Von Anna Aurast
Als Fremden- oder Nachtbücher bezeichnet man Verzeichnisse, in denen die Anwesenheit von Fremden an einem bestimmten Ort in chronologischer Abfolge dokumentiert wurde. In einem solchen Buch wurden neben dem Zeitpunkt des Aufenthalts auch persönliche Daten des Reisenden wie Name, Herkunftsort und Stand vermerkt. Da der Ausdruck „Fremdenbücher“ über diese erste Definition hinaus mehrdeutig ist und für verschiedene Dinge verwendet wurde, sollte man gleich zu Beginn zwischen zwei Bedeutungen unterscheiden: Zum einen bezeichnete man als Fremdenbücher in Wirtshäusern geführte Verzeichnisse, in denen Daten über Ortsfremde festgehalten, die dort übernachteten und deren Beherbergung durch den Ortsvorstand mit der Ausstellung von sogenannten Nachtzetteln gestattet wurde. Die gleichen Daten wurden, für die Obrigkeit, vom Ortsvorsteher in sogenannten Nacht(zettel)büchern aufgezeichnet.
Zum anderen sprach man von Fremdenbüchern bei Besucherbüchern bzw. Gästebüchern bestimmter Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken, Schlösser oder Bäder. Diese häufig in Leder gebundenen und mit Verzierungen ausgestatteten Bände enthielten leere Seiten, in die sich Gäste freiwillig eintrugen, um ihre individuellen Eindrücke von dem Ort niederzuschreiben und so ihren Besuch zu belegen. Im Folgenden wird jedoch ausschließlich die erste Art von Fremdenbüchern behandelt, zusammen mit den mit ihnen eng verwandten Nacht(zettel)büchern.
Die Anfänge der Meldepflicht von Fremden im deutschen Südwesten lassen sich nur schwer auf ein bestimmtes Datum festlegen. Nimmt man die Stadt Wien zum Vergleich, so kann dort für das Jahr 1564 die erste Erwähnung einer „schriftlichen Anmeldung von Fremden mittels ‚zetln‘“[1] konstatiert werden. Im Herzogtum Württemberg war es spätestens seit dem 17. Jahrhundert üblich, dass Gastgeber Fremde, die bei ihnen übernachteten, bei der Obrigkeit per sogenannte Nachtzettel anmeldeten.[2] In württembergischen Verordnungen des 18. Jahrhunderts werden sowohl private Personen als auch Wirtsleute dazu verpflichtet, alle von auswärts kommenden Personen, die bei ihnen über Nacht bleiben, dem Oberamt oder dem Ortsvorgesetzten zu melden und eine schriftliche Erlaubnis einzuholen, diese beherbergen zu dürfen. Wurden fremde Personen ohne eine Anzeige und ohne einen Erlaubnisschein einquartiert, drohte eine Strafe von bis zu 10 Gulden.[3] Im Stadtoberamt Stuttgart waren 10 Gulden Strafe auch dann fällig, wenn jemand eine solche [i.e.fremde] Persohn längere Zeit als in dem Schein bemerkt, beherbergt.[4]
In der Markgrafschaft Baden waren zur gleichen Zeit entsprechende Verordnungen milder. Die Pflicht, fremde Übernachtende dem Oberamt anzuzeigen, oblag lediglich privaten Personen, und auch dies nur dann, wenn die Fremden keine Verwandten oder Freunde waren. So verfügte Markgraf Karl Friedrich 1753 und erneut 1778, daß bey ohnnachbleiblicher Strafe von 10 fl. Niemand, der kein Wirtshaus hat, sich unterstehen solle, ausser seinen Anverwandten und Freunden jemand Fremdes eine Nachtherberge in seinem Haus zu gestatten, ohne hierzu bey Oberamt oder denen Orts-Vorgesetzten Erlaubis gesucht und erhalten zu haben […].[5] Nachdem Baden 1806 infolge der Koalitionskriege zum Großherzogtum wurde und sein Gebiet um das Vierfache vergrößern konnte, ließ Karl Friedrich als Großherzog die Verordnung im Jahre 1810 ausweiten: Niemand soll einen Fremden in seinem Hause über Nacht beherbergen, ohne binnen 12 Stunden, von dessen Ankunft an zu rechnen, seinem Orts- Vorstande oder der Polizey-Obrigkeit die Anzeige davon gemacht zu haben, bey Strafe von 1 bis 10 fl. nach Verhältnis der hierin bewiesenen Nachläßigkeit im Uebertretungsfalle. Auch die Gastwirthe sind unter dieser Verordnung begriffen.[6]
Die Durchsetzung der Verordnungen gestaltete sich jedoch schwierig, worauf die wiederholten Ermahnungen in den Akten hindeuten. Bereits im Jahr 1693 beauftragte der württembergische Regierungsrat den Stuttgarter Amtsvogt Johann Grüder, er möge allen Wirten befehlen, dass sie künfftighin die sogenandte Nachtzedel oder specificationen der über Nacht bleibenden Gäste fleißiger, alß bißhero beschehen, einschikten: und wann schon einige Gäste was spats ankommen, sie dannoch deren ankunfft annoch notifiziren sollen.[7] Die Nachtzettel sollten demnach, wenn nötig, auch zweimal am Abend ausgefüllt werden.
