Hardheim

Die Synagoge in Hardheim, vor 1938. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung zerstört. 1939 verkaufte die jüdische Gemeinde das Gebäude, das in ein Wohnhaus umgewandelt wurde. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 695]
Die Synagoge in Hardheim, vor 1938. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung zerstört. 1939 verkaufte die jüdische Gemeinde das Gebäude, das in ein Wohnhaus umgewandelt wurde. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 695]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Nach dem Aussterben des Hardheimer Ortsadels 1607 entstand unter den Lehensherren, den Bischöfen von Mainz und Würzburg, ein Streit um den alten Marktflecken Hardheim, der 1630 vom Reichskammergericht dahin entschieden wurde, dass Mainz den Ort an Würzburg abtreten musste. 1803 fiel Hardheim an das neu gebildete Fürstentum Leiningen, 1806 an Baden.

Eine Judengemeinde bestand in Hardheim wahrscheinlich schon im Mittelalter. Zur Zeit des Doppelkönigtums 1314-1325 erhielten Werner I. und Reinhard II. von Hardheim, die als Vasallen des Erzbischofs von Mainz auf der Seite Ludwigs des Bayern standen, von diesem die Hardheimer Juden als Pfand für den ausstehenden Sold von 200 Pfund Hellern. Im Judenpogrom von 1349 fand diese Gemeinde bald darauf ein gewaltsames Ende. Ob nach der Verfolgung überlebende wieder nach Hardheim zurückkehrten, ist nicht bekannt. Die Fürstbischöfe von Würzburg, die Hardheim 1656 erwarben, waren den Juden nicht günstig gesinnt. So hören wir erst wieder 1772 von einem Juden in Hardheim mit Namen Hafthard. Er ließ sich 19jährig auf den Namen Paul Friedrich taufen und wanderte nach Holland aus. Der katholischen Kirche in Hardheim vermachte er 600 Gulden. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahm die Zahl der Juden zu. Im 19. und 20. Jahrhundert war in Hardheim das Verhältnis zwischen Juden und Katholiken recht freundlich. Pfarrer Stefan hat in der „Rose" mit manchem Schoppen seinen jüdischen Freunden zugeprostet. Als einmal der Freiburger Erzbischof nach Hardheim kam, ritten an der Spitze der Prozession, die den kirchlichen Würdenträger einholte, als Vorreiter die beiden jungen jüdischen Kavalleristen Max Eschelbacher und der im Krieg von 1870/71 gefallene Abraham Selig. Die Häuser der Juden waren gleich denen der Christen zu Ehren des Erzbischofs geschmückt.

Eine richtige Synagoge besaß die israelitische Gemeinde Hardheim nicht. Bei der Judenschule an der Inselgasse handelte es sich mehr um einen Betsaal. Die Toten begrub man auf dem Verbandsfriedhof in Külsheim. Als dieser 1875 für die auswärtigen Benützer geschlossen wurde, erwarben die Hardheimer Juden im folgenden Jahr einen eigenen Begräbnisplatz an einem Steilhang etwa 300 Meter außerhalb der Stadt in Richtung Tauberbischofsheim. 1868 wurde ein Israelitischer Frauenverein zur Pflege der Wohlfahrt unter den Glaubensgenossen gegründet. Seit 1827 gehörte Hardheim zum Rabbinatsbezirk Wertheim. Die Gemeinde zählte 1825 76, 1875 142, 1900 136, 1925 65 und 1933 55 Mitglieder.

In früherer Zeit waren die Juden von Hardheim arme Kram- und Viehhändler, die selbst nur Ziegen und Federvieh halten konnten, da sie an der Weide keinen Anteil hatten. In neuerer Zeit dagegen gewannen die Eisen- und Maschinenhandlung Abraham Selig, die Gerberei Billigheimer und die Seifensiederei des Getreidehändlers Julius Sinsheimer größere wirtschaftliche Bedeutung. Außerdem hatten jüdische Bürger noch ein Kolonialwarengeschäft, zwei Textilgeschäfte und ein Schuhgeschäft inne. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es zwei jüdische Gastwirtschaften, die auch von den christlichen Einwohnern aufgesucht wurden. Vor 1933 betätigten sich Juden im Bürgerausschuss, in der Vorstandschaft der Volksbank und im Turnverein.

Im Ersten Weltkrieg fiel Anselm Wertheimer, Sohn des Lehrers Emanuel Wertheimer. Vier weitere Söhne Emanuel Wertheimers, die ebenfalls im Felde standen, kehrten wieder heim. Der Einsatz für das Vaterland wurde ihnen schlecht gelohnt. 25 Jahre später starben drei von ihnen - Issi, Julius und Dr. Felix Wertheimer - mit ihren Familien in den Vernichtungslagern im Osten. Nur Willi Wertheimer konnte sich in letzter Stunde mit Frau und Kind über Holland nach den USA retten. Dort leben heute fast ausnahmslos die überlebenden Juden aus Hardheim, die ab 1935 die Heimat verließen.

In der Kristallnacht im November 1938 wurde im jüdischen Bethaus der Kronleuchter herabgerissen, die Gebetbücher beschmutzt und zerrissen. Zu größeren Zerstörungen kam es nicht. Nach der Deportation der letzten Juden wurde das Bethaus einer kinderreichen Familie als Wohnhaus übergeben. 17 jüdische Bürger wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Von ihnen starben 6 bis 1942 an den Folgen von Hunger, Kälte und Schmutz, die im Lager herrschten. 5 konnten aus Gurs befreit werden, 2 - Rita Billigheimer und Selma Urspringer - kamen in Auschwitz um und wahrscheinlich auch die 4 Deportierten, deren Schicksal ungeklärt ist. Die siebenjährige Edith Billigheimer kam 1939 in ein Waisenhaus nach Frankfurt am Main. 1942 wurde sie von dort aus nach Theresienstadt verschleppt, und niemand weiß, wo dieses junge Leben ausgelöscht wurde. Ihr Bruder Manfred konnte noch im April 1939 mit einem Kindertransport nach Palästina abreisen. In Lublin-Maidanek wurde 1942 Fritz Springer ermordet.

Heute leben keine Juden mehr in Hardheim. Einziger Zeuge der jüdischen Gemeinde ist der Friedhof.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Rapp, Julius, Hardheim. Bausteine zu einer Geschichte, Heft 1-3, 1930-1937.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Hardheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Germania Judaica, Bd. 2, 1. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 341.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Jüdisches Leben in Hardheim. Begleittext zur Ausstellung vom 13. April -8. Juni 1997 (54 S.; Download über die obige Adresse des Erfatal-Museums).
  • Landauer, Rudolf/Lochmann, Reinhart, Spuren jüdischen Lebens im Neckar-Odenwald-Kreis, hg. von Landratsamt NOK, Buchen 2008.
  • Trunk, Rainer, Aus der Geschichte der Hardheimer Juden, in: Hardheim - Perle des Erfatales. Hg. von der Gemeinde Hardheim, um 1990.
  • Weiss, Elmar, Der Gerechte lebt durch seine Treue (Veröffentlichungen des Vereins zur Erforschung jüdischer Geschichte im tauberfränkischen Raum), Bd. 3, 1996.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 303-305.
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