Die Finanzierung der Kinderkur

von Gudrun Silberzahn-Jandt

Finanzierung einer Kur an der Nordsee für ein Stuttgarter Kind (Namen müsste geschwärzt werden). [Quelle: Diakonisches Werk Württemberg, Sig. 13.2.1.4]
Finanzierung einer Kur an der Nordsee für ein Stuttgarter Kind [Quelle: Diakonisches Werk Württemberg, Sig. 13.2.1.4]. Zum Vergrößern bitte klicken.

Kinderkuren, ob als Erholungs- oder Genesungskur, wurden von unterschiedlichen Kostenträgern wie den Kranken- oder Rentenkassen, Sozial- oder Jugendämtern bezuschusst. Das heißt aber, dass immer noch ein Teil der Kosten von den Eltern zu tragen war. Für Bedürftige griffen die Entsendestellen, kirchliche wie freie Träger, auf Eigenmittel und Spenden zurück, um die finanzielle Last der Familien zu mindern.

Die Grundlage für eine Finanzierung von Kinderkuren wurde bereits 1911 mit dem § 187 der Reichsversicherungsordnung gelegt. In diesem Gesetz wurde die „Fürsorge für Genesende“ durch die Krankenkassen geregelt. Ab 1914 boten Kassen im Rahmen von freiwilligen Leistungen „Heilkuren für erkrankte Kinder“ an. Nach Ende des Ersten Weltkriegs konnten Kassen im Rahmen der ebenfalls gesetzlich geregelten „allgemeinen Krankheitsverhütung“ Gelder für Erholungskuren bereitstellen. In den Quellen wird deutlich, dass es sich stets um eine Mischfinanzierung handelte, die in den Bundesländern verschieden geregelt war und sich auch, abhängig von Förderplänen, änderte. Neben den Krankenkassen konnten sich die Rentenversicherungsanstalten, die Sozial- oder Jugendämter oder die örtlichen Kirchengemeinden an den Kosten beteiligen. Gelegentlich wurden auch Gelder aus Stiftungen generiert.[1]

Forschungsarbeiten zu den Kostenstrukturen für die Verschickungspraxis von den Nachkriegsjahren bis Ende der 70er-Jahre liegen nicht vor. Bisher finden sich lediglich einzelne Hinweise in den noch wenigen Studien, die jedoch kein Gesamtbild ergeben. Für Bayern wird beispielsweise festgestellt, dass in der Zeit von 1960 bis 1965 Eltern im Schnitt ungefähr 17 Prozent Beteiligung leisten mussten.[2] Solche Durchschnittswerte sagen jedoch wenig über die Belastung der jeweiligen Haushalte aus.

Die Komplexität der Kostenübernahme und die Unterschiedlichkeit zeigt sich erst beim Betrachten einzelner Rechnungsstellungen. Dies sollen Beispiele aus den 50er- und 70er-Jahren verdeutlichen.

1950 betrugen die Kosten einer 26-tägigen Erholungskur in dem der Ortscaritas gehörenden Heim in Ennabeuren, heute Teilort von Heroldstatt im Alb-Donau-Kreis, pro Kind 65 DM. Davon übernahm die Landesversicherungsanstalt 39 DM. Der Elternanteil hing von der Bedürftigkeit der Familien ab und konnte sich durch Unterstützung der Caritas und der Heimatkirchengemeinde reduzieren. Er lag für diese Maßnahme zwischen 0 und 20 DM.[3] Zum Vergleich: Das monatliche Bruttoeinkommen eines vollzeitbeschäftigten Mannes betrug 1950 bei 264 DM[4]. Wiederholt hatten Familien gerade in den 50er-Jahren Schwierigkeiten, von der Krankenkasse Förderung zu erhalten. Gründe konnten sein, dass die Versicherungsdauer noch zu kurz war, die Mittel der Kassen schon vergeben waren[5] oder die Krankenkasse – meist handelte es ich um Betriebskrankenkassen – diese freiwilligen Leistungen schlichtweg nicht anboten. Die Rentenkassen machten meist ihre als Fixbetrag angelegten Zuschüsse davon abhängig, ob die Krankenkasse eine Zusage geleistet hatte.

