Reformation und Göttliches Recht
von Amelie Bieg
1525 führten die Bauern das Göttliche Recht als Legitimation für ihren Aufstand gegen die Obrigkeit an. Mit dieser Argumentation stützten sie sich maßgeblich auf die Reformationstheologie. Grundlage hierfür war Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, in welcher er den Menschen auf der einen Seite als „eyn freyer herr ueber alle ding und niemandt unterthan“ und auf der anderen Seite als „eyn dienstpar knecht aller ding und yderman unterthan“[1] beschrieben hatte. Diese neu entdeckte Freiheit war nach Luthers Verständnis jedoch eine rein theologische. Gleichzeitig schwang in Luthers weiteren Schriften, so beispielsweise in „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“, welche das Motiv der Freiheit schon im Titel implizierte, oder auch in „An den Adel deutscher Nation“ stets „unvermeidlich auch eine politische Konnotation mit.“[2]
Die Bauern nahmen das Göttliche Recht auch für den innerweltlichen Bereich in Anspruch und übertrugen es auf ihre eigene Lebenswelt. Dabei dachten sie es weiter: Aus dem Göttlichen Recht und dem Evangelium wurde in den Programmschriften ein politisches System abgeleitet, das das feudale Herrschaftssystem durch ein „republikanisches Modell“[3] ersetzte und auf dem Prinzip der Gemeinde basierte. Diese sollte über die richtige Lehre entscheiden und den Pfarrer selbst wählen können. Grundlage hierfür war die Vorstellung vom mündigen Christen und der göttlichen Gerechtigkeit.
Mit dieser Argumentation lösten sich die Bauern vom bisher – beispielsweise beim Armen Konrad 1514 – angeführten Alten Recht oder vom göttlichen natürlichen Recht als Argumentationsgrundlage. Gleichzeitig beinhaltete das Göttliche Recht zahlreiche naturrechtliche Elemente, die auf den Annahmen basierten, Gott sei die Quelle jeglichen Rechts und die Natur sei in ihrem Ursprung frei geschaffen worden. Erst der Bezug auf das Göttliche Recht, welches nicht wie das Alte Recht räumlich auf ein jeweiliges Territorium beschränkt war, verband die von unterschiedlichen Interessen geleiteten Aufständischen. Für seine Umsetzung konnten sich Bauern, Bürger und Knappen gleichermaßen engagieren.
Anmerkungen
[1] Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, S. 21, Z. 1-4.
[2] Leppin, Der ambivalente Begriff der Freiheit, S. 69.
[3] Blickle, Die Revolution von 1525, S. 237.
Quellen
- Luther, Martin, An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung 1520, in: D. Martin Luthers Werke, kritische Gesamtausgabe Bd. 6, Weimar 1888, S. 381-469.
- Luther, Martin, An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung 1520, URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11401163?page=,1 (aufgerufen am: 09.03.2023).
- Luther, Martin, De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium 1520, in: D. Martin Luthers Werke, kritische Gesamtausgabe Bd. 6, Weimar 1888, S. 484-573.
- Luther, Martin, De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium 1520, URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00013178?page=,1 (aufgerufen am: 09.03.2023).
- Luther, Martin, Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520, in: D. Martin Luthers Werke, kritische Gesamtausgabe Bd. 7, Weimar 1897, S. 12-38.
- Luther, Martin, Von der Freiheit eines Christenmenschen, URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00086665?page=6,7; https://www.luther2017.de/martin-luther/texte-quellen/lutherschrift-von-der-freiheit-eines-christenmenschen/index.html (aufgerufen am: 09.03.2023).
Literatur
- Becker, Winfried, „Göttliches Wort“, „Göttliches Recht“, „göttliche Gerechtigkeit“. Die Politisierung theologischer Begriffe, in: Revolte und Revolution in Europa. Referate und Protokolle des internationalen Symposiums zur Erinnerung an den Bauernkrieg 1525 (Memmingen, 24.–27. März 1975), hg. von Peter Blickle, München 1975, S. 232-263.
- Bierbrauer, Peter, Das Göttliche Recht und die naturrechtliche Tradition, in: Bauer, Reich und Reformation. Festschrift für Günter Franz zum 80. Geburtstag, hg. von Peter Blickle, Stuttgart 1982, S. 210-234.
- Blickle, Peter, Die Reformation im Reich, Stuttgart 2015.
- Blickle, Peter, Die Revolution von 1525, München 1993.
- Brand, Jürgen, Bibel und altes Recht im Bauernkrieg, Leipzig 1996.
- Leppin, Volker, Der ambivalente Begriff der Freiheit: Luther im Kontext des Bauernkrieges, in: Freiheit – Wahrheit – Evangelium. Reformation in Württemberg. Beitragsband zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart 13. September 2017 bis 19. Januar 2018, bearb. von Peter Rückert, Ostfildern 2017, S. 67-72.
- Wunder, Heide, „Altes Recht“ und „göttliches Recht“ im Deutschen Bauernkrieg, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 24 (1976), S. 54-66.
Zitierhinweis: Amelie Bieg, Reformation und Göttliches Recht, in: Bauernkrieg, URL: […], Stand: 07.06.2024.

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