Offenbar kam es nicht selten vor, dass Gastgeber die fehlende Anmeldung ihrer Gäste mit Unkenntnis der Verordnung zu rechtfertigen versuchten. Aus diesem Grund trug der Regierungsrat von Herzog Carl Alexander von Württemberg dem Stuttgarter Stadtvogt Ludwig Christoph Vischer im Jahre 1734 auf, das Verbott, das niemand ohne Erlaubnis dergl. [=fremde] Personen beherbergen solle, der Burgerschaft nochmahlen zu publiciren, und damit künfftighin sich niemand mit der ohnwißenheit excusiren kan, dieses Verbott, wie sonsten in andern Fällen üblich, ad valvas Curiae affigiren zu laßen.[8] Unsicherheit herrschte bei den württembergischen Untertanen zuweilen auch darüber, ob nahe und entfernte Verwandte, die man bei sich beherbergte, ebenfalls als Fremde zu melden seien, und wer eigentlich verpflichtet war, seine Besucher als Fremde beim Oberamt anzuzeigen – nur Gastwirte oder auch private Personen? Um in diesen Punkten Klarheit zu schaffen, wurde die Verordnung am 2. November 1799 mit folgendem Wortlaut aktualisiert: […] wer von der allhiesigen Inwohnerschaft, wes Standes und Würde er sey, einen Ausgesessenen, auser Eltern, Kindern und Geschwistern, über Nacht beherbergen oder in sein Haus in die Miethe nehmen würde, ohne davon dem hiesigen StadtO[ber]Amt die bereits anbefohlene schriftliche Anzeige zu machen, derselbe mit der darauf gesetzten Legalstrafe v. 10. fl und befindenden Umständen nach noch einer empfindlicheren Ahndung werde angesehen werden solle.[9] Nachdem das Herzogtum Württemberg 1806 von Napoleon Bonaparte zum Königreich erhoben wurde, verschärfte man die Vorschriften: In der Verordnung der Königlichen Oberpolizeidirektion für die Residenzstadt Stuttgart von 1808 wurde als Fremder jeder aufgefasst, der nicht in Stuttgart oder in den Umgebungen dieser Stadt wohnhaft ist, er mag mit demjenigen, bei dem er sich aufhalten will, nahe – entfernt – oder gar nicht verwandt seyn. Die Verordnung sah zudem vor, dass Wirtsleute ihre Gäste unverzüglich einen Fremdenzettel ausfüllen ließen, den sie zusammen mit einer Auflistung aller Logiergäste des vergangenen Tages (Nachtzettel) dem Polizeibüro zukommen lassen sollten. Gleichzeitig wurden die Wirte dazu verpflichtet, ein Fremdenbuch mit den Inhalten des Fremdenzettels zu führen.[10]
Im Herzogtum Württemberg wurden die eingesammelten Anzeigen über Beherbergung fremder Personen bereits Ende des 18. Jahrhunderts handschriftlich in Nachtzettelregister[11] bzw. Fremdenrapporte übertragen und als solche der Obrigkeit zugestellt. Diese handschriftlichen Verzeichnisse können somit als direkte Vorläufer der bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts existierenden Nacht(zettel)bücher gelten. In Baden wurden die Nachtzettelbücher 1826 eingeführt.[12]
Die Gründe für die obrigkeitliche Kontrolle des Zuzugs von Fremden waren vor allem in der Wahrung der öffentlichen Sicherheit zu suchen. Zu den Pflichten eines Herrschers gehörte der Schutz seiner Untertanen vor Kriminalität jeder Art, die laut den Quellen verstärkt von Seiten auswärtiger Fremden drohte. Gleichzeitig galt es, zu verhindern, dass die öffentliche Ruhe und Ordnung im Lande gefährdet wurde. Folglich ist in den Akten häufig von „verdächtigen Fremden“[13] die Rede, nach denen Amtsleute und ihre Gehilfen vor Ort (z.B. Bürgerwehrwachen, polizeiliche Ordnungskräfte wie Gardisten oder Hatschiere) besonders Ausschau halten sollten. Ob Verbreitung von Falschgeld, Raubüberfälle, Aufruhr, Diebstahl, Wilderei, schwere