Klöster im Herzogtum der Alemannen – das 10. Jahrhundert

von Jürgen Dendorfer

Widmungsbild der Gesta Witigowonis, im Mittelpunkt Maria, Patronin des Benediktinerklosters Reichenau, mit Christuskind, links Abt Witigowo, rechts der hl. Pirmin, unten der Dichter Burchard, links die Personifikation der Reichenau, Pergament, Reichenau 995. [Quelle: BLB Cod. Aug. perg. 205, fol. 72r.]
Widmungsbild der Gesta Witigowonis, im Mittelpunkt Maria, Patronin des Benediktinerklosters Reichenau, mit Christuskind, links Abt Witigowo, rechts der hl. Pirmin, unten der Dichter Burchard, links die Personifikation der Reichenau, Pergament, Reichenau 995. [Quelle: BLB Cod. Aug. perg. 205, fol. 72r.]

Die Schwelle zum 10. Jahrhundert gilt gemeinhin nicht nur in politischer, sondern auch in monastischer Hinsicht als tiefer Einschnitt. Allerdings werden beim vieldiskutierten Übergang von den spätkarolingischen Königreichen zum ostfränkisch-deutschen Reich heute stärker Kontinuitäten gesehen.[1] Nach dem Ende der karolingischen Königsherrschaft in Alemannien richteten sich die ersten neuen Herzöge im Rahmen des vormaligen regnum Alamannorum ein.[2] Sie traten nun an die Stelle der karolingischen Könige. Im Bodenseeraum, der in der Karolingerzeit zur zentralen Herrschaftslandschaft Alemanniens geworden war, rangen deshalb Adelige und Bischöfe um die neue politische Ordnung. Die Äbte der Reichenau und St. Gallens bestimmten schon in den letzten Jahrzehnten des ostfränkischen Karolingerreichs die Königsherrschaft wesentlich mit. Der Reichenauer Abt Hatto war zugleich Erzbischof von Mainz (und daneben Abt von Ellwangen, Lorsch und Weißenburg). In seiner Stellung am Königshof des letzten ostfränkischen Karolingers, König Ludwigs des Kindes (899–911), kam ihm nur noch Bischof Salomo III. von Konstanz (890–919/20), zugleich Abt von St. Gallen, gleich.[3] Aus dieser Konstellation erklärt sich, weshalb die Kämpfe Adeliger um den Vorrang im Herzogtum in diesem Raum stattfanden und in ihnen dem Hohentwiel eine solche Bedeutung zukam. Für die Bodenseeklöster veränderte sich dadurch ihr Bezugsrahmen, an Stelle der Könige traten nun die Herzöge, die über sie Schutz ausübten, sie in Dienst nahmen, für sie Recht sprachen und sich, ebenfalls Hinweis auf ein enges Verhältnis, auf der Reichenau auch bestatten ließen. Auch die Neugründungen von Klöstern gingen in dieser Zeit von den Herzögen aus. Im Breisgau gründete Herzog Burchard I. (919–926) das Frauenkloster Waldkirch, das auch sein Sohn Herzog Burchard II. (954–974) und dessen Gemahlin Hadwig förderten. Nach dem Tod Burchards II. zog sich seine Witwe Hadwig, die eigenständig Herzogsherrschaft ausübte, auf den Hohentwiel in ein von ihr und ihrem verstorbenen Gemahl errichtetes, dem Hl. Georg geweihtes Kloster, zurück.[4] 1005 wurde dieses Kloster nach Stein am Rhein verlegt. Der zwischen den beiden Burchardingern amtierende Herzog Hermann (926–949) stattete eine Eremitengemeinschaft in Einsiedeln mit Gütern aus und stand somit an der Wiege dieser bedeutendsten Klostergründung des 10. Jahrhunderts in der Alemannia.[5] Jeder Herzog ist also offenkundig zumindest mit einem neuen Kloster in Verbindung zu bringen, die alle dauerhaft Bestand haben sollten. Auf dem Land, außerhalb der Bischofsstadt Konstanz, waren das auch die einzigen Klostergründungen bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts; zu diskutieren bliebe allein, ob das breisgauische Sulzburg, später dem Bischof von Basel unterstehend, bereits am Beginn des 11. Jahrhundert als Kloster existierte; gesichert ist es als Frauenkloster erst seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts.