Aus der zweiten Hälfte der 70er-Jahre liegen Zuschussanträge von diakonischen Entsendestellen in Württemberg in unterschiedliche Verschickungsheime vor. Diese zeigen die hohen Kosten der Kuren wie auch die erheblichen Mittel, die die Familien leisten mussten. Die Entsendestellen stellten, nachdem die Familien alle notwendigen Unterlagen für die Anträge abgegeben hatten, die Kalkulation auf und warben zusätzliche Fördermittel ein. Manche Familie erhob Einspruch, wenn ihnen ihr Anteil zu hoch erschien. Ilona R. sollte 1978 in das in der Trägerschaft der Diakonie Württemberg geführte Haus Hubertus in Scheidegg verschickt werden und es lag bereits das ärztliche Attest vor, als die Eltern die hohen Kosten beklagten. Die Mitarbeiterin der Entsendestelle in Tuttlingen bemühte sich beim Diakonischen Werk der evangelischen Kirche in Württemberg um weitere Gelder und argumentierte: „Die Eltern können allenfalls DM 400,-- selbst tragen. Der für sie errechnete Eigenbetrag beläuft sich nach Abzug der Kostenübernahme durch die Krankenkasse auf ca. DM 750,--. Falls das Diskonische Werk keinen Zuschuß gewährt, wollen die Eltern die Kur rückgängig machen.“[6] Für eine Familie aus Tuttlingen, die ebenfalls 1978 drei von sechs Kindern ins Haus Hubertus zur Kur schickte, beliefen sich die Kosten mit Kurtaxe, Arztpauschale und Gymnastik auf 4005 DM. Davon übernahm die Landesversicherungsanstalt Baden 2 DM täglich pro Kind, die BKK-Aesculap 10 DM pro Tag und Kind, aus Geldern der Glückspirale und der Eduard-Pfeiffer Stiftung kamen noch 1256 DM hinzu. Die Eltern hatten somit noch 1381 DM zu zahlen. Noch ein halbes Jahr später hatten sie diese Kosten nicht begleichen können und baten um weiteren Zuschuss. Hier wurde ihr geringes Einkommen sowie die Schulden für ihr Haus erwähnt.

Die Kosten für die Familien konnten, abhängig von den zusätzlich eingesetzten Stiftungsgeldern, sehr variieren und beträchtlich sein. 1979 musste eine geschiedene Mutter für ihr Kind 1.496,95 DM bezahlen und verdiente auf ihrer Halbtagsstelle als Angestellte gerade 900 DM. Sie hatte vorab keine zusätzlichen Zuschüsse beantragt, sollte aber, nachdem die Bezirksstelle über Umwege von ihrer schwierigen finanziellen Situation erfuhr, noch zwischen 100 und 150 DM erhalten.[7]

Von den hohen Kosten auf große Gewinne der Träger zu schließen, wäre jedoch falsch. Die Bilanzen der Heime waren bis Ende der 60er-Jahre meist ausgeglichen.[8] Überschüsse investierten sie meist in Renovierungs- oder Umbaumaßnahmen. Eine allgemein bessere soziale und wirtschaftliche Situation in den Familien, der Rückgang von Tuberkulose, sowie Sparmaßnahmen der Krankenkassen führten ab den 70er-Jahren zu einem drastischen Rückgang der Erholungskuren.[9] Zudem musste mehr Personal eingesetzt werden, wodurch die Kosten stiegen und viele Heime defizitär wurden und auch schlossen.

Verschickungskuren, so zeigt sich, ermöglichten Familien, ihre Kinder für vier bis sechs Wochen in fremde Hände zu geben, aber sie waren nur mit vielen Zuschüssen kostengünstig.

Anmerkungen

[1]Diakonisches Werk Württemberg (DWW), Altregistratur, Signatur 13.2.14.

[2]Marius Wilnat, Kurerfolg um jeden Preis. Kindererholungsverschickung in Bayern 1945 bis 1990. Eine Ausstellung des Fachbereichs Archiv- und Bibliothekswesen der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern. München 2023, S. 9.

[3]Unverzeichneter Bestand der Caritasregion Heilbronn-Hohenlohe

[4]Durchschnittliche Bruttomonatsverdienste, Angaben vom Statistischen Bundesamt (destatis.de), https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Branche-Berufe/Tabellen/liste-bruttomonatsverdienste.html#134756 (aufgerufen am 18.2.2024). Die Angaben dort sind in Euro; wieder in DM berechnet nach dem fixen Wechselkurs vom 1.1.1999; 1 EUR = 1,95583 DM.

[5] Landeskirchliches Archiv Stuttgart (LKAS), Bestand L1 1445

[6] DWW Altregistratur, 13.2.14.

[7] DWW Altregistratur, 13.2.14.

[8] Einige Bilanzen wurden intensiver gesichtet, z.B. zum Haus Carola in Schönau, das in der Trägerschaft der Karlshöhe Ludwigsburg war. LKAS, Bestand LKA L2-2 586, 593,608

[9] Monika Seemann-Pfistner, Möglichkeiten und Grenzen der Kinderkur aus der Sicht eines freien Wohlfahrtsverbandes, in: Theodor Hellbrügge (Hrsg.), Kinderkuren und Kinderheilverfahren. Tagung Kinderkur und Kinderheilverfahren auf dem Prüfstand 1.9.1985. (Fortschritte der Sozialpädiatrie, Bd. 12) Lübeck 1988, 89–93.

Zitierhinweis: Gudrun Silberzahn-Jandt, Die Finanzierung der Kinderkur, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.02.2024.

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