Kollegiatstifte (14./15. Jahrhundert)
von Jürgen Dendorfer
Landesherrlichen oder zumindest adeligen Interessen dienten ebenfalls Kollegiatstifte. Geistliche Einrichtungen, die im Untersuchungsraum seit dem 14. Jahrhundert vermehrt auftraten.[1] Bei der Reform der Benediktinerklöster im 15. Jahrhundert war die Umwandlung von Klöstern in Stifte bereits als Ausweichstrategie zu nennen, als Versuch losere, gewohntere Formen des Zusammenlebens mit normativen Vorstellungen in Übereinstimmung zu bringen. Doch wurden Stifte im späten Mittelalter auch bewusst neu gegründet. Waren sie doch ein flexibel einsetzbares Instrument, um gelehrte Kleriker mittels Kanonikerpfründen zu versorgen und dafür auf bestimmte Dienste zu verpflichten: auf die Seelsorge, auf das Gebet für die Dynastie an Grablegen oder für den Dienst an Universitäten. Stifte seien als Einrichtungen: »weitherzig und biegsam, individualisierbar und gefügig zu machen« für verschiedenste Zwecke, so wurde erkannt; sie seien von außen, von ihrem jeweiligen Bestimmungszweck her geprägt (P. Moraw).[2] Einer dieser Zwecke konnte die geistliche Versorgung von Grablegen, die Sicherung der Memoria sein. Im Bodenseeraum und in Hohenzollern zeigt sich das an einem Kranz von Stiften, die im 14. und 15. Jahrhundert bewusst dafür gegründet wurden. In Betenbrunn, bei Heiligenberg, errichteten die Grafen von Werdenberg 1388/89 ein kleines Stift mit vier Pfründen, dessen Aufgabe es war, das dauerhafte Gebet an der Grablege der Familie sicher zu stellen. Im nahen Markdorf stiftete 1389 Ursula von Markdorf mit Zustimmung ihrer Söhne in der Stadt an der Pfarrkirche ein Stift, ebenfalls zu ihrem und ihres verstorbenen Mannes Seelenheil. Rund ein Jahrhundert später etablierten die Grafen von Hohenzollern 1488 in ihrer Residenzstadt Hechingen das Stift St. Jakob, und somit nach der Terminologie der Forschung ein Residenzstift an der Pfarrkirche des Ortes und der nunmehrigen Grablege der Familie, das die ältere Grablege im Dominikanerinnenkloster Stetten im Gnadental ablöste. Residenzstifte ähnlichen Zuschnitts finden sich auch am Oberrhein, am frühsten und von besonderer Bedeutung in Heidelberg an Heiliggeist, eine Gründung König Ruprechts I. (1400–1410), die in enger Abstimmung mit der Universität ins Werk gesetzt wurde. Die Kanoniker pflegten zwar auch das Gebet für die Dynastie, die Pfründen dienten aber vor allem der Versorgung der Professoren der Universität. Vielleicht ebenfalls im Rahmen der weit gediehenen Vorbereitungen zur Gründung einer Universität im badischen Pforzheim ist die Gründung des dortigen Stifts St. Michael (1460) zu sehen, wiederum in Verbindung mit und an der Grablege der Markgrafen von Baden. Sie waren es auch, die in Baden-Baden die Grablege vom Zisterzienserinnenkloster Lichtenthal in die Stadt an die Pfarrkirche verlegten und hier 1453 ein Stift einrichten; in der Größe ähnlich dimensioniert wie die ebenfalls badische Gründung in Ettlingen, St. Martin (1459/60). Und dieses Muster ist auch noch einmal 1481 im Norden des Untersuchungsraums greifbar, als die Grafen von Wertheim ihre Grablege aus dem Zisterzienserkloster Bronnbach in die Pfarrkirche von Wertheim verlegten und an dieser ein Kollegiatstift stifteten.
Am Ende des Mittelalters hatte sich somit die herausgearbeitete, eindrucksvolle Dichte an geistlichen Gemeinschaften im Untersuchungsraum etabliert. Sie war außer auf dem Feld der unregulierten Frauengemeinschaften von erstaunlicher Stabilität. Nahezu alle frühen, am Beginn des 8. Jahrhunderts gegründeten Klöster bestanden um 1500 noch, und somit fast 800 Jahre nach der Gründung. Vergegenwärtigt man sich dies, dann wird deutlich wie tief der Einschnitt durch die Reformation war.
Anmerkungen
[1] Moraw 1980; 2003; Marchal 1999; 2000; Lorenz 2003; SKHB; Auge/Hirbodian/Schnack 2024.
[2] Moraw 2003, S. 58 f.
Die vollständigen Literaturangaben sowie die Auflösung der Abkürzungen finden Sie hier.
Zitierhinweis: Jürgen Dendorfer, Kollegiatstifte (14./15. Jahrhundert), URL: […], Stand: 10.06.2025.

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