Neugründungen sind in diesem Zeitraum also an einer Hand abzuzählen und alle von den Herzögen, den neuen politischen Kräften des 10. Jahrhunderts, ins Werk gesetzt worden. Daneben bestanden die seit der Karolingerzeit bestehenden Kommunitäten am Bodensee und in der Ortenau fort, für die sich die Frage stellt, wie sie sich in diesem Zeitraum veränderten. Denn das 10. Jahrhundert war nicht nur politisch eine Herausforderung für die Klöster, sondern auch für das innere Leben der Konvente. Gilt es doch als Zeitalter der Krise, in dem Klöster durch Ungarn- und Normanneneinfälle zu bestehen aufhörten oder zumindest schwere Schäden davontrugen, was zu einem Verfall der Disziplin geführt habe. 909 und 926 wurden auch die Bodenseeklöster von den Ungarn heimgesucht. Während die Reichenau aufgrund ihrer Insellage verschont blieb, wurde St. Gallen 926 geplündert und zerstört.[6] Auch letzteres erholte sich aber offenbar rasch von den Schäden. Denn nichts weist darauf hin, dass die beiden Abteien ihren Aufgaben im Herzogs- und Königsdienst nicht nachgekommen seien. Für ihr Wirken als Reichsklöster gibt es faszinierende Zeugnisse. Ein Reichenauer Mönch schrieb sogar die Amtsbiographie eines Abtes in Versen, in der er das Wirken des Abtes Witigowo (Gesta Witigowonis) für das Kloster und im Reichsdienst, auf einem Italienzug Kaiser Ottos III. (983–1002) verherrlichte.[7] Auch im Inneren der Konvente lässt sich kein Nachlassen der geistigen Produktivität erkennen. Auf der Reichenau entstanden nun große Werke der Buchmalerei und in St. Gallen Dichtungen.

Wenn wir am Ende des Jahrhunderts dennoch von Reformeingriffen in beiden Konventen hören, muss dies also nicht auf einen disziplinären Niedergang der Konvente hinweisen, sondern auf veränderte Vorstellungen von einem vorbildlichen Klosterleben nach der Benediktsregel. Die Bodenseeklöster traf wie andere auch die erste Welle der Klosterreformen nach der Karolingerzeit. Dabei ist bemerkenswert, dass diese in beiden Fällen durch ottonische Könige initiiert wurden und darin bestanden, dass Äbte aus Reformzentren außerhalb Alemanniens eingesetzt wurden.[8] Nach der Mitte des 10. Jahrhunderts gewann das ottonische Königtum in der Alemannia wieder neue Rechte anstelle der Herzöge, die offenkundig auch mit einer königlich geförderten Reform verbunden waren. In beiden Klöstern stieß die Einsetzung eines auswärtigen Abtes auf Widerstand, der besonders in St. Gallen in den Erzählungen des Mönches Ekkehard IV. literarischen Nachhall finden sollte.[9] Welche dauerhaften Effekte diese Reformeingriffe, die sich nach Ekkehard gegen Privatbesitz und Fleischkonsum richteten, konkret hatten, lässt sich allerdings selbst im Fall von St. Gallen nicht bestimmen. Noch weniger gilt dies für die Ortenauklöster, über die im 10. Jahrhundert so gut wie nichts bekannt ist. Auch für sie bedeutete das Regiment König Heinrichs II. (1002–1024) einen Einschnitt. Der aus der bayerischen Linie der Liudolfinger stammende König stattete das neu gegründete Bistum Bamberg mit Besitzungen im gesamten Reich aus.[10] Im Herzogtum Schwaben ordnete er dafür einen Großteil der bestehenden Männerklöster Bamberg zu. In der Ortenau waren dies die vormaligen Königsklöster Schuttern und Gengenbach, die er 1007 dem Bischof von Bamberg unterstellte, Schwarzach gab er an den Bischof von Straßburg, dem bereits Ettenheimmünster unterstand. Im Bodenseeraum übertrug er das nach Stein am Rhein verlegte Hohentwielkloster St. Georg(en) an seine fränkische Bistumsgründung. Die von König Heinrich II. forcierte Einsetzung neuer Äbte auf der Reichenau, Immos (1006–1008), der sich allerdings nicht halten konnte, und seines Nachfolgers Bern (1008–1048), könnte deshalb auch als der Versuch eines verstärkten königlichen Zugriffs auf diese Klöster gesehen werden.

