Ilvesheim
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
In dem bis 1803 kurpfälzischen, seitdem badischen Dorf Ilvesheim treffen wir bereits im 18. Jahrhundert verhältnismäßig viele Juden an. 1709 kaufte Simon, Schutzjude der Freiherren von Hundheim, dort ein Haus. Eine Polizeiordnung von 1758 verbot Juden und Christen bei 20 Gulden Strafe, ohne Hinzuziehung des amtlichen Fleischbeschauers ein Tier zu schlachten oder unbesehenes Fleisch zum Verkauf in den Ort zu bringen. Offenbar waren die Juden hauptsächlich mit dem Vieh- und Fleischhandel beschäftigt. In den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts lebten neun jüdische Familien in Ilvesheim.
Bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Juden ständig zu. Dann aber setzte durch Wegzug in die nahen Städte und durch Auswanderung nach Amerika eine rückläufige Bewegung ein. 1825 zählte Ilvesheim 150 (14,5 Prozent von 1.034 Einwohnern), 1875 107, 1900 53, 1925 23 und 1933 28 Juden.
Im 19. Jahrhundert hatten die Juden als Handelsleute, Makler und Trödler wirtschaftliche Bedeutung. Die Tüchtigen unter ihnen suchten in den Städten ein besseres Fortkommen. Der Bankier Heinrich Kaufmann in Mannheim sowie der Berliner Verlagsdirektor Siegfried Wolf stammten aus Ilvesheim. Max Kaufmann wanderte um 1925 nach Amerika aus und brachte es in New York zum Bankdirektor. Der praktische Arzt Dr. Sigmund Friedlein verließ am 23. Januar 1933 Ilvesheim, um eine Stelle an einem Mannheimer Krankenhaus zu übernehmen.
Zu Beginn des Dritten Reiches gab es in Ilvesheim an nennenswerten jüdischen Unternehmen ein Textil- und Möbelgeschäft und ein Landesproduktengeschäft. Herbert Hammel, selbst blind, war 1905-1935 Arbeitslehrer an der Blindenschule Ilvesheim. 1935 wanderte er mit seiner Familie von Mannheim nach Palästina aus, wo er sich als Stuhlflechter durchbrachte.
Das Zusammenleben von Juden und Christen war vor 1933 gut. Die Juden hielten ihre Gottesdienste in ihrer Synagoge an der Hauptstraße und begruben die Toten auf einem eigenen Friedhof am Neckar. Der zuständige Bezirksrabbiner hatte seit 1827 seinen Sitz in Ladenburg. Von ungefähr 1835 bis 1876 gab es eine jüdische Volksschule.
Nach der Machtübernahme Hitlers hielten sich die christlichen Bürger, durch die Propaganda allmählich eingeschüchtert, von den Juden fern. Diese waren durch den zunehmenden wirtschaftlichen Boykott ab 1936 gezwungen, ihre Geschäfte zu liquidieren und auszuwandern. 9 wanderten nach den USA aus, andere zogen zunächst nach Mannheim, um dort die weitere Entwicklung abzuwarten. In Ilvesheim starben nach 1933 noch 4 Juden. Am 10. November 1938 wurde von SA-Leuten die Synagoge zerstört. Auf dem jüdischen Friedhof wurden zahlreiche Gräber verwüstet und Grabsteine umgeworfen. 6 Männer wurden in das KZ Dachau eingeliefert. Am 22. Oktober 1940 wurden 7 Juden aus Ilvesheim nach Gurs deportiert. Von ihnen kam Thekla Kahn wieder frei. Unter den menschenunwürdigen Verhältnissen starben Adolf Kuhn und Fanny Löb im Lager Gurs, Julius Kahn im Lager Noe. Die übrigen 3 Deportierten sind wahrscheinlich später in Auschwitz ermordet worden. Leo Knöpflmacher, der von Mannheim aus nach Gurs deportiert worden war, starb 1942 in Perpignan an den Folgen des Lagerlebens. Heinrich Hochstädter, der in sogenannter Mischehe lebte, war bis 1942 bei der jüdischen Gemeinde Mannheim beschäftigt. Am 14. Februar 1945 wurde er nach Theresienstadt deportiert. Er überlebte und kehrte im Sommer 1945 nach Mannheim zurück. Später wanderte er nach den USA aus.
Die ehemalige Synagoge wurde zu einem Wohnhaus umgebaut. Nur noch der jüdische Friedhof erinnert an die vertriebene und vernichtete Judengemeinde.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Kollnig, Karl, Ilvesheim in Vergangenheit und Gegenwart, 1931.
Ergänzung 2023:
Die ehemalige Synagoge steht seit 2019 unter Denkmalschutz.
Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Ilvesheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
- Huth, Hans, Die Kunstdenkmäler des Landkreises Mannheim, in: Die Kunstdenkmäler Badens X,3 (1967), S. 125.
- Metz, Andreas/Schlusche, Torsten, Ilvesheim im Nationalsozialismus, 1995.
- Probst, Hansjörg, Ilvesheim im Wandel der Zeit. Ein historisches Bilderbuch, Ilvesheim 1983, S. 19-21 und S. 74-75.
- Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 240-242.