Ein unvermeidlicher Berufsunfall: Die Abdankungen König Wilhelms II. von Württemberg und Großherzog Friedrichs II. von Baden im Spiegel südwestdeutscher Publizistik
Theresa Reich
Die Nachrichten über die Abdankung des Kaisers, die Revolution in Berlin, sowie der Sturz weiterer Monarchen im Reich, wirkten als Katalysator für revolutionäre Handlungen innerhalb des württembergischen und badischen Territoriums. Beide Monarchen, König Wilhelm II. und Großherzog Friedrich II. waren nach revolutionären Aufständen von ihren Residenzen vertrieben worden und zogen sich auf ihre im Umland liegenden Schlösser zurück. Mit der Flucht übergaben die Fürsten kampflos ihre Herrschergewalt an die neuen politischen Funktionäre. Mit der darauffolgenden offiziellen Abdankungsurkunde ermöglichten die Monarchen der neuen verfassunggebenden Versammlung völlige Entscheidungsgewalt und gaben mit dem Rückzug aus dem Staatsleben den Weg für die Volkssouveränität frei.
Darstellungen wie beispielsweise jene des Politikwissenschaftlers Thomas Ellwein und des Historikers Hagen Schulze, die deutschen Bundesfürsten hätten „sang und klanglos“ im November 1918 ihren Thron verlassen, galt lange als unbestrittenes Forschungsergebnis. Durchsucht man die südwestdeutsche Presse nach Berichten über die Abdankung der alten Monarchen fällt auf, dass die Regenten alles andere als „sang und klanglos“ verabschiedet wurden. Journalisten und Politiker des Großherzogtums Baden und des Königreichs Württemberg thematisierten umfangreich die Staatsumwälzung in den Medien. Bereits vor der offiziellen Abdankung war in den Zeitungen von den revolutionären Ereignissen zu lesen. Obwohl die Monarchen noch nicht zurückgetreten waren, verkündeten Blätter wie die „Schwäbische Tagwacht“, die „Süddeutsche Zeitung“, die „Schwäbische Chronik“ und das „Stuttgarter Neue Tagblatt“ enthusiastisch die Einführung der Republik. Am 14. November 1918 gaben der „konservative Generalanzeiger der Residenz Karlsruhe und des Großherzogtums Baden“ und die „Badische Presse“ bereits das Ende der Monarchie bekannt.
Das dynastische Ende des badischen Herrscherhauses las die Presse aus der Verzichtserklärung des Großherzogs vom 13. November heraus, in der er jedoch nur den vorläufigen Austritt aus den Regierungsgeschäften bekannt gab. Innenminister Adam Remmele (1877-1951) bezeichnete in seiner Monographie „Staatsumwälzung und Neuaufbau in Baden. Ein Beitrag zur politischen Geschichte Baden“ aus dem Jahr 1924, den vorläufigen Verzicht „in staatsrechtlicher Hinsicht als Zwischenform einer Abdankung“. Für die linksliberale „Neue Badische Landeszeitung“ war mit diesem vorübergehenden Regierungsrückzug Friedrichs II. ebenfalls das Ende der badischen Monarchie eingeschlossen. Sie berichtete, Baden sei „seit gestern nicht mehr Großherzogtum, sondern ein vom freien Volk regierter Staat, eine Republik.“ Die konservativen, sozialdemokratischen und linksliberalen Journalisten der badischen Presse setzten den Großherzog, durch ihre Bewertung des politischen Geschehens und ihre regierungskritische Haltung zum monarchischen Obrigkeitsstaat immens unter Druck und forderten indirekt eine offizielle Abdankung.
Als die alten Regenten nun offiziell ihre Abdankung verkündet hatten, berichtete die badische und die württembergische Zeitungslandschaft umfangreich darüber. In jeder politischen Zeitung beider Staaten war die offizielle Thronentsagung des Großherzogs sowie die des Königs abgedruckt. Häufig folgte darauf eine Einordnung der politischen Geschehnisse. Darüber hinaus wurde die Umstrukturierung der Staatsverhältnisse kritisch bewertet. Journalisten und Politiker versuchten Antworten für die Revolution und das Ende der Monarchie zu finden. Sie lieferten zudem erste Erklärungsversuche und benannten Verantwortliche, Schuldige und Helden.
