Archshofen
Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.
Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.
In den Besitz von Archshofen teilten sich seit 1378 der Deutsche Orden und die Burggrafen von Nürnberg, die späteren Markgrafen von Brandenburg-Ansbach. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gelangte der größte Teil des Ortes an die Herren von Lochingen und 1687 an die Herren von Winzingerode, deren Besitznachfolger im 18. Jahrhundert die Familie von Oetinger war. Den anderen Teil erwarb 1463 die Reichsstadt Rothenburg. Während Rothenburg die hohe Obrigkeit über seine Untertanen in Archshofen zustand, besaß diese Brandenburg-Ansbach (seit 1791 Preußen) für die Untertanen der Adelsherrschaft. 1807 wurde ganz Archshofen bayerisch und 1810 württembergisch.
Ende des 17. Jahrhunderts gewährte der Obrist von Winzingerode den ersten Juden gegen ein jährliches Schutzgeld von 15 Gulden die Niederlassung in Archshofen. Er wie seine Nachkommen, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts weiteren Juden den Zuzug in den ritterschaftlichen Teil des Ortes ermöglichten, versprachen sich von der Aufnahme der Schutzjuden vor allem finanzielle Vorteile. Dieser Gesichtspunkt war auch für die Familie von Oetinger maßgebend, in deren Hände das Rittergut 1761 überging. 1777 entrichteten die 13 hier ansässigen jüdischen Familien 219 Gulden 24 Kronen. Nach den Untersuchungen von Erich Bauer waren die Abgaben eines Schutzjuden im Durchschnitt viermal höher als die eines christlichen Untertanen. Die Juden, die es gegen den Widerstand der christlichen Einwohner zu Hausbesitz brachten, erhielten Anteil am Gemeindenutzen (Weide- und Wasserrechte, Holz aus dem Gemeindewald). Sie hatten aber auch zu den Kosten für Einquartierungen, für Unterhaltung der Wege und der Brunnen beizutragen, Ersatz für Fronen und Wachen zu leisten.
Der Haupterwerb der Archshofer Juden war der Viehhandel im ansbachischen und trotz starker Beschränkungen im rothenburgischen Territorium.
Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wurden die Archshofer Juden in die ansbachische Landjudenschaft eingegliedert. Sie hatten sich künftig an den Abgaben, die der Landjudenschaft auferlegt waren, zu beteiligen und einen eigenen Parnas (Ortsvorsteher) zu wählen, der ihre Belange vertrat. Die Zahl der Schutzjudenfamilien wurde rigoros auf 15 beschränkt. Die jungen Juden durften erst heiraten und in den Schutz nachrücken, wenn alte Schutzjuden verstorben waren.
Mit dem Übergang an Preußen Ende des 18. Jahrhunderts eröffneten sich den Juden größere Berufsmöglichkeiten: Sie konnten jetzt Hausierhandel betreiben, sich an Darlehensgeschäften, an Haus- und Grundstücksverkäufen beteiligen. Diese veränderte Situation nützte der kapitalkräftige jüdische Hofagent Marx Pfeiffer in Weikersheim und erwarb im Jahr 1800 von der verschuldeten Familie von Oetinger das Rittergut Archshofen mit allen Gefällen. Der Kauf eines adligen Guts durch einen Juden war nur unter der bis 1806 währenden preußischen Herrschaft möglich, dagegen nicht mehr unter der bayerischen und württembergischen. Pfeiffer zerschlug das Rittergut und veräußerte die einzelnen Besitzteile an verschiedene Käufer. In der Zeit, während der er das Gut innehatte, übte er nicht nur die Schutzherrschaft über seine in Archshofen aufgenommenen Glaubensgenossen aus, sondern besaß auch das Patronatsrecht an der evangelischen Dorfkirche. Wegen des Patronatsrechts, insbesondere der Kirchenbaulast, wurde er in langwierige Streitigkeiten verwickelt, die erst 1844 mit einem Vergleich zwischen der Gemeinde und seinen Erben endeten.
Die drei Jahre der bayerischen Herrschaft (1807-10) bedeuteten in der Rechtsstellung der Archshofer Juden einen Rückschritt: Verbot des Hausier- und Güterhandels, Beschränkung des Fleischverkaufs von geschächtetem Vieh. Die Besitzergreifung durch Württemberg brachte ihnen dagegen wiederum Erleichterung hinsichtlich der Handelsgeschäfte, der Aufnahme in den Schutz (keine Beschränkung der Familienzahl mehr) und der Ermäßigung ihrer Abgaben. Die Gemeindevorsteher erhielten Beamtenrechte. Unter der Einwirkung des Gesetzes von 1828 wandten sich die meisten jungen Juden dem Handwerk oder der Landwirtschaft zu, doch wählten sie in der Regel wie anderwärts solche Berufe, die ihnen gleichzeitig den Handel ermöglichten (Metzger, Weber, Schuster, Landwirte). 1880 betrug der Umsatz der Archshofer Juden aus dem Viehhandel allein 120.000 Mark (Oberamtsbeschreibung Mergentheim S. 461).