Krankheiten, Bettel, der der einheimischen Bevölkerung zu Lasten ging oder gar Mord; all das waren Gefahren, die man solchen Fremden – in der Quellensprache auch „Landstreicher“, „Vaganten“, „Gauner“, „herrenloses Gesindel“ genannt –, anlastete. Ein badischer Beamte beschrieb die Situation des Großherzogtums im Jahre 1826 auf folgende Weise: Die geographische Lage unseres Landes macht beynahe jedes Amt zum Grenz-Amte, wodurch nicht nur die Polizey-Aufsicht im Allgemeinen, sondern auch die Verfolgung der Verbrecher – besonders gegen Frankreich – sehr erschwert wird; daher war von jeher und ist noch unser Land zum Aufenthalte von Vaganten und Gesindel aller Ort sehr geeignet und bey ihnen sehr beliebt, […] Daher lesen wir in jedem öffentlichen Blatte Diebstahls-Anzeigen und Stekbriefe in Menge, daher können Fremde Krankheiten ins Land bringen, ohne ihren Eintritt zu verhindern, oder sie zur Untersuchung und Strafe ziehen zu können.[14] Insbesondere in Krisenzeiten (Kriege, soziale oder politische Unruhen) wurde verstärkt darauf geachtet, wer, woher und mit welcher Absicht im Land unterwegs war. So forderte die Stadtdirektion Stuttgart in einem Bericht an das Königliche Ministerium des Innern im Juni 1849, dass Bis auf Weiteres jeder hieher kommende Fremde, der sich nicht über seine Person und über einen bestimmten erlaubten Zweck seines Aufenthaltes ausweisen kann, von hier fortgewiesen werde, wobei es der Bemerkung wohl nicht bedarf, daß diese Maasregel nur gegen Personen würde angewendet werden, gegen welche der Verdacht vorliegt, daß die für gesezwidrige Zwecke thätig seyen […].[15] Von den in Fremden- und Nachtbüchern gesammelten Personaldaten der legitimierten Personen sowie deren Ankunfts- und Abreisezeiten versprach man sich bessere Informationen über Kriminelle und ihre Netzwerke vor Ort, die auch vor Gericht nützlich sein konnten. Nicht zuletzt wurden mit den Büchern auch die Ortsvorsteher in deren Pflichterfüllung überprüft.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts weitete man die Meldepflicht allmählich von lediglich Ortsfremden und Vaganten auf die gesamte Bevölkerung aus.[16] Infolgedessen können moderne Einwohnermelderegister als Fortentwicklung von Nachtzettelbüchern betrachtet werden. Auch die seit dem 18. Jahrhundert von Gastwirten zu führenden Fremdenbücher gibt es, aufgrund der geltenden Hotelmeldepflicht, heute immer noch, wenn auch zunehmend in der modernisierten Form elektronischer Meldescheinsysteme.
Bei Nachtzettelbüchern handelt es sich seit dem 19. Jahrhundert um speziell angefertigte Bände, deren Seiten aus vorgedruckten, tabellarischen Formularen bestehen. Fremdenbücher der Gastwirte wurden nicht selten mit der Hand angefertigt, wobei der Aufbau häufig dem der gedruckten Ausführung der Nachtbücher ähnelte. Die Rubriken enthalten in der Regel folgende Inhalte: Name, Stand und Gewerbe, Wohnort der Fremden; Name des Beherbergers bzw. Name des Meisters oder des Dienstherrn; Tag der Ankunft, Tag der Abreise; Ursache des Aufenthalts; Ausweis; ggf. Bemerkungen. Die Einträge sind chronologisch geordnet und in manchen Büchern zur besseren Übersicht monatsweise voneinander abgegrenzt. Die Bände wurden häufig über Jahre oder auch Jahrzehnte geführt; manche der überlieferten Exemplare wurden dennoch nur partiell oder bis zur Hälfte des Bandes ausgefüllt. Es gibt zudem Nachtbücher, die nur bestimmte Bevölkerungsschichten (nämlich die unteren – Dienstleute, Wandergesellen, Handwerker, Hausierer) verzeichneten.