Die konservative Zeitung „Schwäbische Chronik“ veröffentlichte am 21. November 1918, also vor der öffentlichen Abdankung des württembergischen Königs, einen Beitrag unter dem Titel „Die Umwälzung in Württemberg“ des Demokraten Konrad Haußmann (1857-1922). Er erklärte den Wandel in Württemberg mit der Revolution auf Reichsebene, welche auf die Fürstentümer einwirkte. Haußmann gab die Schuld nicht nur Kaiser Wilhelm II. sondern allen wichtigen Funktionären des Reichstages, die zögernd gehandelt hätten und damit die revolutionäre Spannung in der Bevölkerung auslösten. Ähnliche Ergebnisse wurden in den darauffolgenden Tagen im „Stuttgarter Neuen Tagblatt“, in der „Schwäbischen Tagwacht“, in der „Schwäbischen Chronik“ und auch in der Zeitung „Der Beobachter“ propagiert. Im Organ der Stuttgarter Sozialdemokraten, der „Schwäbischen Tagwacht“ war im Artikel „Der Thronverzicht des Königs“ vom 2. Dezember 1918 zu lesen:
“Die revolutionäre Bewegung richtete sich daher auch nicht im geringsten gegen seine Person, sondern gegen das monarchische System, das unter Wilhelm II. von Hohenzollern Bankrott gemacht hat. Dem bisherigen Reichsoberhaupt haben es die Fürsten der Bundesstaaten zu danken, daß sie mit in den Sturz hineingerissen wurden.“
Die Berichterstatter waren sich einig darüber, dass nicht die Regierungsweise des Monarchen zu dessen Sturz geführt hatte, sondern die allgemeine revolutionäre Bewegung im Reich. Für das Ende der Monarchie wurde allein das wilhelminische Monarchiesystem aus Preußen verantwortlich gemacht. Die Fürsten waren lediglich Repräsentanten und Funktionäre des Obrigkeitsstaats, der unter dem Druck außenpolitischer Einflüsse zusammenbrach. In selbigem oben genannten Artikel erklärte die „Schwäbische Tagwacht“ die Abdankung König Wilhelms II. als „Berufsunfall, den er nicht vermeiden konnte.“ Die liberale Zeitung „Der Beobachter“ ordnete den Sturz des Königreichs Württemberg am 2. Dezember 1918 ebenfalls als Begleitschaden in den revolutionären Kontext des Reiches ein. Im Bericht „Württemberg. König Wilhelms Abschied vom württembergischen Volk“ war zu lesen:
„Nur die mächtigste Sturmflut, die vom deutschen Vorstaat, von Preußen, ausging und hier aus tieferliegenden Erregungsursachen entstanden war, mußte, über die schwarzroten Grenzpfähle flutend, auch hier ein System stürzen, das in seiner uneinsichtigen Rückständigkeit außerhalb Württembergs unhaltbar geworden war. Daß der Einsturz dann auch noch festere und gesundere Nachbargebäude in die Katastrophe mit hereinzog, war eine tragische Notwendigkeit.“
Gleichzeitig äußerte das Organ der württembergischen Volkspartei indirekt Kritik am nicht mehr zeitgemäßen monarchischen Staat und bekundete die Notwendigkeit einer staatlichen Neuerung. Doch persönliche Angriffe auf König Wilhelm II. oder gar Kritik an seinem Regierungsstil konnten bei der Durchsicht der württembergischen Zeitungen nicht gefunden werden. Im Gegenteil, der württembergische Regent wurde mit Lobpreisungen aus seiner Regierungszeit entlassen. Die Zeitungen, wie auch die provisorische Regierung, bemühten sich, dem Monarchen einen prestigeträchtigen Abgang zu verschaffen. Ihm wurde persönliche Anerkennung und Hochachtung entgegen gebracht. Nicht nur die konservativ geprägten Blätter, sondern auch diejenigen mit sozialdemokratischer Ausrichtung rekapitulierten und lobten in gefühlsbetontem und untertänigem Stil die 27 Regierungsjahre, darunter waren das „Stuttgarter Neue Tagblatt“, „Der Beobachter“, die „Schwäbische Tagwacht“ und die „Schwäbische Chronik“. Die „Süddeutsche Zeitung“ verurteilte sogar den Verlauf der Revolution und bewertete ihn als ungerecht, ebenso wie ihre konservativ-christlichen Kollegen des „Deutschen Volksblattes“. Der Vorwurf lautete, die Revolution sei nicht nach dem mehrheitlichen Willen des Volkes vollzogen worden. Die linksorientierte Zeitung, die „Rote Fahne“, begrüßte die Revolution und würdigte sie als Verdienst der Arbeiter und Soldaten. Die Redaktion der „Roten Fahne“ erklärte die Monarchen nicht zum Hauptschuldigen für ihren eigenen Sturz, sondern ordnete den Machtwechsel in ein komplexeres Erklärungsmuster ein, in der die sogenannte Rechtssozialdemokratie, das kapitalistische System, die Ausbeutung des Proletariats und die damit einhergehende heroische Befreiung aus dieser Unterdrückung eine weitaus größere Rolle spielten als die landesflüchtigen Fürsten.