Ein Synagogenraum wurde 1741 eingerichtet. Ein Synagogenneubau von 1780 scheiterte am Einspruch Rothenburgs. Erst um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert konnte die jüdische Gemeinde ein eigenes Gotteshaus erbauen, das 1865 und 1912 erneuert wurde. Die Archshofer Juden fanden meist auf dem Creglinger jüdischen Friedhof ihre letzte Ruhestätte. Einen eigenen Friedhof haben sie nie besessen. Bis zur Organisation der kirchlichen Verhältnisse der israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg 1832/34 hatte die Gemeinde einen Rabbiner, der aber den Anforderungen nicht entsprach, die die israelitische Oberkirchenbehörde in Stuttgart an die jüdischen Geistlichen stellte, und darum pensioniert werden musste. Den Gottesdienst leitete fortan ein Vorsänger. Archshofen blieb bis 1939 eine eigene israelitische Religionsgemeinde, die vor 1914 dem Rabbinat Weikersheim, später dem Rabbinat Mergentheim unterstand. Bis zur Abwanderung der Juden aus Craintal im Laufe des 19. Jahrhunderts gehörten auch diese zur Synagogengemeinde Archshofen. 1828 besuchten die jüdischen Kinder die Evangelische Volksschule, von 1829 bis 1910 bestand eine israelitische Konfessionsschule.
Das Verhältnis zwischen den beiden Religionsgemeinschaften war nicht immer ganz frei von Spannungen, im allgemeinen aber gut und der Dorfgemeinschaft angemessen. Wohlhabende Juden unterstützten wiederholt auch die christlichen Ortsarmen durch Geldzuwendungen. Zahlreiche christliche Einwohner fanden bei den jüdischen Viehhändlern Arbeit und Brot.
Im Jahr 1812 lebten 80 Juden in Archshofen, 1824 98, 1831 113, 1843 137, 1854 143, 1869 137, 1886 91, 1910 55 und 1933 23. Die meisten Juden waren bereits vor 1933 abgewandert. Die Synagoge wurde wohl schon 1935/36 nicht mehr benutzt, sie wurde in der Kristallnacht 1938 nicht zerstört, jedoch später durch unreife jugendliche demoliert. Sie ist umgebaut und dient heute als Schule und Feuerwehrmagazin.
Die Hetze und der Terror des Nationalsozialismus wirkten auch hier verheerend. Aus Angst wagten die meisten Bürger bald nicht mehr, mit ihren jüdischen Nachbarn in der Öffentlichkeit zu verkehren, geschweige denn nachbarliche Beziehungen zu ihnen zu unterhalten. Der einzige jüdische Schüler, der bis 1934 die Archshofer Volksschule besuchte, wurde gehänselt und verspottet. Eine „Stürmertafel" zur „Aufklärung der Bevölkerung" wurde an einem Gartenzaun angebracht. Der Handel der Juden kam rasch zum Erliegen. Schon Anfang 1938 gab es keine jüdischen Betriebe mehr. Von den 23 jüdischen Bürgern, die 1933 in Archshofen lebten, und den beiden Kindern, die 1936 beziehungsweise 1937 geboren wurden, konnten 14 noch rechtzeitig auswandern, 4 verstarben hier, 1 verzog an einen anderen Ort (weiteres Schicksal unbekannt), während sechs 1941 und 1942 nach Riga und Theresienstadt deportiert und ermordet wurden.
In dieser Studie nachgewiesene Literatur
- Bauer, Eridi, Die Geschichte der jüdischen Minderheit in Archshofen, 1964.
- Beschreibung des Oberamts Mergentheim, 1880.
- Bild von der Synagoge, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 52.
Ergänzung 2023
Heute befindet sich im Gebäude der ehemaligen Synagoge das Vereinsheim der Kleintierzüchter.
Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Archshofen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022
Lektüretipps für die weitere Recherche
- Bauer, Erich, Die Geschichte der jüdischen Minderheit in Archshofen, Zulassungsarbeit zur Fachgruppenprüfung in Geschichte, 1964.
- Behr, Hartwig/Rupp, Horst F., Vom Leben und Sterben. Juden in Creglingen, 1999.
- Distel, Barbara, Archshofen - Theresienstadt - Treblinka. Die Deportation der letzten drei jüdischen Mitbürger aus dem heutigen Creglinger Teilort vor 70 Jahren, in: Württembergisch Franken, Bd. 97, hg. vom Historischen Verein für Württembergisch Franken.
- Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
- Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 49-51.