Im Landesarchiv Baden-Württemberg gibt es nur eine Handvoll an Fremden- und Nachtbüchern, sie stammen überwiegend aus dem 19. Jahrhundert. Zu nennen wären hier z.B. das Nachtbuch von Gruorn 1840–1873, HStA Stuttgart A 575 Bd. 2141 oder das Fremdenbuch von Gruorn 1837–1873, HStA Stuttgart A 575 Bd. 2140. Im Stadtarchiv Stuttgart findet man ein Nachtbuchexemplar der Gemeinde Stammheim, ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert: Stadtarchiv Stuttgart, 923 Nr. 949, fol. 3.
Fremden- und Nachtbücher sind eine ausgezeichnete Quelle für eine Vielzahl von geschichtswissenschaftlichen Disziplinen. Da die Eintragungen nicht nur den Namen, sondern auch die Herkunft, Gewerbe und manchmal auch das Alter der Fremden enthalten, geben Fremden- und Nachtbücher wertvolle Einblicke in die sozialen und ökonomischen Strukturen vergangener Epochen.
Aus migrationsgeschichtlicher Perspektive können Fremden- und Nachtbücher Aufschluss über Mobilität und Wanderungsbewegungen von einzelnen Individuen oder bestimmter sozialer Schichten geben und über die verschiedenen Gründe dieser Menschen, ihre Heimat zu verlassen und in eine fremde Stadt oder ein fremdes Dorf zu ziehen: Dienstleute suchten nach Stellen bei neuen Dienstherren, Handwerksgesellen sammelten Berufserfahrung auf der Walz, Handelsleute und Hausierer vertrieben ihre Waren, Verwandte besuchten ihre Familien. Anhand von Ortsangaben kann der Radius solcher Binnenmigrationen näher bestimmt werden, der in vielen Fällen nicht größer als ein paar Dutzende Kilometer war.
Fremden- und Nachtbücher sind auch für die Geschlechtergeschichte als Quelle relevant. Die unterschiedlichen Berufs- und Arbeitsperspektiven von Frauen (Dienstverhältnis) und Männern (Dienstverhältnis oder Handwerk) werden darin ebenso sichtbar wie auch die spezifischen Lebensverhältnisse von jungen, alleinstehenden Frauen aus unteren Schichten, die auf der Suche nach Verdienst von Ort zu Ort zogen, und von denen nicht wenige in dieser Zeit uneheliche Kinder bekamen. So vermerkt z.B. der Nachtbuchschreiber von Stammheim im Jahr 1838 über die ledige, 21-jährige Catharina Schramm, sie kam am 27. Nov. 1838 Abends hier an, u. kam sogl. in Kindsnöthen, gebar einen Sohn, welcher den 30 Nov. hier getauft wurde, Namens Joseph Andreas. Bereits wenige Tage nach der Geburt, am 5. Dezember, reiste die junge Mutter mit ihrem Kind ab.[17]
Nicht zuletzt können Fremden- und Nachtbücher für die Familienforschung Quellenmaterial liefern, da sie den Vor- und Nachnamen, den Heimatort und vereinzelt (z.B. bei Neugeborenen) auch das Geburts- bzw. Taufdatum der eingetragenen Personen enthalten können. Allerdings ist die Nutzung der Quellen in diesem Kontext nur mit zusätzlichen Informationen über die gesuchte Person möglich, da die Eintragungen regional stark eingegrenzt und chronologisch statt alphabetisch geordnet sind.
Zwar müssten Fremden- und Nachtbücher, als Verzeichnisse von Personaldaten, dem Datenschutz unterliegen, doch da die in südwestdeutschen Archiven überlieferten Fremden- und Nachtbücher meist älter als einhundert Jahre sind, können sie ohne Einschränkungen benutzt werden. Als Digitalisat ist derzeit einzig das Fremdenbuch des Gasthauses „Hirschen“ in Oppenau aus den Jahren 1911–1921 im Bestand HStA Stuttgart F 179/4 verfügbar.
Zitierhinweis: Anna Aurast, Fremden- und Nachtbücher, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: [...], Stand: 15.05.2017.