Die Presse in Baden gliederte die Abdankung des Großherzogs ebenfalls in die weltpolitischen Geschehnisse ein. Die „Badische Presse“ und das „Karlsruher Tagblatt“ verbreiteten den unverschuldeten und selbstlosen Rücktritt des Monarchen, der für das Wohl des Landes seine eigenen Bedürfnisse zurückstellte. Der konservativ geprägte und regierungskonforme Generalanzeiger der Residenz Karlsruhe und des Großherzogtums Baden, die „Badische Presse“, gab unter dem Titel „Die endgültige Thronentsagung des Großherzogs. Thronverzicht Großherzog Friedrich II. von Baden“ am 23. November 1918 bekannt:
“Nicht eigenes Verschulden führte im badischen Lande den Fürsten von seinem Thron. Der weltpolitischen und gesamtdeutschen Entwicklung allein, deren sich Baden nicht entziehen konnte, entsprach es, wenn auch Großherzog Friedrich die Folgerungen zog.“
Das Hauptorgan der badischen Zentrumspartei, der „Badische Beobachter“, stand der Revolution ablehnend gegenüber und verurteilte die politische Umwälzung, die nicht durch die badische Bevölkerung erfolgte, sondern allein unter dem Druck der außenpolitischen Verhältnisse entstanden sei. Im Abendblatt des „Badischen Beobachter“ des 23. November 1918 konnten die Zeitgenossen über folgende Berichterstattung diskutieren:
“Wahrhaftig nicht leichten Herzens bringen wir diese Proklamation vom Thronverzicht unseres Großherzogs und des Thronfolgers. Sprechen wir es einfach und offen aus: Nicht das Wohl des Landes und seiner Bevölkerung hat diesen Akt herbeigeführt, sondern der Druck von Verhältnissen, die mächtiger sind als wir.“
Im Gegensatz zu den württembergischen Kollegen, bewertete die badische Presse die Politik des Großherzogs durchaus kritischer. Neben den allgemeinen Lobpreisungen auf den früheren Monarchen und Bekundungen der Herrschaftstreue, wie unter anderem in der Freiburger Zeitung vom 24. November 1918 zu lesen war, lassen sich negative Äußerungen finden. Diese wurden ausschließlich von den sozialdemokratisch orientierten Zeitungen veröffentlicht. Die sozialdemokratische Zeitung „Mannheimer Volksstimme“ unterzog das monarchische Amt Friedrichs II. einer scharfen Kritik. Wie Lothar Machtan in seiner Studie „Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen“ herausarbeitete, hatte die Zeitung den badischen Monarchen als einen unbedeutenden Mann bezeichnet, der ein längst überholtes Amt bekleidet hätte. Das „Karlsruher Tagblatt“ kritisierte in einem Kommentar vom 24. November 1918 unter der Überschrift „An das badische Volk!“ die zögernde Haltung des Großherzogs und fragte, ob mit einem frühzeitigeren Rücktritt größere Verwirrungen zu vermeiden gewesen wären.
