrikarbeiterin vergleichbar war. Aber im Wesentlichen ging es bei dieser Einrichtung ja darum, Frauen vor der Fabrikarbeit zu bewahren. Diese Intention war so konservativ wie das Sockenstricken an sich. Denn bereits lange vor 1914 konnten Strümpfe industriell an Rundstrickmaschinen hergestellt werden. Aber zum Rollenbild der tapferen Vaterlandsverteidiger gehörte als Gegenstück die sockenstrickende Weiblichkeit zuhause. Über die Kriegszeit hinweg erwies sich das propagierte Frauenbild jedoch als wenig beständig. 1916 war Strickwolle so knapp, dass die Arbeitsbeschaffungsstellen auf Näh- und Flickarbeiten umstellten. Bei Schachenmayr wurde eine Abteilung für Munitionsfertigung eingerichtet, in der die Frauen elfstündige Schichten ableisteten. Nach dem Krieg musste die Schulverwaltung schließlich feststellen, dass zahlreiche Mädchen gar nicht mehr stricken konnten, da es kein Material für den Handarbeitsunterricht gegeben hatte.

Elke Koch

Archivnachrichten 48 (2014), S. 12-13

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