Die in der Ottonenzeit nochmals gesteigerte königliche Indienstnahme der Reichskirchen, die hierin sichtbar wird, veränderte auch die Konstanzer Bischofskirche. Seit Salomo III. gewannen die Bischöfe von Konstanz deutlich eigenständigere Konturen. Im 10. und 11. Jahrhundert, im Zeitalter des ottonischen Reichsbischofs, wurden alte wie neue Bischofsstädte im gesamten Reich repräsentativ ausgebaut.[11] Das gilt auch und vielleicht besonders für Konstanz, wo neben dem Domstift erst am Ende des 9. Jahrhundert eine zweite geistliche Institution angesiedelt wurde, das Kanonikerstift St. Stephan. Diese für einen Bischofssitz immer noch überschaubare Ausstattung an geistlichen Gemeinschaften wurde unter den Bischöfen Konrad (934–975) und Gebhard (979–995) erheblich erweitert. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstanden mit dem Kollegiatstift St. Mauritius (955) ein weiteres Stift sowie drei Kirchen St. Johann, das im 13. Jahrhundert zum Kollegiatstift werden sollte, St. Paul und St. Lorenz. Außerhalb der Stadt, am rechten Ufer des Rheins gelegen, errichtete Bischof Gebhard 983 ein dem Hl. Gregor geweihtes Benediktinerkloster, das von Anfang an als Petri domus »Petershausen« bezeichnet wurde. Wie St. Peter in Rom jenseits des Tibers, lag dieses Kloster jenseits eines Flusses. Seine Gründung rundete den Kranz der Kirchen ab, der ganz offenkundig nach dem Vorbild der römischen Patriarchalbasiliken den Bischofssitz umlagerte. Eine Romimitatio, die es auch in anderen Bischofsstädten gab, die aber in Konstanz gerade vor dem Hintergrund des vorherigen Mangels an geistlichen Institutionen besonders hervorsticht.[12]

Bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts treten somit einige wenige Klöster und Stifte zu den bestehenden Gemeinschaften. Außerhalb der Bischofsstadt Konstanz waren es vor allem die herzoglichen Gründungen, ein Frauenkloster und zwei Männergemeinschaften, in Konstanz selbst ein Stift und ein Kloster als Bestandteil des romorientierten Ausbauprogramms für den Bischofssitz. Insgesamt sind das nicht mehr als eine Handvoll Neugründungen. Die bestehenden Gemeinschaften aber wurden durch die Eingriffe König Heinrichs II. herausgefordert, der die einen – die Ortenauklöster und St. Georg/Hohentwiel – an seine Neugründung Bamberg übertrug und den anderen, der Reichenau und St. Gallen, Äbte aus dem Reformzentrum St. Maximin in Trier aufzwang. Ein Impuls für eine Reform, die nicht aus dem Untersuchungsgebiet selbst, sondern aus dem Westen kam. Auch in der zweiten großen Reformwelle seit der Mitte des 11. Jahrhunderts folgte ein solcher Anstoß aus dem Westen, der nun aber in Reformklöstern mit eigener Ausstrahlung im Raum aufgegriffen wurde.

Anmerkungen

[1] Deutinger 2006; Keller/Althoff 2008; Groth 2017
[2] Zotz 2001, S. 382–398; Zettler 2003; Dendorfer 2024, S. 76–85
[3] Offergeld 2001, S. 537–542, 544–547.
[4] Dendorfer 2013.
[5] Keller 1964; Salzgeber 1986, S. 520–522; Holzherr 1996.
[6] Duft 1957; Duft/Gössi/Vogler 1986, S. 1198.
[8] Hochholzer 1999, S. 61–63, 67–69; 2022, S. 275–278
[9] Tremp 2005.
[10] Weinfurter 1999, S. 250–268.
[11] Hirschmann 1998; 2004
[12] Maurer 1973; 1976; 1989, S. 52–79

Die vollständigen Literaturangaben sowie die Auflösung der Abkürzungen finden Sie hier.

Zitierhinweis: Jürgen Dendorfer, Klöster im Herzogtum der Alemannen – das 10. Jahrhundert, URL: […], Stand: 10.06.2025.

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