Fazit
Die südwestdeutsche Presselandschaft berichtete umfangreich über das Ende der Monarchie. Bereits vor dem offiziellen Thronverzicht verkündeten die sozialdemokratischen Zeitungen überschwänglich und enthusiastisch die Einführung der Republik. Doch auch wenn sie der neuen Regierungsform positiv gegenüberstanden, bekundeten alle untersuchten Zeitungen, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, ihre Trauer über den Rücktritt des alten Regenten. Die Verbindung zwischen fürstlichem Herrscherhaus und untertäniger Bevölkerung wurde besonders von konservativen Journalisten hervorgehoben. Auffällig war der gefühlsbetonte und ehrfürchtige Schreibstil, den die Zeitungen wählten. Damit versuchten sie, die alten Herrscher würdevoll aus ihrer Position zu verabschieden, um ihnen einen prestigeträchtigen Abgang zu verschafften. Jedoch ist in diesem Zusammenhang die archaische untertänige Beziehung der Bevölkerung zur Obrigkeit zu berücksichtigen. Seitdem das öffentliche Massenmedium breite Anwendung fand, wurde es für die Herrschaftspräsenz inszeniert und galt als Instrument für die öffentliche Ausgestaltung der Macht. Die Zeitungen spiegelten also nur die Selbstdarstellung der Fürsten wider. Den Zusammenbruch des monarchischen Obrigkeitsstaates zu verurteilen, war zumindest für die konservativen Blätter zur Pflicht geworden.
Die badische Presse war hingegen kritischer und hinterfragte die Position und Politik des Großherzogs im Kontext der revolutionären Ereignisse, noch bevor dieser seine Abdankung veröffentlicht hatte. Wenngleich die badischen sozialdemokratischen Tageszeitungen eine kritische Haltung zu Friedrich II. als Großherzog vertraten, wurde seine Person nicht angegriffen. Zudem waren negative Berichte eher selten. In beiden Staaten wurden unterschiedliche Zeitpunkte gewählt, um über das Ende der Monarchie zu berichten. Während die württembergische Presse bis zur offiziellen Thronentsagung abwartete, verkündeten badische Zeitungen bereits nach dem vorläufigen Regierungsverzicht des Großherzogs seinen Rücktritt und das Ende der Zähringer-Dynastie. Die Journalisten ordneten die Staatsumwälzung in den weltpolitischen Kontext ein und leiteten Kausalitätsketten her. Der Hauptgrund für den Bruch der Monarchie in ihrem Heimatland war das wilhelminische Monarchiesystem. Dadurch, dass der Kaiser abdankte und sich aus der Staatswelt zurückzog, löste er eine Umsturzbewegung aus, die die übrigen Fürsten im Reich erfasste. Diese waren lediglich Repräsentanten des monarchischen Obrigkeitsstaates, der nun unter dem Druck außenpolitischer Einflüsse in sich zusammenfiel
Verwendete Quellen
- Remmele, Adam: Staatsumwälzung und Neuaufbau in Baden. Ein Beitrag zur politischen Geschichte Baden 1914/1924, Karlsruhe 1925.
Gesichtete Zeitungen aus dem Zeitraum 9. November 1918 bis 2. Dezember 1918:
- Württembergische Zeitungen: Der Beobachter, Deutsches Volksblatt, Schwäbische Chronik, Schwäbischer Merkur, Schwäbische Tagwacht, Stuttgarter Neues Tagblatt, Süddeutsche Zeitung, Rote Fahne
- Badische Zeitungen: Badische Presse. Generalanzeiger der Residenz Karlsruhe und des Großherzogtums Baden, Badischer Beobachter, Freiburger Zeitung, Karlsruher Tagblatt, Karlsruher Zeitung. Badischer Staatsanzeiger, Neue Badische Landeszeitung
Verwendete Literatur
- Furtwängler, Martin (Bearb.): Die Protokolle der Regierung der Republik Baden. Die provisorische Regierung November 1918 - März 1919. Stuttgart 2002, S. XX.
- Horn, Michael: Zwischen Abdankung und Absetzung. Das Ende der Herrschaft der Bundesfürsten des Deutschen Reichs im November 1918. In: Richter, Susan; Dirbach, Dirk (Hg.): Thronverzicht. Die Abdankung in Monarchien vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Köln / Weimar / Wien 2010. S. 267- 290.
- Klein, Winfried: Der Monarch wird Privatier. Die Rechtsfolgen der Abdankung für den Monarchen und sein Haus. In: Richter, Susan; Dirbach, Dirk (Hg.): Thronverzicht. Die Abdankung in Monarchien vom Mittelalter bis in die Neuzeit, Köln / Weimar / Wien, 2010, S. 152-174.
- Machtan, Lothar: Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen. Berlin 2008.